Читать книгу Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie - Christiane Weller / Michael Stuhr - Страница 27
Оглавление23 SOCHON
König Sochon saß im warmen Licht der Abendsonne auf seinem Lieblingsplatz auf der Terrasse, sah auf das Meer hinaus, und nicht zum ersten Mal fühlte er sich wirklich alt.
Fast eine halbe Million Tage und Nächte hatte er gelebt, aber die Probleme waren immer dieselben geblieben: Wie tarnen wir uns? Wie verbergen wir unsere Andersartigkeit, und wie gehen wir mit denen um, die sich nicht an die Regeln halten?
Vor knapp einer halben Stunde hatte ihn einer seiner Vertrauensleute angerufen und ihm gesagt, dass es in den Regionalnachrichten interessante Neuigkeiten gäbe. In den Bergen sei eine Frau gefunden worden, die ganz den Eindruck erwecke, als habe jemand ihr die Lebenskraft geraubt. Zeitgleich sei ein Mädchen von einem der Campingplätze in Grimaud verschwunden. Der Mann hatte auch durchblicken lassen, dass er es für möglich hielt, dass Dolores und Adriano Del Toro etwas mit der Sache zu tun haben könnten.
Sochon hatte dem Mann gedankt und das Gespräch beendet. Gedankenverloren hatte er das Telefon aber in der Hand behalten und ein wenig damit herumgespielt. Die schlechten Nachrichten kamen immer auf solchen Wegen. Früher waren es Läufer gewesen, dann Reiter mit versiegelten Briefen, und heute war es das Telefon, das die Welt von einem Moment auf den anderen verdunkeln konnte.
Einer aus Sochons Volk hatte sie alle gefährdet. Was auch immer seine Triebfeder gewesen sein mochte, er hatte es riskiert, dass der Deckmantel, der über der Existenz des Alten Bundes lag, weggezogen wurde. Er, der König, würde handeln müssen, und er würde es so tun, wie er es immer getan hatte: Das Problem musste schnellstmöglich aus der Welt geschafft werden. Nur gut, dass er diesen Reno auf der Lohnliste hatte, sonst hätte er vielleicht zu spät von der Sache erfahren. Der Mann war zwar ein Fremder, aber zuverlässig und wertvoll. Sochon nahm sich vor, ihm eine Prämie zukommen zu lassen.
Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Sochon wusste mehr als Reno, und sofort war ihm das Gespräch mit Diego wieder eingefallen. War der nicht kürzlich bei ihm gewesen und hatte ihm erzählt, dass er sich in eine Fremde verliebt hatte? Hatte er nicht selbst Sorge gehabt, die Beherrschung zu verlieren? Sochon konnte nur hoffen, dass es nicht gerade diese Fremde war, die man bei Mons gefunden hatte.
Wirklich Diego? Sochon hoffte, dass das nicht so war. Er klappte sein Notebook auf und ging auf die Website des Senders, der die Berichte inzwischen online gestellt hatte. Was er dort zu sehen bekam, beruhigte ihn ein wenig. Das verschwundene Mädchen und die alte Frau entsprachen nicht Diegos Beschreibung. Zu groß war die Ähnlichkeit mit den Frauen aus dem eigenen Volk. Aber ansonsten schien es kein blinder Alarm zu sein. Die Frau war alt, ausgezehrt und verletzt, aber kein bisschen gebrechlich, sondern in erstaunlich guter, körperlicher Verfassung. Dazu noch der Verlust des Gedächtnisses ... Reno hatte Recht. Das alles waren Anzeichen dafür, dass einer aus Sochons Volk die Kontrolle verloren hatte.
Aber wer? Leider fiel auch Sochon nur ein einziger Name ein. Auch sie war eine nahe Verwandte. Der Fluch des Blutes lastete auf ihr, wie auf dem König selbst. Sochon konnte das sogar verstehen. Er war in jungen Jahren bei weitem nicht so genügsam gewesen, wie er Diego erzählt hatte. Er kannte die Gier, die alle Bedenken beiseite fegte und alles egal sein ließ. Trotzdem: Sie war damit aufgefallen und es musste etwas unternommen werden. Normalerweise wäre das ein Job für Adriano und seine Agenten gewesen, aber da es sich um seine Schwester handelte, und er vielleicht sogar an der Tat beteiligt war ...
Sochon wäre nicht so lang König geblieben, wenn er sich nicht neben Adriano und seinen Leuten auch einen zweiten Geheimdienst geleistet hätte. Mit einem Seufzer nahm er das Telefon auf und begann eine Nummer zu wählen. Schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell.