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1.3.2 Friedrich Fröbel (1782–1852)
ОглавлениеÄhnlich wie Pestalozzi, der lange vor Begriff und Systematik einer sozialpädagogischen Disziplin diese in Theorie und Praxis vorbereiten half, verhält es sich mit Fröbel. Fröbel war Pestalozzis Schüler. Fröbels Wirksamkeit betrifft das frühe Kindesalter. Er ist der Begründer des „Kindergartens“, der sich auch als Wort und Begriff Fröbel verdankt und unter der deutschen Bezeichnung Eingang in die internationale Welt gefunden hat. Fröbel ist ein durch und durch Kind bezogener väterlicher Erzieher mit mütterlichen Zügen und einer anthropologischen Einstellung, die dem Mütterlichen bei der Erziehung höchste Bedeutung beimisst. Hier mag sein lebenslanges „Heimweh“ nach seiner früh verstorbenen Mutter prägend gewirkt haben. In seinen Träumen bleibt sie ihm, er ihr bei wichtigen Entscheidungspunkten seiner Berufswahl verbunden.
Weltanschaulich erkennt Theodor Heuss bei Fröbel ein „Ineinander von rationalistischen und romantischen Elementen“ (HEUSS 1951, S. 104). „Hat er wohl auch inneren Anteil an den „ganzheitlichen“, an den „organischen“ Auffassungen der Natur und des natürlichen Lebens (der Romantik, d. Verf.)“, so lässt sich „aber in der Anlage seiner erzieherischen Methode, in der etwas umständlichen Pedanterie, wie er sie ausbreitet, ein rationalistisches Element erkennen – der „Aufklärung“ ist, eingeboren, ein stärkerer pädagogischer Optimismus zu eigen, wenn sie auf den Menschen blickt und ihn, mit Rousseau, für ‚gut’ erklärt; das ist auch, religiös betont, Fröbels Auffassung. Und jener sehr lebhafte Sinn für Maß, Ordnung, Zahl ist auch ein Erbe des 18. Jahrhunderts: ‚Menschenerziehung ohne Mathematik ... ist darum ein haltloses Stück- und Flickwerk ... Menschengeist und Mathematik sind so unzertrennlich als Menschengemüt und Religion’“ (ebd., S. 103).
Inwiefern ist Fröbel Sozialpädagoge? Hierfür gibt es drei hervorragende Gründe:
1 Er legt das Fundament für die frühkindliche Erziehung, bei der der Individualcharakter jedes Kindes höchste Beachtung findet. Ihn zu entwickeln und zu fördern bedeutet, dass das Kind innerhalb der Gemeinschaft mit Mutter, Familie, Kindergartengruppe und Kindergärtnerin gemeinschaftsbezogen und mit einem gezielten pädagogischen Angebot zum Guten heranwächst. Damit erfüllt seine Pädagogik die Kriterien der Sozialpädagogik als wirkliche Pädagogik, die die Einseitigkeiten von Staats- und Individualpädagogik aufhebt (1.3.5).
2 Fröbel nimmt sich mit der frühen Kindheit einer Lebenslage an, die für seine Zeit – und wohl auch noch immer – als benachteiligt, weil vernachlässigt angesehen werden muss. In der Zuwendung zu den aus gesellschaftlichen Gründen Benachteiligten ist ein allgemeiner Charakterzug der Sozialpädagogik auszumachen.
3 Fröbel entwickelt theoretische Ansätze, die bis heute sozialpädagogische Bedeutsamkeit behalten haben. Ihnen soll daher im Einzelnen nachgegangen werden.
Fröbels Erziehungsphilosophie ist gekennzeichnet durch einen Verbund anthropologischer und psychologischer Elemente, lange bevor die Disziplinen, denen sie heute zuschreibbar sind, etabliert waren.
