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[25]a. Die Theologie der antiken Philosophie
ОглавлениеAuch wenn schon im Neuen Testament theologische Deutungen vorliegen, so hat sich doch eine Theologie erst in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten herausgebildet. Einen wesentlichen Einfluss hierauf hatte die Rezeption der antiken PhilosophiePhilosophie. Von ihr wurde der Begriff Theologie geschaffen. Aus der Verbindung von christlicher Botschaft und griechischer Philosophie ging in einem komplexen und sich überlagernden Prozess die frühe christliche Theologie hervor. Die frühchristlichen Denker konnten dabei an die Theologie der Griechen anknüpfen. In Auseinandersetzung mit der polytheistischen Volksreligion arbeiteten griechische Philosophen einen monotheistischen GottesbegriffGottesbegriffGottesbegriff heraus. Gott ist für sie das erste und letzte Prinzip, die UrsacheUrsache (Philosophie) von allem, was ist. Insbesondere der KosmosKosmos und seine geordnete Struktur fungieren als Paradigma der Theologie. Im Unterschied zu dem Gott der jüdisch-christlichen ReligionReligionchristliche, der sich dem Menschen offenbart, ist der Gott der PhilosophenGott der Philosophen durch die VernunftVernunft zu erschließen. Das Göttliche als Ursache des Kosmos ergibt sich aus einem Rückschluss von der WeltWelt. Die wichtigsten philosophischen Theologien, welche einen prägenden Einfluss auf das junge Christentum ausübten, stammen von PlatonPlaton (428/427–348/347 v. Chr.), AristotelesAristoteles (384–322 v. Chr.) und der StoaStoa.
In Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie hatte PlatonPlatonPlaton in der Politeia (Staat) einen philosophischen Gottesbegriff ausgearbeitet. Das wahre Wissen gründet für ihn nicht in dem, was mit den Augen sichtbar oder durch die Sinne wahrnehmbar ist. Derartiges Wissen ist, wie er in dem DialogDialogPhaidon schreibt, stets voll Betrug. Es ist wandelbar und unterliegt dem Schein. Dem wandelbaren Wissen setzt Platon die Ideen entgegen. Sie sind unsichtbar, ewig und wahr. Die Ideen, die allein dem Denken zugänglich sind, sind der Grund des intersubjektiv verbindlichen Wissens. Wahres Wissen besteht in der Erkenntnis der IdeeIdee (Philosophie). In ihr erinnert sich die unsterbliche SeeleSeeleunsterbliche gleichsam der Ideen, die sie vor ihrer Geburt, nämlich ihrer Vereinigung mit dem LeibLeib, geschaut hat. Die Philosophie hat die Aufgabe, das Wissen durch einen Rückgang auf die Ideen als letzte Gründe zu begründen.
Allerdings belässt es PlatonPlaton nicht bei einem Rückgang zu den Ideen als Inbegriff des Wahren, Wesenhaften und Seienden. Er [26]fragt auch nach dem Grund des Ideenkosmos. Ihn nennt er die Idee des GutenIdeeIdee (Philosophie) des Guten. Von ihr gilt, wie es in dem Sonnengleichnis der Politeia heißt, sie gehe noch über das Wesen hinaus. Der letzte Grund alles Wissens ist transzendent. Er ist jenseits von WahrheitWahrheit, Wesen und Seiendem. Mit der Idee des Guten hat Platon einen philosophischen Gottesbegriff ausgearbeitet, in dem das Denken bei seiner Suche nach letzten Gründen gleichsam selbst zum Abschluss kommt. Gott steht hier für eine Aufgabe des Denkens. Es versichert sich in ihm seines eigenen letzten Grundes. Die Platonische Theologie fungiert als Grundlage einer Kritik an den überlieferten Mythen.
