Читать книгу Der Traum von Heilung - Christian Schürer - Страница 8
Quellen und Forschungsstand
ОглавлениеUm darzulegen, wie sich die Theorie des heilenden Höhenklimas in der Medizin etablieren und behaupten konnte, untersuchte ich Artikel, Aufsätze und andere Schriften von Ärzten und von Medizinern an Universitäten und Forschungseinrichtungen. Texte von Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen sind weniger vorhanden, dass es insbesondere im 19. Jahrhundert erst eine kleine Zahl von Medizinerinnen gab. Texte von Frauen stammen vornehmlich aus den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums.35 Hauptquelle sind Artikel aus medizinischen Fachzeitschriften. Systematisch ausgewertet habe ich das Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte, welches 1871 gegründet und 1920 in Form von zwei Zeitschriften weitergeführt wurde: als Schweizerische Medicinische Wochenschrift und als Ärztezeitung. Das Correspondenz-Blatt war in der Schweiz das zentrale Organ für medizinische Wissenschaft und Standesfragen.36 In ihm lassen sich, wie später auch in der Schweizerischen Medicinischen Wochenschrift, die medizinischen Diskussionen wie diejenige über die Behandlung der Lungentuberkulose verfolgen. In den Fachzeitschriften schrieben Medizinprofessoren oder Ärzte für ein medizinisches Fachpublikum und beeinflussten die medizinische Meinungsbildung entscheidend. Weiter zählen zu meinem Quellenmaterial Schriften von Ärzten, Medizinwissenschaftlern oder Naturforschern, welche sich für die Diskussion über die Höhenbehandlung der Lungentuberkulose als bedeutsam erwiesen und auf die bereits in der zeitgenössischen medizinischen Diskussion verwiesen wurde. Zudem analysierte ich Kurführer oder Werbebroschüren und konsultierte Protokollbücher des Davoser Ärztevereins und Landrats sowie einzelne Jahresberichte von Sanatorien. Untersucht habe ich auch literarische Quellen, allen voran Thomas Manns Roman Der Zauberberg. Diese ermöglichen einen anderen, nichtärztlichen Blick auf den Untersuchungsgegenstand. Der Zauberberg kommt in praktisch jeder Studie über die Tuberkulose vor und darf auch in meiner Arbeit nicht fehlen, weil er in Bezug auf die Fragestellung wichtige theoretische Aussagen enthält und sich in seiner Entstehungsgeschichte bedeutsame Anhaltspunkte für die These meiner Arbeit finden lassen.37
Eine historische Monografie über die Höhenbehandlung der Lungentuberkulose in der Schweiz und ihre wissenschaftlichen Begründungen, welche deren Etablierung und deren Bestehen während eines Zeitraums von rund hundert Jahren aus einer konstruktivistischen Perspektive nachzeichnet, gibt es meines Wissens nicht.38 In Aufsätzen oder Artikeln wurden indes schon verschiedene Elemente dieser Geschichte dargestellt. Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten der Historikerin Daniela Vaj von der Universität Lausanne: 2005 beschrieb sie in einem Aufsatz verschiedene wissenschaftliche Grundlagen der Entstehung der cure d’altitude, insbesondere die Genese der Vorstellung, dass es hoch gelegene, «immune» Orte gebe, in denen keine Lungentuberkulose vorkomme.39 Ebenfalls zu erwähnen ist der kurze Artikel «Heilsame Höhenluft? Die Höhenkliniken als Wallfahrtsorte» der Historikerin Iris Ritzmann, welche die Geschichte der Höhentherapie nachzeichnet und ebenfalls die Frage aufwirft, ob hinter dem Glauben an die Höhenkuren auch handfeste, wirtschaftliche Interessen standen.40 Einen Überblick über die Höhentherapie gibt der Artikel des Lausanner Medizinhistorikers Vincent Barras über «Nutzen und Gefahren der Höhenluft».41 Schliesslich ist ein Aufsatz des französischen Philosophen François Dagognet von 1959 zu erwähnen, der den Erfolg der Luftkur auch auf mythologische und psychoanalytische Grundlagen der «Elevation» zurückführte.42
Daneben existieren verschiedene Darstellungen über die Geschichte von Höhenkurorten. Zu nennen ist hier das Buch der englischen Kulturhistorikerin Susan Barton, Healthy living in the alps von 2008, welches die Geschichte von Davos, Arosa, St. Moritz, Leysin und Grindelwald als Kur- und Wintersportorte nachzeichnet.43 Ralf Schenks umfassende und in Bezug auf die Tuberkulosegeschichte informative Darstellung der Geschichte des heilklimatischen Kurortes Davos geht implizit von einer in der Natur bestehenden günstigen Wirkung des Höhenklimas bei Lungentuberkulose aus.44 Zudem sind verschiedene Arbeiten zur Geschichte der Tuberkulosebekämpfung in der Schweiz vorhanden. Zu nennen ist insbesondere Hausordnung und Liegekur (1998) von Iris Ritzmann, welche nicht nur die Geschichte der Zürcher Höhenklinik Wald aufarbeitete, sondern auch Grundsätzliches über die Sozialgeschichte der Tuberkulose in der Schweiz aufzeigt.45 Wichtig für meine Arbeit sind auch die umfassenden sozialgeschichtlichen Studien von Daniel Gredig über die Tuberkulosefürsorge in der Schweiz (2000) sowie die Arbeit der Historikerin Andrea Kaufmann, Luft zum Leben, von 2008 über die Geschichte der Lungenliga Zürich.46 Verschiedene Historikerinnen und Historiker haben die Sozialgeschichte der Tuberkulose einzelner Länder aufgearbeitet, wie es auch mehrere Darstellungen über die Geschichte der Sanatoriumstherapie gibt.47 Von Bedeutung für die Fragestellung meiner Arbeit ist dabei insbesondere der Aufsatz «Behandlung ohne Heilung» von Flurin Condrau über den Behandlungserfolg der Sanatoriumstherapie.48 Die Höhentherapie der Lungentuberkulose wurde in der Medizingeschichte immer wieder thematisiert, indem über ihre medizinische Richtigkeit debattiert wurde. Sie wurde rückblickend gutgeheissen oder, in der Schweiz erst in jüngerer Zeit, verworfen, etwa als eine «Geschichte der Trugschlüsse».49 Es ist indes nicht das Ziel meiner Arbeit, aus der heutigen Perspektive eine frühere medizinische Theorie zu kritisieren. Der konstruktivistische Ansatz will vielmehr aufzeigen, dass es nicht zwangsläufig hätte kommen müssen, wie es gekommen ist, und fragt, warum es so gekommen ist.50