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c. Die DogmatikDogmatik des AltprotestantismusAltprotestantismus

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Die Lehrentwicklung in der altprotestantischen TheologieTheologiealtprotestantische knüpfte im Bereich des Luthertums zunächst an MelanchthonsMelanchthonsMelanchthon, PhilippLoci communes an. Damit trat das Heil des Menschen im Glauben in den Vordergrund der theologischen Reflexion. Spekulative Fragen nach dem Wesen GottesWesen Gottes oder der Trinitätslehre traten wie bereits bei LutherLuther, Martin und Melanchthon zurück. Der Praeceptor Germaniae (Lehrer Deutschlands) greift auch den Begriff Theologie nicht zur Beschreibung der reformatorischen Lehre auf. Diese nennt er doctrina christiana. Luther folgend wird sie als Schriftauslegung verstanden. Die Entstehung der DogmatikDogmatik, deren Begriff im 17. Jahrhundert geprägt wird, verdankt sich zunächst einer didaktischen Verlegenheit. Dem theologischen Nachwuchs in den von der ReformationReformation, Reformationszeit erfassten Ländern musste ein Leitfaden zum Studium der neuen Lehre an die Hand gegeben werden. Hierzu fungierten zunächst die Loci communes. Das änderte sich um 1600. Infolge zahlloser Lehrstreitigkeiten in den lutherischen Territorien, die [48]1577 durch die Konkordienformel zum Abschluss gebracht wurden, sowie einer nun einsetzenden Rezeption der aristotelischen Metaphysik kommt es zur Umbildung des Theologiebegriffs sowie zu Reflexionen über deren Status als Wissenschaft.

Der Begriff Theologie setzt sich zur Bezeichnung der Lehre durch. Die Rezeption der Metaphysik in der lutherischen und reformierten TheologieTheologiereformierte des 17. Jahrhunderts resultiert aus einem gegenüber den Reformatoren stärkeren Interesse an den Gegenständen der Theologie. Und schließlich etabliert sich die bereits von Duns ScotusJohannes Duns Scotus im späten Mittelalter vertretene Auffassung, Theologie ist eine praktische WissenschaftTheologie sei eine praktische Wissenschaft. Vorbereitet durch LutherLuther, Martin, der jegliche Spekulation in der Theologie ablehnte, MelanchthonMelanchthon, Philipp und den Jenaer Theologen Johann GerhardGerhard, Johann (1582–1637) findet das wissenschaftstheoretische Verständnis von dem praktischen Charakter der Theologie breite Zustimmung. Das hat auch methodische Konsequenzen. Die praktischen Wissenschaften, zu denen die MedizinMedizin oder die NaturwissenschaftenNaturwissenschaft gehören, arbeiten mit der sogenannten analytische Methodeanalytischen MethodeMethodeanalytische. In die Theologie wurde sie durch den in Heidelberg lehrenden reformierten Theologen Bartholomäus KeckermannKeckermann, Bartholomäus (1572–1608) eingeführt und dann im Luthertum auf breiter Front rezipiert, so auch von dem Helmstedter Theologen Georg CalixtCalixt, Georg (1586–1656) in seiner Epitome theologiae von 1619. Die analytische Methode ermöglicht es, die dogmatischen Gehalte in einen strengen systematischen Zusammenhang zu bringen. Ausgehend von dem Ziel der Theologie – Gott als höchstes Guthöchstes Gut, summum bonum (lateinisch: summum bonum) des Menschen – werden die materialdogmatischen Gehalte als Etappen auf dem Weg zu diesem Ziel angeordnet. Die Dogmatik erhält dadurch gegenüber Melanchthons Loci, der die materialen Gehalte einfach nebeneinander stellte, einen in sich geschlossenen und strukturierten systematischen Zuschnitt.

Die Theologie des Altprotestantismus geht von der objektiven Gegebenheit der theologischen Gehalte aus. Der Wissenschaftscharakter der Theologie besteht darin, dass ihr Gegenstand auf systematische Weise entfaltet wird. Hierzu muss nach dem Prinzip der theologischen Wissenschaft und dem von ihm abhängigen gefragt werden. Die Rezeption der aristotelischen Metaphysik bietet nun die Möglichkeit, jenen Gegenstand nach bestimmten Hinsichten zu entfalten. Das geschieht durch die Lehre von den vier Ursachen sowie Begriffsdistinktionen.

[49]Infobox

Aristotelische MetaphysikMetaphysik und die Lehre von den vier Ursachen:

Die aristotelische Philosophie bot den altprotestantischenAltprotestantismus Dogmatikern den begrifflichen Rahmen, den theologischen Lehrstoff systematisch zu entfalten. In der Rezeption des Philosophen, die durch die sogenannte spanische Barockscholastik (Francisco SuárezSuárez, Francisco [1548–1617]) vermittelt ist, dokumentiert sich das Interesse der Theologen an einer stärkeren Betonung der theologischen Sachgehalte. Grundlegend für die begriffliche Entfaltung des dogmatischen Lehrstoffes ist die aristotelische Unterscheidung von vier Ursachen: Wirk- (lateinisch: causa efficiens), Material- (lateinisch: causa materialis), FormForm (Philosophie)- (lateinisch: causa formalis) und ZielursacheUrsacheZiel- (lateinisch: causa finalis). Ein gegebener Gegenstand kann auf diese Weise in seiner Eigenart in bestimmten Hinsichten beschrieben werden. Zum Beispiel ist eine Tasse durch einen Töpfer hergestellt (WirkursacheUrsacheWirk-), sie besteht aus Porzellan (MaterialursacheUrsacheMaterial-), hat eine bestimmte Form (FormursacheUrsacheForm-), und schließlich dient die Tasse dem Trinken (Zielursache).