AristotelesAristoteles, der Schüler PlatonsPlaton, unterzog die Philosophie seines Lehrers einer radikalen Umformung. Für Platons philosophisches System ist nämlich ein DualismusDualismus von Ideen- und ErscheinungErscheinungswelt konstitutiv. Der Stagirit hingegen hat den platonischen Dualismus in ein empirisches Forschungsprogramm überführt. Statt von Ideen spricht er von der FormForm (Philosophie) (griechisch: morphe). Jede Form setzt etwas voraus, was geformt werden kann, den StoffStoff (Philosophie) (griechisch: hyle). Hieraus resultiert die Unterscheidung von FormForm und Stoff beziehungsweise PotenzPotenz (Philosophie)und AktAkt (Philosophie) (lateinisch: potentia und actus). Der Ausgangspunkt für diese Fassung der philosophischen Grundbegriffe ist die Überlegung, dass in unserem Erkennen der Begriff stets an einen sinnlichen Stoff gebunden ist. Die Ideen sind also nicht, wie Platon annahm, in einem Ideenhimmel zu lokalisieren, sie sind vielmehr den Dingen immanent, wie in unserer Auffassung der Dinge die Begriffe den sinnlichen Wahrnehmungen immanent sind.
Erst die beiden Momente Stoff und FormStoffStoff (Philosophie) und FormForm (Philosophie) zusammen bilden das wirkliche Sein der Dinge. In der Verbindung ist der Stoff die Möglichkeit oder PotenzPotenz (Philosophie) zu allem Wirklichen, die Form aber ist die Verwirklichung dieses Möglichen, der Aktus. Die Form ist also der Zweck. Aristoteles veranschaulicht das Verhältnis von Form und Stoff an dem Marmor, aus dem der Bildhauer die Statue meißelt. Der Marmor ist die Möglichkeit und die Statue die geformte Wirklichkeit.
Aristoteles hat in den Schriften, die später unter dem Titel MetaphysikMetaphysik zusammengefasst wurden, eine förmliche Theologie konzipiert. Sie resultiert aus dem methodischen Grundbegriff seiner Philosophie, der Bewegung. Dieser avanciert zum Prinzip der Erklärung des natürlichen KosmosKosmos und ersetzt PlatonsPlaton[27]an dem Ideenkosmos orientierte *KosmologieKosmologie. Alle Möglichkeit (griechisch: dynamis) strebt nach Verwirklichung. Hierzu bedarf es eines Prinzips, welches die zielgerichtete Bewegung erklärt (griechisch: entelecheia). Diese Funktion übernimmt der aristotelische Gottesgedanke, der unbewegte Bewegerder unbewegte Beweger. Das Göttliche ist für Aristoteles das „erste und vorzüglichste Prinzip“ und wird als reine Wirksamkeit (lateinisch: actus purus) bestimmt. Der aristotelische Gott ist kein Schöpfergott, der wie der platonische Demiurg bei der Erschaffung der WeltWelt den Ideenkosmos in die Materie einbildet, er hält vielmehr die selbst anfangslose Welt in ständiger Bewegung. Damit ist nicht nur der Gottesgedanke von Aristoteles auf der Grundlage seiner empirisch fundierten NaturwissenschaftNaturwissenschaft neu bestimmt, es ist auch ein gegenüber der platonischen Kosmologie neues kosmologisches Paradigma etabliert.
Das göttliche Sein ist für Aristoteles als UrsacheUrsache (Philosophie) und Grund aller Bewegung selbst unbewegt. Im 12. Buch der Metaphysik argumentiert er mit dem Gedanken, jede Bewegung muss eine Ursache haben, auf die man von der Wirkung aus zurückschließen kann. Allerdings kann in dem Rückgang auf die Ursachen der Bewegung kein unendlicher Regress angenommen werden. Es sei unmöglich, so Aristoteles, „dass das Bewegende und selbst von einem andern Bewegte ins Unendliche gehe; denn vom Unendlichen gibt es kein Erstes“. Folglich muss es eine erste Ursache aller Bewegung geben, die selbst unbewegt alles andere bewegt. Das ist Gott: der erste unbewegte Bewegende, das rein Wirkliche. Er ist der Ursprung, an dem der Himmel und die Natur hängen; die göttliche Kraft hält das All zusammen, aber nicht auf eine äußerliche Weise. Gott, als das letztlich Erstrebte, ist in allem Wirklichen anwesend. Der aristotelische Gott ist vollkommen. Er ist reine FormForm (Philosophie), actus purus, reines Denken. Da der Inhalt, den ein vollkommener Gott denkt, nur vollkommen und das Höchste sein kann, so denkt dieser Gott ewig sich selbst. Er hat sich selbst zum Gegenstand seines Denkens.
