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b. Die AufklärungstheologieTheologieAufklärungs-

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Seit der frühen Neuzeit hatte sich das Wandel im WeltbildWeltbild grundlegend verändert. Infolge der kopernikanischen Revolution sowie der großen Entdeckungsreisen im 15. und 16. Jahrhundert wurde zuneh[55]mend deutlich, dass die Weltsicht der Bibel nicht mehr mit der der frühen Neuzeit übereinstimmt. Es kamen Völker in den Blick, die in der biblischen Darstellung der Völkergenealogien (Gen 10) keinen Platz finden. Gab es, so wurde in den Kontroversen gefragt, womöglich schon Menschen vor AdamAdam? Und wie lassen sich die Eskimos in die biblischen Völkertafeln einordnen? Die Inkongruenz zwischen der Bibel, die bis ins 17. Jahrhundert aufgrund ihrer wortwörtlichen göttlichen Inspiriertheit die grundlegende AutoritätAutorität und WahrheitsinstanzWahrheitsinstanz auch für naturwissenschaftliche Fragen darstellte, und den neuen Erkenntnissen führte im 18. Jahrhundert zu einer neuen Stellung zur Bibel. Man stand vor der Alternative, entweder die biblische Darstellung zu verwerfen oder ihr eine neue Deutung zu geben. Um unter den neuen Bedingungen an ihr als einem maßgeblichen Buch festhalten zu können, wurde sie von den aufgeklärten Theologen als ein altes historisches Dokument – als eine Urkunde aus der Kindheit des Menschengeschlechts – aufgefasst. Zeugnisse der Vergangenheit müssen jedoch mit den Mitteln der historischen Forschung erschlossen werden, damit man sie verstehen kann. Ein wichtiger Wegbereiter für die historische Bibelauslegung war Baruch de SpinozaBaruch de SpinozaSpinoza, Baruch de (1632–1677). In seinem theologisch-politischen Traktat (Amsterdam 1670) hatte er im siebenten Kapitel die Grundzüge einer grammatisch-historischen Bibelauslegung entwickelt. Spinoza votiert für eine rein historische Interpretation der Bibel und unterscheidet strikt die Frage nach dem Sinn eines biblischen Textes von der nach seiner WahrheitWahrheit. Dieses methodische Verfahren zielt auf eine EmanzipationEmanzipation der BibelexegeseBibelexegese von der Dogmatik. In der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich diese Methode der Bibelinterpretation in der protestantischen TheologieTheologieevangelische, protestantische durch und führte zu einer völligen Umwälzung des überlieferten Verständnisses von Theologie. Diese etablierte sich am Ende des Jahrhunderts als professionelle Fachwissenschaft. Die wichtigsten Wegbereiter dieser Entwicklung sind der Leipziger Theologe Johann August ErnestiErnesti, Johann August (1707–1781) und vor allem Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo (1725–1791).

Die Entwicklung der Theologie im 18. Jahrhundert untergliedert man zumeist in drei Phasen: eine Übergangsphase, sodann die NeologieNeologie und schließlich den RationalismusRationalismus.

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AufklärungstheologieTheologieAufklärungs-:

1. Übergangsphase: Sigmund Jacob BaumgartenBaumgarten, Sigmund Jacob
2. NeologieNeologie: Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo, Johann Joachim SpaldingSpalding, Johann Joachim (1714–1804) und Johann Friedrich Wilhelm JerusalemJerusalem, Johann Friedrich Wilhelm (1709–1789)
3. RationalismusRationalismus und SupranaturalismusSupranaturalismus:
RationalismusRationalismus: Johann Friedrich RöhrRöhr, Johann Friedrich (1777–1848), der Hallenser Theologe Johann Heinrich TieftrunkTieftrunk, Johann Heinrich (1759–1837) sowie der Königsberger Philosoph Wilhelm Traugott KrugKrug, Wilhelm Trautgott (1770–1842)
SupranaturalismusSupranaturalismus: der Tübinger Theologe Gottlob Christian StorrStorr, Gottlob Christian (1746–1805), sein Schüler Friedrich Gottlieb SüskindSüskind, Friedrich Gottlieb (1767–1829)

