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2.5 Der ReligionsbegriffReligionsbegriff als methodische Grundlage der Systematischen Theologie im 19. Jahrhundert
ОглавлениеUm 1800 kam es wie in allen Wissenschaften so auch in der Theologie zu einer zunehmenden Professionalisierung und AusdifferenzierungProfessionalisierung und Ausdifferenzierung. Jetzt erst bildet sich ein Verständnis von Theologie als Fachwissenschaft im Unterschied zur Religion heraus. Zugleich avanciert der ReligionsbegriffReligionsbegriff zur methodischen Grundlage der Theologie. Er ersetzt sowohl die überlieferte natürliche TheologieTheologienatürliche als auch die Schriftlehre des alten Protestantismus. Beide konnten sich vor der aufgeklärten Kritik nicht mehr halten. Die Theologiegeschichtsschreibung bezeichnet diese Umformung, die mit dem gesellschaftlichen Wandel sowie dem Nachlassen der Präge[61]kraft der christlichen Konfessionsgegensätze seit der Aufklärung verbunden ist und zu einem neuen Typus von Theologie führte, als Übergang vom Alt- zum NeuprotestantismusNeuprotestantismus.
Infobox
Alt- und NeuprotestantismusNeuprotestantismus:
Die Unterscheidung von Alt- und NeuprotestantismusNeuprotestantismus stammt von Ernst TroeltschTroeltsch, Ernst. Er hat sie im Zusammenhang seiner Studien zur Bedeutung des Protestantismus für die Genese der modernen Welt unter anderem in seiner Schrift Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (1906) herausgearbeitet. Die Unterscheidung zielt nicht allein auf eine bloße Epochenscheidung, sie hat einen kategorialen und normativen Status. Den Ausgangspunkt bildet die Frage nach der geschichtlichen Einordnung der ReformationReformation, Reformationszeit sowie die Beobachtung des Abstands dieser Epoche zur Welt des 20. Jahrhunderts. Der Protestantismus der Moderne sei „dem Altprotestantismus gegenüber ein vielfach grundverschiedenes Gebilde, das daher auch im Namen als Neuprotestantismus unterschieden werden muss und das die schwere Frage der religiösen ZukunftZukunft der europäisch-amerikanischen Völker immer deutlicher aus sich heraus entwickelt, je mehr der KatholizismusKirchekatholische, Katholizismus in seine mittelalterliche dogmatisch-philosophische Tradition sich wieder einspinnt und nur für Zwecke politischer Machtgewinnung sich modernisiert“ (Troeltsch 2004, 134).
Die reformatorische Epoche „trägt das Doppelgesicht der Herkunft vom Mittelalter und des Hinweises auf eine neue Geisteswelt und vereinigt noch beides in dem lebendigen Schaffen der großen Meister, vor allem in der Persönlichkeit LuthersLuther, Martin, der am reichsten ist an Ideen und am ärmsten an Organisation“ (TroeltschTroeltsch, Ernst2004, 133f.). Vor dem Hintergrund dieser Deutung der ReformationReformation, Reformationszeit lassen sich die seit der Aufklärung hervortretenden Elemente, die ihre geschichtliche Wurzel in den von den Reformationskirchen verfolgten Täufern und Spiritualisten sowie dem in der englischen Revolution umgeprägten CalvinismusCalvinismus haben, genauer bestimmen und in ihrem Beitrag zu einer neuen Bestimmung des Begriffs des Protestantismus würdigen. Der moderne Protestantismus hat für Troeltsch nicht so sehr seine Wurzeln in der Reformation, er wurde vielmehr durch die Aufklärung geprägt und erstmals von Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim und Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo sowie John LockeLocke, John und Pierre BayleBayle, Pierre (1647–1706) formuliert. Sein normativer Gehalt ist „die FreiheitFreiheit des Geistes und GewissensGewissen, die persönliche GefühlsreligionReligionGefühls-, die Unabhängigkeit von DogmaDogma und Theologie, die Erprobung des Religiösen im Sittlichen, die ewige Gegenwart der religiösen WahrheitWahrheitreligiöse und ihre Freiheit gegenüber allem Geschichtlichen“ (Troeltsch 2004, 193). Diese neue Form des Protestantismus markiert gegenüber der Reformation und dem Protestantismus des 16. und 17. Jahrhunderts einen Bruch, der das Ende des mittelalterlichen Ideals einer geschlossenen kirchlich geleiteten Kulturidee in Folge der englischen Revolution und ihres misslungenen Versuchs, einen christlichen Staat zu errichten, zur Voraussetzung hat und der „Sebastian FranckFranck, Sebastian näher als seinem Helden Luther“ (ebd.) steht.
Der Begriff ‚NeuprotestantismusNeuprotestantismus‘ ist für TroeltschTroeltsch, Ernst ein normativer geschichtsphilosophischer Deutungsbegriff, der eine modernitätsgeleitete Umformung des Protestantismus, die ebenso seine Theologie wie seine SozialethikEthikSozial- umfasst, beinhaltet und der der veränderten gesamtgesellschaftlichen Situation in der Moderne infolge gesellschaftlicher Ausdifferenzierungsprozesse Rechnung tragen soll. Die geschichtliche Reflexion der Genese des modernen Protestantismus dient der eigenen Selbstvergewisserung und vor allem seiner Standortbestimmung in einer sich wandelnden Gesellschaft. Als wesentliche Gehalte des Protestantismus identifiziert Troeltsch den Gedanken eines ewigen WertesWert der individuellen Persönlichkeit. In deren Bewahrung und Rettung angesichts der mit der Moderne verbundenen Ambivalenzen sowie ihrer freiheitsgefährdenden Tendenzen besteht die Aufgabe der protestantischen Religion in der modernen KulturKulturmoderne.
Die theologischen Kontroversen im 19. Jahrhundert arbeiten sich an dem durch die AufklärungAufklärung virulent gewordenen Problem von Offenbarung und Geschichte ab. Das geschieht vor dem Hintergrund einer neuen Grundlegung der Theologie im ReligionsbegriffReligionsbegriff. Mit ihm ist eine Neuformulierung des Theologiebegriffs verbunden. Das GottesbewusstseinGottesbewusstsein und sein Verhältnis zur [62]Geschichte rücken in den Fokus der Debatten. Exemplarisch für diese Transformationen sind die kritische TranszendentalphilosophiePhilosophieTranszendental- Immanuel KantsKant, Immanuel, die Theologie Friedrich SchleiermachersSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1768–1832), die in der Mitte des Jahrhunderts entstehende historische TheologieTheologiehistorische sowie die Konzeption Albrecht RitschlsRitschl, Albrecht (1822–1889). Diese Theologen verbindet das Anliegen, die Theologie als eine Wissenschaft zu konzipieren.
Literatur
Friedrich Wilhelm Graf (Hrsg.): Profile des neuzeitlichen Protestantismus Bd. 1–2, Gütersloh 1990. 1993.
Wolfhart Pannenberg:ProblemgeschichteProblemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland. Von SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst bis zu Barth und Tillich, Göttingen 1997.
Jan Rohls: Protestantische Theologie der Neuzeit. Bd. 1: Die Voraussetzungen und das 19. Jahrhundert, Tübingen 1997.
Ernst Troeltsch: Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, (1906/1909/1922) (Kritische Gesamtausgabe = KGA, Bd. 7), hrsg. v. Volker Drehsen in Zusammenarbeit mit Christian Albrecht, Berlin/New York 2004.