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Der Aufstieg von Davos

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Alexander Spengler legte mit seiner 1869 publizierten Schrift anschaulich dar, warum für Lungentuberkulöse eine Höhenkur in Davos vorteilhaft sein sollte. Damit verortete er, mit der Unterstützung Conrad Meyer-Ahrens’, die eigentlich von Brehmer mit Bezug auf Görbersdorf formulierte Theorie des heilsamen Höhenklimas in den Schweizer Alpen. Davos (1560 m ü. M.) wurde schon bald zum Referenzort der Theorie, da seine Vertreter spezifische Wirkungen des Höhenklimas geltend machten, die das deutlich tiefer gelegene Görbersdorf (560 m ü. M.) nicht vorweisen konnte. Spenglers frühes und energisches Eintreten ermöglichte Davos gegenüber anderen potenziellen Schweizer Höhenkurorten einen Vorsprung. Entscheidend für den Aufstieg von Davos war die frühe Unterstützung von prominenten Medizinern im In- und Ausland.69 Einen wichtigen Fürsprecher hatten Spengler und Davos beispielsweise in der Person des deutschen Mediziners Anton Biermer (1827–1892), der in Bern und nachher Zürich als Professor für Pathologie wirkte und sich mit den Erkrankungen der Atmungsorgane beschäftigte. Im Mai 1872 beschrieb Biermer in einem Vortrag an der Versammlung des ärztlichen Zentralvereins in Olten die klimatischen Kuren. «Der Süden heilt die Katarrhe, das Höhenklima bessert die Constitution», erklärte er. Biermer bevorzugte das Höhenklima, das einen kräftigenden Einfluss habe. Der Schlüssel zum Verständnis der gelungenen Kuren von Davos lag nach der Meinung Biermers darin, dass die Kranken mehr Esslust und Verdauungskraft bekommen würden. Sie würden mehr Blut und Fett bilden, während die tuberkulösen Prozesse in der Lunge gestoppt würden.70 «Die Winterkuren in Davos und St.Moritz leisten noch mehr als die Sommerkuren», meinte er, «woran die gleichmässige, sonnenreiche, wind- und nebelarme Witterung des Hochthal-Winters die Schuld sein mag.» Gegenüber den südlichen Kurorten markierte Biermer eher Distanz: Er sei kein Verehrer der italienischen Kurorte und empfehle nur weiter südlich gelegene Stationen, am meisten Madeira und in zweiter Linie Algier, Malaga und für gewisse Fälle Kairo.71 Biermer gehörte denn auch zu den medizinischen «Autoritäten», die laut den Davoser Blättern Kranke nach Davos sandten.72

Ein weiterer Anhänger von Davos war der deutsche Arzt Hermann Weber (1823–1918). Weber hatte sich nach seinem Studium in London niedergelassen und arbeitete dort unter anderem am Deutschen Spital. Er war einer der ersten Ärzte in England, der sich auf die Behandlung der Tuberkulose spezialisiert hatte und Patienten in die Schweiz überwies.73 Weber reiste mehrfach in die Alpen und besuchte auch Davos. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel in britischen Fachzeitschriften und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf Davos.74 1867 publizierte Weber im wichtigen Fachblatt British Medical Journal eine Serie von drei Artikeln über den Einfluss des Alpenklimas auf die Lungenschwindsucht. Im ersten verwies er auf die Erkenntnisse von Gelehrten wie Smith, Mühry, Fuchs oder Lombard, die berichtet hatten, dass die Schwindsucht in gewissen hoch gelegenen Regionen nicht vorkomme.75 Auch in Davos gebe es eine Absenz der Phthise, schrieb Weber und stützte sich dabei auf Schilderungen der «exzellenten» dortigen Ärzte, Spengler und Unger.76 Weber beurteilte den Einfluss des Davoser Höhenklimas auf die Lungentuberkulose als «vorteilhaft» («favourable») und erklärte ihn mit der Wirkung der verdünnten Luft.77