Der wichtigste Vertreter der ÜbergangstheologieÜbergangstheologie war der in Halle lehrende Sigmund Jacob BaumgartenBaumgarten, Sigmund Jacob. Aus dem Halle[56]schen PietismusPietismus herkommend, knüpfte er in den 1740er Jahren an die Philosophie von Christian WolffWolff, Christian an und unternahm eine behutsame Modernisierung der Theologie und des überlieferten lutherischen Lehrbegriffs auf der Grundlage einer Öffnung für historische Fragen. Zwar hielt Baumgarten an dem formalen OffenbarungsbegriffOffenbarungsbegriff der lutherischen Lehrtradition fest, aber die Offenbarung und ihr Inhalt werden von ihm mit der VernunftVernunft harmonisiert. Er ist nicht nur einer der Begründer der modernen HermeneutikHermeneutik und der wissenschaftlichen Bibelauslegung, sondern auch ein wichtiger Vermittler des DeismusDeismus in Deutschland.

Der DeismusDeismusDeismus stellt eine hochkomplexe religiöse und theologische Modernisierungsbewegung dar, die sich infolge der KonfessionskriegeKonfessionskriege des 17. Jahrhunderts in England und Frankreich herausgebildet hat. Er darf als die erste von der kirchlichen Theologie unabhängige Religionsphilosophie gelten (Ernst TroeltschTroeltsch, Ernst). Sein Grundgedanke ist die Idee einer ‚VernunftreligionReligionVernunft-‘ oder ‚natürlichen ReligionReligionnatürliche‘, die unabhängig von der biblischen Offenbarung ist und jedem Menschen als einem Vernunftwesen eignet. Für die deistischen Denker ist diese die wahre ReligionReligionwahre, während die auf Offenbarung beruhenden geschichtlichen ReligionReligiongeschichtlicheen deren Verfälschungen sind. Ihre Entstehung verdankt sich einem Priesterbetrug, die sich durch die Erfindung von Offenbarungsreligionen Macht und Einfluss sichern wollen.

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Deismus:Deismus

Die grundlegenden Bestandteile der VernunftreligionReligionVernunft- sind: 1.) eine höchste Gottheit, 2.) die Verehrung Gottes, 3.) Tugend und FrömmigkeitFrömmigkeit als der wahre GottesdienstGottesdienst, 4.) die Wiedergutmachung der Sünden durch Reue und UmkehrUmkehr, und 5.) die Überzeugung, dass aus Gottes Güte und GerechtigkeitGerechtigkeit sowohl zeitlicher und ewiger Lohn als auch zeitliche und ewige Strafen fließen. Der zuletzt genannte Aspekt setzt die Überzeugung von einer unsterblichen SeeleSeele voraus. Da sich dieser Gedanke nicht in den Schriften des Alten Testaments findet, wurden erbitterte Kontroversen darüber geführt, ob man es bei dem alttestamentlichen Judentum mit einer Religion zu tun habe. Hermann Samuel ReimarusReimarus, Hermann Samuel (1694–1768), Immanuel KantKant, Immanuel und andere bestritten den religiösen Charakter der alttestamentlichen Texte. Andere wie LessingLessing, Gotthold Ephraim oder Johann David MichaelisMichaelis, Johann David (1717–1791) versuchten, diesen Nachweis zu erbringen.

Die wichtigsten Vertreter des englischen DeismusDeismus sind Edward Herbert von CherburyCherbury, Edward Herbert (1581–1648), John SpencerSpencer, John (1630–1693), John TolandToland, John (1671–1722), Matthew TindalTindal, Matthew (1656–1733).

Wichtige Vertreter des französischen DeismusDeismus sind VoltaireVoltaire (1694–1778) und Denis DiderotDiderot, Denis (1713–1784).