Durch die Anwendung des Ursachengefüges konnten die theologischen Themen in spezifischen Hinsichten begrifflich erläutert werden. So ist zum Beispiel Gott die WirkursacheUrsacheWirk- der Bibel als Heilige Schrift, die biblischen Autoren (ProphetenProphet und ApostelApostel) sind die MaterialursacheUrsacheMaterial-. Die FormursacheUrsacheForm- der Schrift sind die Sprachen, in denen sie abgefasst wurde, und schließlich wird das Heil des Menschen als ZielursacheUrsacheZiel- der Bibel verstanden.

Die theologischen Gehalte sind allein in und durch die Bibel dem Menschen gegeben. Sie ist die einzige Quelle und Norm theologischer Aussagen. Im Anschluss an LutherLuther, Martin wird Theologie als zusammenfassende Auslegung des Inhalts der Bibel als Heilige Schrift verstanden. Die altprotestantischen Theologen entfalten die Lehre von der Heiligen Schrift in den Prolegomena ihrer Dogmatiken. Die SchriftlehreSchriftlehre wird dabei zum SchriftprinzipSchriftprinzip ausgebaut und in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen entfaltet. Um die Prinzipienfunktion der Bibel sicher zu stellen, wird diese als den biblischen Autoren von Gott wortwörtlich diktiert verstanden (InspirationslehreInspirationslehre). Dadurch ist die Heilige Schrift der Relativität der Geschichte entnommen und vermag als absolute EntscheidungEntscheidungs- und Urteilsinstanz in theologischen und religiösen Fragen zu fungieren. Die Pluralität möglicher Lesarten des biblischen Textes wird auf diese Weise restringiert. Es gibt nur eine wahre Lektüre, und sie legitimiert sich durch die Bibel selbst im sogenannten inneres ZeugnisZeugnis des Heiligen Geistes (lateinisch: testimonium spiritus sancti internum). Unterstellt werden ein bestimmter Sinn des biblischen Wortlautes sowie ein und derselbe Inhalt im Alten und im Neuen Testament. Für die altprotestantischen [50]Theologen gibt es nämlich nur einen Verfasser des Textes, den Heiligen Geist. Und der kann sich aufgrund seiner Vollkommenheit nicht widersprechen. Spannungen und Widersprüche in den biblischen Texten werden durch eine Anpassung des Heiligen Geistes an die Verstehensbedingungen der biblischen Zeugen erklärt (*AkkommodationAkkommodation). Das reicht in dieser Zeit noch aus, um Widersprüche im Text zu bewältigen.

Die theologischen Systeme des alten Protestantismus entstanden vor dem Hintergrund relativ geschlossener konfessioneller Milieus. Für sie konstruiert die Dogmatik ein umfassendes normatives Leitbild des gesellschaftlichen Ganzen. Der Gottesbegriff und die Möglichkeit seiner Erkenntnis sind noch nicht zum Problem geworden. Aufgrund der Voraussetzung einer von der Offenbarung unterschiedenen natürlichen GotteserkenntnisGotteserkenntnisnatürliche ist die ExistenzExistenz Gottes dem Menschen evident. Strittig ist zwischen den Konfessionen dessen wahres Verständnis. Das Nebeneinander und die damit verbundene Konkurrenz zu anderen Konfessionskulturen beschleunigen allerdings auch Rationalisierungsprozesse. Sie schlagen sich in der Theologie durch die Herausbildung von einzelnen Disziplinen mit eigenen methodischen Instrumentarien nieder. Die KonfessionalisierungKonfessionalisierung des Christentums in der frühen Neuzeit führt zur Entstehung von theologischen Disziplinen wie der PolemikPolemik, welche diese Pluralität reflektieren. Daneben formieren sich die KirchengeschichteKirchengeschichte, Dogmatik und EthikEthik als eigene Disziplinen.

Literatur

Emanuel Hirsch: Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik. Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht, Berlin/Leipzig 1937, S. 272–374 (lutherische DogmatikDogmatiklutherische). 374–441 (reformierte DogmatikDogmatikreformierte).

Sven Grosse: Philipp Melanchton, Loci communes, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 212–218.

Philipp Melanchthon: Loci Communes 1521. Lateinisch-Deutsch, hrsg. v. Horst Georg Pöhlmann, Gütersloh 21997.

Carl Heinz Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und AufklärungAufklärung, 2 Teile, Gütersloh 1964/1966.

Johann AnselmAnselm von Canterbury Steiger: Leonhart Hütter, Compendium Locorum Theologicorum, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 231–238.

[51]Aufgaben

1 Informieren Sie sich in dem Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik von Emanuel Hirsch über grundlegende Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Reformierten.

2 Lesen Sie den Artikel von Sven Große über Melanchthons Loci communes, und vergleichen Sie deren Aufbau mit dem Compendium Locorum Theologicorum von Leonhart Hütter.

3 Informieren Sie sich über das Schriftprinzip der altprotestantischen Theologie, und beschreiben Sie dessen Grundzüge.

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