Die StoaStoaStoa bildet neben PlatonPlatonismusPlatonismus und AristotelismusAristotelismus die dritte wirkungsmächtig wichtige Strömung der antiken PhilosophiePhilosophie. Auf die Formierung des frühchristlichen Denkens hatte sie einen prägenden Einfluss, auch wenn sich deren Grundprämissen nur schwer mit dem christlichen GottesgedankenGottesgedanke vereinigen lassen. Die Philosophie der Stoa, deren Begründer Zenon von KitionZenon von Kition (333–264 v. Chr.) ist, ist fast ausschließlich durch spätere Bruch[28]stücke überliefert. Sie stellt eine Alternative sowohl zu Platon als auch zu AristotelesAristoteles dar und zeichnet sich insbesondere durch den Systemgedanken aus.
Infobox
StoaStoa:
Die Entwicklung des stoischen Denkens wird zumeist in drei Phasen untergliedert, zunächst die alte StoaStoa, eine mittlere Epoche und schließlich die Stoa der Kaiserzeit. Wichtige Vertreter der älteren Stoa sind neben Zenon KleanthesKleanthes (geb. um 331/330 v. Chr.) und ChrysippChrysipp (geb. zwischen 281 und 277 v. Chr.). DiogenesDiogenes von Seleukeia von Seleukeia (ca. 240–150 v. Chr.) und PanaitiosPanaitios (185–110 v. Chr.) sind wichtige Repräsentanten der mittleren Phase, die besonders durch eine Modifikation des älteren stoischen Denkens geprägt ist. Bekannte stoische Denker der Kaiserzeit sind vor allem SenecaSeneca (4 v. Chr.–65) und Marc AurelMarc Aurel (röm. Kaiser 161–182).
Im Zentrum der StoaStoa steht der Gedanke eines Lebens in Leben in Einklang mit der NaturEinklang mit der Natur. Darin besteht das Ziel des philosophischen Strebens. Die gesamte Wirklichkeit wird als ein geordnetes System verstanden. Das wird ausgehend von einem Prinzipiengefüge von Aktivität und Passivität in NaturphilosophiePhilosophieNatur-, KosmologieKosmologie, AnthropologieAnthropologie, EthikEthik und LogikLogik bis hin zur GotteslehreGotteslehre konstruiert. Dabei verstehen die Stoiker sowohl die Prinzipien als auch das durch sie konstituierte Sein einschließlich Gottes als körperliche SubstanzSubstanzen.
Die StoaStoa hat auch eine Theologie ausgearbeitet, deren einflussreichster Bestandteil die Lehre von der VorsehungVorsehungVorsehung (griechisch: pronoia) darstellt. Das Göttliche wird als Universalnatur verstanden, der sowohl eine vernünftige SeeleSeele als auch Glieder zukommen. Es ist im KosmosKosmos und seinen zweckmäßigen Strukturen präsent. Die Welt entspringt gleichsam der Vorsehung Gottes. In der Stoa erhält auch der Theologiebegriff eine weitere Ausdifferenzierung. Die stoischen Denker unterscheiden einen dreifachen Gebrauch (lateinisch: theologia tripertitia): (1.) die mythische Theologie der Dichter, (2.) die physische Theologie der PhilosophenPhilosophen, denen es um das wahre Wesen der Wirklichkeit (griechisch: physis) zu tun ist, und (3.) die politische Theologie, die sich mit der gesetzlichen OrdnungOrdnung, insbesondere mit dem öffentlichen staatlichen KultusKultus befasst.
[29]Literatur
Aristoteles: Metaphysik. Griechisch-Deutsch, 2 Bde., hrsg. v. Horst Seidl, Hamburg 21982/21984.
Robert Bees: Art.: StoaStoa, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7, Tübingen 42004, Sp. 1739–1742.
Christian Danz: Wirken Gottes. Zur Geschichte eines theologischen Grundbegriffs, Neukirchen-Vluyn 2007, S. 17–35.
Stefan Dienstbeck: Die Theologie der StoaStoa, Berlin/Boston 2015.
Werner Jaeger: Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953.
Martin Pohlenz: Die StoaStoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, 2 Bde., Göttingen 81992.
ClemensClemens von Alexandrien Zintzen (Hrsg.): Der Mittelplatonismus, Darmstadt 1981.
Aufgaben
1 Verschaffen Sie sich einen Überblick über den Aufbau von Platons Staat.
2 Informieren Sie sich in einer Geschichte der Philosophie über das Denken von Aristoteles.
3 Vergleichen Sie den Theologiebegriff der antiken Philosophen mit dem der frühchristlichen Theologen.