[57]Die deistischen Denker, die keineswegs alle christentumskritisch waren, trieben die Entwicklung des Instrumentariums der historischen Kritikhistorische Kritik voran. Deren Bibelauslegung wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts von den protestantischen Theologen in Deutschland rezipiert. Allerdings war der Mainstream der deutschen AufklärungstheologieTheologieAufklärungs- nicht so radikal wie die englischen und französischen Deisten. Ihnen ging es in erster Linie um einen konstruktiven Umgang mit der historischen BibelkritikBibelkritik, der man sich, das wurde den führenden Geistern schnell deutlich, nicht entziehen konnte. Mit BaumgartensBaumgarten, Sigmund Jacob Schüler Johann Salomon SemlerSemler, Johann Salomo verbindet sich die zweite Phase der Aufklärungstheologie, die NeologieNeologieNeologie. Er ist der bedeutendste Theologe des 18. Jahrhunderts, und mit ihm kommt die historische TheologieTheologiehistorische vollends zum Durchbruch. Semler ist der erste Theologe, der die historische Bibelauslegung zur Basis einer Umformung der gesamten Theologie erhebt. Dadurch werden die Grundlagen der DogmatikDogmatik des AltprotestantismusAltprotestantismus des 16. und 17. Jahrhunderts, die Schriftlehre und das KanonprinzipKanonprinzip von ihm kritisch aufgelöst. In deren Folge kommt es zu einer Umgestaltung des traditionellen dogmatischen Lehrbegriffs. Die WahrheitWahrheit des Christentums wird mit den Mitteln der historischen Wissenschaft begründet und nicht [58]mehr durch die Offenbarung. Jesus, so zeigt es sich dem historisch geschulten Blick auf die biblischen Schriften, bringt eine neue Religion. Ihr Kern, der sie von dem Alten Testament vollständig unterscheidet, besteht in einer vernünftigen MoralreligionReligionMoral-. Sie ist nicht an äußeren Satzungen orientiert. In ihrem Fokus steht die Autonomie. Durch die von Semler vorgenommene Unterscheidung von Religion und Theologie überwindet er nicht nur den Theologiebegriff des alten Protestantismus, er treibt dadurch auch die fachwissenschaftliche Professionalisierung der Theologie voran.

Mit der Durchsetzung der historischen BibelkritikDurchsetzung der historischen BibelkritikBibelkritik in der Theologie des späten 18. Jahrhunderts emanzipiert sich die ExegeseExegese vollends von der überlieferten Dogmatik. In deren Folge entstehen historisch grundierte Bibelwissenschaften wie Einleitungen in das Alte und das Neue Testament. Die neologischen Theologen tragen die AufklärungAufklärung in die Theologie hinein, und zwar mit dem Ziel einer zeitgemäßen Umgestaltung von Christentum und Theologie. Die historische Betrachtung der Bibel ist der Ausdruck dafür, dass die dogmatische Lehrgestalt des Christentums den Zeitgenossen unverständlich geworden ist. Das kirchlich-dogmatische ChristusbildChristusbild und die kirchliche Versöhnungslehre von dem stellvertretenden Sühnetod des GottmenschenGottmensch werden ersetzt durch den Menschen Jesus von Nazareth. Er wird verstanden als Lehrer der vollkommenen Religion, die durch seine VerkündigungVerkündigung in die Geschichte eintritt.

