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1. 3. 10 Helene Lange (1848–1930)

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Es wäre anmaßend, Helene Lange im engeren Sinne als Vertreterin der Sozialen Arbeit zu vereinnahmen. In erster Linie ist sie die „unbestrittene Führerin der dt. Frauenbewegung der ersten Generation“ (DAUZENROTH 1971, S. 30). Pädagogisch lässt sie sich als Schulpädagogin mit weitestreichender politischer Wirksamkeit verstehen: Ihr vor allem ist es zu verdanken, dass die Oberstufe des Gymnasiums auch für Mädchen eingerichtet wurde, dass es somit eine allgemeine Hochschulreife für Mädchen gab und damit Frauen Zug um Zug die Universitäten und akademischen Berufe aufgetan wurden.

Warum also wird die große Frau hier im Register der Personen mit theoretischen Vorgaben für die Sozialpädagogik aufgeführt? Unseres Erachtens setzt sie auf metatheoretische Axiome, die zutiefst auch aller wahren Sozialpädagogik vorgegeben sind und die mit modernen humanistischen Grundanschauungen übereinstimmen:

1. Menschen sind gleichwertig und haben das Recht auf gleiche Chancen.

Helene Lange geht es in diesem Zusammenhang um die Aufhebung der Bildungsbenachteiligung der Mädchen und der damit verbundenen politischen Ausschaltung der Frauen. Für die Bildungstheorie liest sich das so: „Wenn wir das Prinzip, nach dem jetzt unsere höhere Mädchenschule bewusst oder unbewusst arbeitet, auf die einfachste Formel zu bringen versuchen, so dürfte es diese sein: Der Frau soll an Bildungsgütern gegeben werden, was nötig ist, um dem Manne die genügende geistige Resonanz zu bieten, seine interessierte Gefährtin zu sein, um sein Haus zu schmücken und in der Geselligkeit der sogenannten höheren Stände die ihr durch Sitte und Herkommen dort zugewiesene Rolle zu spielen. ...

Was für ein Prinzip haben wir, die wir nicht einen Ausbau, sondern einen vollständigen Neubau der höheren Mädchenschule wollen, dem gegenüber zu stellen?

Ich würde es einfach so formulieren: Der Frau muss an Bildungsgütern gegeben werden, einerseits, was sie als zukünftige Mutter in dem für diese Schulgattung maßgebenden Wirkungskreis nötig hat, andererseits, was eine brauchbare Grundlage für den Eintritt in mittlere und höhere Berufe bildet.

Zwischen der bisherigen – sagen wir kurz: Resonanztheorie, auf der die jetzige höhere Mädchenschule fußte, und der von uns aufgestellten Forderung klafft der ganze Abgrund, der den nur zum Aufnehmen, zum Anteilnehmen bestimmten Menschen von dem Menschen, der geben kann, trennt, dem Menschen mit Eigenbildung, mit dem Wissen, das zum Prüfen, zur Bildung selbstständiger Überzeugungen führt; zwischen dem Menschen, der kennt und dem Menschen, der kann“ (LANGE 1908, S. 2).

Deutlicher heißt es an anderer Stelle: „Mit der ausschließlichen Beziehung der ganzen Entwicklung unserer Mädchen auf den Mann ... fällt auch ihre ausschließliche Erziehung durch den Mann; ja, solche Frauen, wie wir sie wollen, können gar nicht durch Männer allein gebildet werden; es bedarf dazu aus vielen Gründen durchaus des erziehenden Fraueneinflusses“ (LANGE zit. n. BÄUMER 1901, S. 83).

2. Frauen haben das Recht auf politische Gleichberechtigung.

Für die politische Gleichberechtigung der Frau argumentiert Helene Lange auf hohem theoretischen Niveau ihr Leben lang. Eine vorzügliche Stelle, ebenfalls von Gertrud Bäumer als bedeutsam herausgestellt, liest sich folgendermaßen:

„Sobald die Erkenntnis der Bedeutung der Frau für das Gemeinwohl in den Kreisen der Männer genügend Wurzel gefasst hat, dann, aber auch erst dann, wird der Augenblick gekommen sein, in dem die gesetzgebenden Faktoren, von der öffentlichen Meinung gedrängt, für das Frauenstimmrecht eintreten werden.

Und so ist uns unser Weg gewiesen. Es gilt zunächst – und diese Arbeit haben wir schon mit Energie in Angriff genommen – die Hindernisse zu beseitigen, die uns am Leisten hindern. Es gilt einzudringen in die Arbeit der Gemeinden, in die Schulverwaltungen, die Universitäten, die verschiedenen Berufszweige, und überall zu zeigen: das kann die Frau“ (LANGE zit. n. BÄUMER 1901, S. 149).

3. Politisches Engagement der Frauen erfordert Zielsetzungen.

Helene Lange, die gleiches Bildungsrecht und politische Gleichstellung für Frauen fordert, postuliert für ein politisches Engagement der Frauen Zielsetzungen, die sich genuin als solche der Sozialen Arbeit verstehen lassen: „Es gilt, der „Dame“ entgegenzutreten, die durch das parfümierte Taschentuch den „Armeleutegeruch“ fernhalten möchte; es gilt das Laster in seinen Schlupfwinkeln aufzusuchen, die Kindlein zu uns kommen zu lassen, den Verwaisten und Verlassenen Pflegerinnen zu sein und unerschrocken die Wahrheit zu sagen über alles, was da faul ist auf sozialem Gebiet, mag uns noch so oft das allmählich doch etwas in Misskredit geratende „Unweiblich“ entgegengeschleudert werden. Der Weg ist weit; aber er ist kein Umweg. Denn wir nehmen viel mit unterwegs, all das Rüstzeug, das wir für eine spätere Zeit brauchen“ (ebd., S. 149).

Der Impetus der großen Frauenrechtlerin für die Soziale Arbeit macht klar, dass es keine geteilte Gerechtigkeit gibt: Der Anspruch der Emanzipation der einen, hier der Frauen, geht einher, eng verschwistert, mit dem Anspruch der Aufhebung von Benachteiligung anderer. Ferner kongruiert das schulpädagogische Engagement zugunsten der Mädchen mit einer Kritik der zeitgenössischen „Staatspädagogik“ der einseitigen Männerbildung. Hier ist eine Übereinstimmung mit Magers Standortbestimmung der Sozialpädagogik zu erkennen, die er als „wirkliche“ Pädagogiksynthese absetzt gegen die Einseitigkeiten der Staats- und Individual-pädagogik.

Wie sehr die Nähe der theoretischen Entwürfe Helene Langes, der Frauenrechtlerin zur Sozialpädagogik in der Sozialen Arbeit, auch biografisch nachvollziehbar ist, zeigt ihre freundschaftliche Beziehung zu der jüngeren Gertrud Bäumer, mit der sie gemeinsame Politik und wissenschaftliche Herausgeberschaften insbesondere im „Handbuch der Frauenbewegung“ (1901) verbindet. Auch Alice Salomon (1. 3. 19) ist Koautorin in diesen Editionen.

Handbuch Sozialpädagogik

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