Ein erster Grundsatz, der Fröbels Lebenswerk durchzieht, kann in Kurzform lauten: Der Mensch und als solcher auch das Kind der ersten Lebensjahre ist von Natur aus gut. Schlecht kann es nur durch schlechte Erziehung werden. Bei Fröbel selbst liest sich das z. B. so: „Darum liegt aller Erscheinung der Fehlerhaftigkeit in dem Menschen eigentlich und ursprünglich eine zerdrückte oder verrückte gute Eigenschaft, ein gutes Streben, nur zurückgedrängt, missverstanden und missgeleitet, verleitet, zugrunde, und darum besteht das einzige, aber auch nie trügende Mittel, alle Fehlerhaftigkeit, ja Bosheit und Schlechtigkeit zu vernichten und aufzuheben, darin, sich zu bemühen, die ursprünglich gute Quelle, Seite des menschlichen Wesens aufzusuchen und aufzufinden, in deren Zerdrückung, Störung oder Missleitung die Fehlerhaftigkeit ihren Grund hat, diese dann zu nähren, zu pflegen, aufzurichten, recht zu leiten; so wird die Fehlerhaftigkeit endlich, wenn auch mit mühseligem Kampf gegen die Gewohnheit, nicht gegen ursprünglich Böses im Menschen, schwinden, und dies um so schneller und sicherer, weil der Mensch selbst den Weg der Fehlerhaftigkeit verlässt; denn der Mensch will lieber das Rechte als das Schlechte“ (nach RATTNER 1981, S. 149f.).
Eine zweite Position Fröbels – bezogen auf den Menschen – ist, dass er ihn in jeder Stufe seiner Entwicklung als vollwertig ansieht, dass nicht eine Lebensphase dem Zweck einer nachfolgenden geopfert werde, letztlich, dass das Leben des kleinen Kindes seinen Sinn in sich und nicht außer sich z. B. im Ziele des Erwachsenwerdens hat. Dieser Grundsatz ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Janusz Korczak (1. 3. 21) und von Hermann Nohl (1. 3. 22) mit gleicher Intensität für den Eigenwert der Jugend wiederholt worden.
Als dritte Markierung der Fröbelschen Theorie ist die Hervorhebung der Eigentätigkeit zu nennen. Von Pestalozzi hatte er den Zentralwert der Anschauung bei allem Lehren und Erziehen gelernt. Er selbst geht darüber hinaus, indem er den tätigen Umgang mit dem Angeschauten als die dem Menschen, speziell dem Kinde, eigene Aneignungsform stark unterstreicht.
Als vierte Grundlinie fällt auf, als wie wichtig er eine atmosphärisch innige und zeitaufwendige Erziehung durch Mutter, Elternhaus und Kindergarten ansieht: „Vor allem die ‚höheren Stände’ nahmen sich in der damaligen Epoche wenig Zeit, mit ihren Kindern Umgang zu haben; Ammen, Dienstboten und Hausmeister erzogen die Kinder des Adels, während es vielfach für die Eltern Stunden des Amüsements waren, in denen sie sich ihre Kinder vorführen ließen. In diese Zeit und in diese Zustände, die auch schon die Kritik anderer gegeißelt hatte, dringt nun der Fröbelsche Ruf: ‚Kommt, lasst uns unseren Kindern leben!’“ (RATTNER 1981, S. 150).
Schließlich muss ein fünftes sozialpädagogisches Argument Fröbels herausgehoben werden: Seine Auffassung von der Atmosphäre der Erziehung. Seinen Kindergarten sieht er als „Spielschule“, in der Rhythmus und Gymnastik, Vers und Lied eine freudige Grundstimmung gewährleisten. Druck und Strafe hält Fröbel für vollkommen ungeeignete Erziehungsmittel. Nur von ihnen her rühren seiner Meinung nach die verqueren Eigenschaften der Kinder, die dann angeblich mit ihnen bekämpft werden sollen.