Hermann Weber verordnete auch der jungen, schwer lungenkranken Margaret Jones einen Kuraufenthalt in Davos. Diese Überweisung erwies sich als folgenreich. Jones war die Gattin des holländischen Unternehmers und Bankiers Willem Jan Holsboer (1834–1898), der massgeblich zum Aufbau des Kurorts Davos beitragen sollte. Das Ehepaar kam im Mai 1867 nach strapaziöser Reise und anstrengender Kutschenfahrt durchs Prättigau in Davos an. Doch konnte das Höhenklima die junge Frau nicht retten. Margaret Holsboer-Jones starb im Oktober des gleichen Jahres im Alter von 20 Jahren. Trotzdem war Willem Jan Holsboer von der Zukunft des neu entstehenden Kurorts überzeugt, sah dessen ökonomisches Potenzial und übernahm eine zentrale Rolle als Investor. Der spätere Erbauer der Eisenbahnlinie Landquart–Davos (fertiggestellt im Jahr 1890) beteiligte sich am Bau eines Kurhauses in Davos Platz , dessen Erstellung wegen Kapitalmangel ins Stocken geraten war. 1868 eröffnete er die Einrichtung zusammen mit Alexander Spengler als «Kuranstalt Spengler-Holsboer».78 Als diese 1872 abbrannte, baute er mit Unterstützung von Basler Financiers, insbesondere des Bankiers Friedrich Riggenbach, ein neues, grösseres Haus, die «Kuranstalt W.J. Holsboer», die im Herbst 1873 ihren Betrieb aufnahm.79 Medizinunternehmer Holsboer förderte auch das Kurleben mit Theateraufführungen und Konzerten und liess 1881 ein Konversationshaus mit grossem Konzertsaal bauen.80


Kurgäste in Davos. Postkarte von 1909.


Kurhaus Davos Platz, eröffnet 1873 als «Kuranstalt W. J. Holsboer».

Der Ausbau des Kurorts war dringend nötig. Nach 1865 stieg die Gästezahl in Davos ständig. Die bauliche Entwicklung hinkte dem Zustrom an Patienten hinterher. Nach und nach entstanden zum Teil repräsentative Hotels und Pensionen.81 Eine im Jahr 1877 von der Kuranstalt Holsboer herausgegebene Werbebroschüre zeigt, dass in Davos nebst dem Kurhaus sieben grössere Hotels sowie 30 Pensionen und Villen Kurgäste aufnahmen. Die Bestimmung von Davos sei es, ein «Sanatorium für Lungenkranke» zu sein, in dem Patienten Monate oder Jahre verbringen und ein «möglichst behagliches Stillleben» führen würden, hiess es in der Broschüre.82

Anfänglich kamen die meisten Patienten aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Holland. Wichtig für das weltweite Renommee von Davos wurden mit der Zeit Gäste aus England. Diese waren zu Beginn vor allem im noch heute bestehenden Hotel Belvedere zu Gast, das der lungenkranke deutsche Kaufmann Johann Carl Coester (1846–1892) 1875 mit rund 30 Zimmern eröffnet hatte.83 Coester plagten auch in Davos gesundheitliche Probleme, dennoch baute er sein Hotel ständig aus und unternahm einen «energischen Werbefeldzug in England».84 In einem Artikel erwähnte Coester insgesamt 25 Beiträge über Davos, die im Jahr 1877 in englischen Zeitungen erschienen waren. Dies hatte gemäss Coester zur Folge, dass die Zahl der englischen Kurgäste deutlich anstieg.85 Als einer der ersten bekannten Publizisten kam 1877 der englische Kunsthistoriker John Addington Symonds (1840–1893) nach Davos. Selbst lungenkrank, liess er sich in Davos nieder und verfasste bereits ein Jahr später einen «begeisterten Aufsatz» über Davos im Winter. Er popularisierte die Kur und den Winteraufenthalt in den Alpen. Zudem fand er Begeisterung für den Wintersport und wurde Präsident des Britischen Schlittelclubs in Davos. 1893 starb er im Alter von 53 Jahren an Tuberkulose.86 In Davos entstand nach und nach ein englisches Viertel mit eigener Kirche und Konsulat.87 Auch russische Vereinigungen und Institutionen wurden ab den 1890er-Jahren in Davos gegründet. Bereits Mitte der 1860er-Jahre hatten Russen zu den ersten Kurgästen gezählt.88 Im Jahr 1909 übertraf dann die Zahl der Russen diejenige der Engländer. Die Russen stellten damit hinter Deutschen und Schweizern das grösste Gästekontingent.89

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