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1. 3. 12 Johannes Trüper (1855–1921) (Carsten Müller)

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Johannes Trüper gilt als ein wichtiger, heute teils in Vergessenheit geratener Ahnherr der Heilpädagogik. Unter anderem mit der Gründung seines „Erziehungsheimes und Jugendsanatoriums Sophienhöhe“ im Jahr 1890 bei Jena legt er einen Grundstein zur Professionalisierung und Institutionalisierung der Heilpädagogik (vgl. BETTERMANN/ SCHOTTE 2002). Hinsichtlich der systematischen Verortung der Sozialpädagogik mit Blick auf deren Nachbardisziplinen ist Trüper hoch interessant: Dachten bereits die Begründer des Begriffes „Heilpaedagogik“, Jan Daniel Georgens und Heinrich Marianus Deinhardt, durchaus auch sozialpädagogisch (vgl. MÜLLER 2006b), bricht diese Wurzel bei Trüper zur vollen Blüte durch (vgl. MÜLLER 2007).

Vor allem mit der Abhandlung „Erziehung und Gesellschaft“ (TRÜPER 1890a) eröffnet er die „Sozialpädagogikdiskussion im und um den Herbartianismus“ (SCHRÖER 1999, S. 29). Mit Herbartianismus ist eine auf den berühmten Pädagogen Johann Friedrich Herbart zurückgehende pädagogische Richtung gemeint, die lange in Deutschland vorherrschend war. Dabei ist beachtlich, dass sich Spätherbartianer wie Trüper frühzeitig, jedenfalls vor dem Neukantianismus etwa in Person Natorps, sozialpädagogischen Themen zuwandten. Gewissermaßen kann der Herbartianismus als eine bis dato noch wenig beachtete Zugangsquelle zur Sozialpädagogik angesehen werden (vgl. DOLLINGER/ MÜLLER 2007).

Mit der oben genannten Abhandlung („Erziehung und Gesellschaft“, 1890a) beabsichtigt Trüper, „Lücken in dem Fundamente unseres pädagogischen Systems“ zu schließen, etwa das seiner Ansicht nach wenig untersuchte „Verhältnis der Schule und Erziehung zur Gesellschaft und der Schulwissenschaft, wie der gesamten Pädagogik überhaupt, zur Gesellschaftswissenschaft“ (ebd., S. 195). An diesem Thema arbeitet Trüper in sozialpädagogischem Duktus die „Ergänzung des Individualprinzips der Pädagogik durch das Sozialprinzip“ (ebd., S. 198) heraus. Mithin will Trüper Pädagogik mit Sozialforschung, Sozialwissenschaft bzw. Soziologie verbunden wissen.

Für ihn steht fest: „Der Mensch ist eben von Natur gesellschaftlich veranlagt und zum gesellschaftlichen Leben bestimmt; nur im Zusammenhang mit seinesgleichen kann er das werden und leisten, was er soll“ (ebd., S. 242). Dementsprechend geht es ihm um die Überwindung selbstsüchtiger Individualität durch Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben, etwa in Form von Familie, Gemeinde, Staat, Kirche usw. Hierin zeigt sich Trüpers sozialkonservativer Ansatz. Ähnlich wie wir es für Wichern (1.3.4) festgestellt haben, erwartet Trüper um 1900 nicht von einer revolutionär gestimmten Arbeiterbewegung, in der er vielmehr die „rote“ Gefahr sieht, sondern vor allem von der Rückbesinnung auf die Familie als Urtypus gemeinschaftlichen Lebens gesellschaftliche Integration. Wie schon bei Natorp (1. 3. 11), der im Vergleich der Sozialdemokratie näher steht, ist auch für Trüper die soziale Frage „in erster Linie eine pädagogische Frage“ (ebd., S. 233). Indes zielt Trüper mittels sozialer Erziehung auf die Stabilisierung und den Erhalt der bestehenden Ordnung, was jedoch Reformen nicht ausschließt.

Diese Zielsetzung überträgt Trüper auch auf die Schule. In seinen Augen hat die Schule „eine sociale Aufgabe und ist eine sociale Angelegenheit“ (TRÜPER 1890b, S. 6-7). Mittels einer sozialpädagogisch erneuerten Schulpädagogik will er den Zerwürfnissen seiner Zeit versöhnend entgegen treten. „Aller einseitigen Schulweisheit gegenüber haben wir eingedenk zu bleiben, dass es die Aufgabe der Schule ist, sich in den Dienst des Lebens zu stellen und ihre Zöglinge so zu bilden, dass das gemeine Leben sie nicht bloß brauchbar finde, sondern dass sie auch die Fähigkeit gewinnen, bessernd auf dasselbe einzuwirken“ (TRÜPER 1890c, S. 55).

Dabei bezieht sich Trüper vor allem auf seinen väterlichen Freund Friedrich Wilhelm Dörpfeld und dessen Ideen zur Schulverfassung, wie dieser sie z. B. in der Schrift „Die freie Schulgemeinde und ihre Anstalten auf dem Boden der freien Kirche im freien Staate“ aus dem Jahr 1863 entwickelt hat (vgl. DÖRPFELD 1898). Die hier gestellte Schulverfassungsfrage fragt danach, in welchen Händen die Schule pädagogisch sinnvoll gehalten werden soll. Wie bereits Mager, auf den sich Dörpfeld stützt, kommt auch Trüper zu der Erkenntnis, dass der Staat nicht Schulherr sein darf. Entsprechend Trüpers sozialkonservativem Denken gehört die Schule, aufruhend auf dem Familienprinzip, in die Hand der Familien und deren historisch gewachsenen Zusammenschlüssen, den Gemeinden. Nur eine derart selbstverwaltete Schule kann ihr sozialpädagogisches Potenzial entfalten.

Mithin wird deutlich, dass aus Sicht Trüpers auch die Schule als eine sozialpädagogische Einrichtung gesehen werden muss. Vielleicht sollte die aktuelle Soziale Arbeit diesen Blick auf die Schule jenseits von eng geführter Schulsozialarbeit wieder stärker einnehmen! Auch die Heilpädagogik findet hier Anschlussfähigkeit: Das oben erwähnte von Trüper gegründete Erziehungsheim „Sophienhöhe“ war nach genannten sozialpädagogischen Gesichtspunkten ausgerichtet und wirkte dadurch gewissermaßen als ein erstes Landerziehungsheim sozialintegrativ.

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