Soweit die theoretischen Grundannahmen Fröbels. Sie korrespondieren in der praktischen Dimension mit einer sorgfältig bedachten Methodenlehre, die sich neben Vers, Reim und Lied vor allem auf die von Fröbel als „Gaben“ entwickelten Spielzeuge beziehen. 1850 bringt Fröbel das lebenslang Entwickelte in die endgültige Form: Den Spielsatz oder Spielschatz führt an der für die Kinderhand passende Ball in den Farben des Regenbogens. Ihm folgen als räumliche Grundelemente Kugel, Würfel, Walze, Balken und Klötze, Dreieckskörper und Legeflächen, Stäbchen, Erbsen sowie kleine Steine. Fröbel geht davon aus, dass im spielerischen Nacheinander des Umgangs mit den Gaben sich die grundlegenden Erkenntnisse und Verhältnisse zum Raum, zu Geometrie, zur Architektur bilden. „Flechten mit Papierstreifen, Papier-Falten, Modellieren in Wachs, Lehm und Ton, Ausschneiden von Formen, Zergliedern von Körpern usw.: Dies alles umfasste die niedere Stufe der Spielschule. Auf der höheren Stufe traten dann die Rollen, Rad, Welle und Wagen auf; das Kind wird mit allen diesen Gegenständen immer zur Tätigkeit angeregt zum Schaffen, Gestalten, schöpferischen Tun. Die Spielzeuge sind deshalb möglichst unkompliziert, um die Phantasie des Kindes anzuregen; aus demselben Grunde wird bei den meisten Tätigkeiten gesungen, kleine Verse oder Lieder begleiten die kindliche Aktivität, oder aber auch Erzählungen, die sinnreich auf das aktuelle Spiel Bezug nehmen. Auch die Gymnastik findet ihren Platz und gibt nicht nur Anlass den Körper zu kräftigen, sondern wird auch dazu benützt, das Kind spielerisch in manche menschliche Berufe und Arbeiten einzuführen. Zeichnen und Gesang vervollständigen den Umkreis der kindlichen Spielmöglichkeiten, erste Ansätze einer Kunst-Erziehung, die natürlich dem frühen Alter gemäß sein müssen, wenn sie das Kind erfreuen und beglücken sollen; an der Freude des Kindes bei seiner Tätigkeit ist alles gelegen, und weder Spiel noch Unterricht können schöpferische Kräfte entbinden, wenn sie nicht von Glück, Heiterkeit und Humor getragen sind. Fröbel war sich stets klar darüber, dass sein Werk im Dienste der kindlichen Lebensfreude stand“ (ebd., S. 148).
Neben der Gründung des Kindergartens selbst als sozialpädagogische Institution, neben der Methodenlehre und der mit ihr verbundenen „Gaben“, ist die von Fröbel ins Leben gerufene Kindergärtnerinnen-Ausbildung zu nennen. Einerseits besticht sie als frühe professionelle Grundlegung des so eminent wichtigen Berufes, zum anderen leistet sie einen Beitrag zur Emanzipation der benachteiligten Frauen, für die sich hier eines der ersten anerkannten Berufsfelder erschloss. Wir werden sehen, wie diese Wegführung später von Mary Richmond (1. 3. 16) und Jane Addams (1. 3. 14) in den USA und von Alice Salomon (1. 3. 19) in der deutschen Sozialarbeit eingeschlagen wird.
Gesellschaftskritik hat Fröbel insofern geübt, als er immer wieder die Eltern auf die Verantwortung für die Erziehung der Kinder hinwies. Sein Motto in diesem Zusammenhang wurde schon erwähnt: „Lasst uns unseren Kindern leben!“ Auch eine im engeren Sinne als Staatskritik auffassbare Publizistik wurde von ihm betrieben, so wenn er 1836 die Notlage des Familienlebens aus staatspolitischen Gründen beschreibt und anprangert. Trotzdem wurde wohl eher seine Haupttätigkeit als kirchen- und staatsgefährdend betrachtet: In der Schweiz bekämpfte ihn der Klerus wegen seiner überkonfessionellen Christlichkeit, in Preußen wurden von 1851 bis 1861 alle Kindergärten Fröbelscher Herkunft verboten, wohl auch, wie Theodor Heuss andeutet, wegen der gemeinsamen Linie mit der Frauenemanzipation (vgl. HEUSS 1951, S. 108).
Fröbel hat die Abschaffung dieses Verbotes nicht mehr erlebt, konnte jedoch mit einem gewissen Trost die Entwicklung der Kindergartenbewegung in den anderen deutschen Staaten sowie im Ausland beobachten. Heute ist der Kindergarten vielerorts und vielerstaats zu einer selbstverständlichen Einrichtung geworden, an der die sozialpädagogischen Bedingungen seiner Gründerzeit nur noch mit besonderer Aufmerksamkeit erkennbar sind.