Eine andere Wendung nimmt die Anwendung der historischen Kritikhistorische Kritik auf die biblischen Schriften bei dem Hamburger Orientalisten Hermann Samuel ReimarusHermann Samuel ReimarusReimarus, Hermann Samuel. Zwischen 1774–1778 publizierte der Wolfenbütteler Bibliothekar Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim Auszüge aus dessen nachgelassenem Werk Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes. Die Publikation löste einen Skandal, den sogenannten FragmentenstreitFragmentenstreit aus. Der Hamburger Gelehrte hatte nicht nur den Offenbarungscharakter des Alten Testaments bestritten, er arbeitete auch die Differenz zwischen Jesus von Nazareth und dem Christus des kirchlichen Dogmas heraus. Den Nazarener rückte Reimarus in das Judentum ein und deutete ihn als politischen Messiasprätendenten. Das ChristusbildChristusbild haben seine Jünger erfunden. Sie stahlen nach seinem Tod seinen Leichnam und verkündeten, er sei auferstanden. Die Position von Reimarus initiierte die historische Rückfrage nach dem [59]Jesus der Geschichtehistorischer Jesus, Jesus der Geschichte, irdischer Jesus. Sie forderte einen neuen Umgang mit dem Problem von Glaube und Historie. Auch Lessing hebt diese Spannung hervor. Die christliche ReligionReligionchristliche lässt sich nicht durch historische Tatsachen begründen. Entscheidend ist für den Wolfenbütteler Bibliothekar die Idee des Christentums. Sie ist eine ewige VernunftwahrheitVernunftwahrheit.

Am Ende des 18. Jahrhunderts geht die NeologieNeologie in den theologischen RationalismusRationalismusRationalismus über. Mit diesem Begriff bezeichnet man die Theologie der Spätaufklärung. Sein Grundzug ist die Behauptung, die menschliche VernunftVernunft könne den Inhalt der Offenbarung aus sich selbst schöpfen. Für die Religion ist eine Offenbarung damit nicht notwendig. Diese wird als eine sinnliche Einkleidung von Vernunftwahrheiten verstanden. Im Unterschied zum Rationalismus behauptet der SupranaturalismusSupranaturalismusSupranaturalismus die Notwendigkeit einer Offenbarung für die Religion. In der biblischen Offenbarung liegt, so seine Überzeugung, ein Inhalt vor, welcher der Vernunft nicht von ihr selbst aus zugänglich ist. Der Streit zwischen beiden Positionen dreht sich somit um den OffenbarungsbegriffOffenbarungsbegriff und sein Verhältnis zur Vernunft. Beide Parteien nehmen die Vernunft in Anspruch, beurteilen allerdings deren materiale Rolle unterschiedlich. Auch die supranaturalistischen Theologen arbeiten mit den Instrumentarien der aufgeklärten BibelkritikBibelkritik. So hat der Tübinger Theologe StorrStorr, Gottlob Christian die historische Kritikhistorische Kritik zur Begründung der AutoritätAutorität der Heiligen Schrift herangezogen. Auch der Supranaturalismus konnte nicht mehr unmittelbar auf den altprotestantischen Lehrbegriff zurückgreifen. Die sittliche Integrität Jesu und der ApostelApostel, die ReimarusReimarus, Hermann Samuel bestritten hatte, begründen diesen Theologen die NormativitätNormativität der Bibel.

Literatur

Karl Aner: Die Theologie der Lessingzeit, Halle a.d. Saale 1929.

Christoph Bultmann: Bibelrezeption in der Aufklärung, Tübingen 2012.

Albrecht Beutel: Aufklärung in Deutschland, Göttingen 2006.

Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V, Gütersloh 1954, S. 3–144.

Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: ders.: Werke in drei Bänden, hrsg. v. Herbert G. Göpfert, Bd. 3, München/Wien 1982, S. 637–658.

Christopher Voigt: Der englische Deismus in Deutschland. Eine Studie zur Rezeption englisch-deistischer Literatur in deutschen Zeitschriften und Kompendien des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2003.

Daniel Weidner: Bibel und Literatur um 1800, München 2011.

[60]Aufgaben

1 Lesen Sie Gotthold Ephraim Lessings Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts.

2 Was unterscheidet das Bibelverständnis der Aufklärung von dem der altprotestantischen Theologie? Nennen Sie grundlegende Unterschiede!

3 Informieren Sie sich über die BibelkritikBibelkritik von Hermann Samuel Reimarus.

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