Читать книгу Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie - Christiane Weller / Michael Stuhr - Страница 28

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24 GENESUNG

Das erste, was ich höre, ist aufgeregtes Gemurmel. Dazwischen flüstert eine vertraute Stimme immer wieder „Lana, Lana“!

Als ich die Augen aufschlage, nehme ich benommen wahr, dass es Maman ist, die aus unerfindlichen Gründen mit der Hand gegen meine Wange schlägt und immer wieder meinen Namen ausspricht.

„Was ist los, lass mich doch schlafen.“ Ich will mich umdrehen und mir die Decke über den Kopf ziehen und merke plötzlich, dass ich nicht in meinem Bett, sondern auf hartem Bretterboden liege. Verwirrt setze ich mich auf. Um mich herum stehen lauter Leute, die ich zuerst gar nicht erkenne. Sie starren mich alle neugierig an. Plötzlich tauchen Fleur und Pauline in meinem Gesichtsfeld auf und hocken sich neben mich.

„Mensch Lana, was machst du denn für Sachen?“ beschwert sich Fleur. Pauline nickt zu diesen Worten mit verkniffenen Lippen und angstgeweiteten Augen.

Ich bin mir nicht bewusst, irgendwelche Sachen gemacht zu haben. „Was ist denn los, was habt ihr denn alle?“

„Du bist umgekippt, Chérie, einfach so.“ Meine Mutter hält mir ein Glas Wasser an die Lippen. „Bitte trink etwas, das wird dir gut tun.“ Dabei sieht sie mich besorgt an.

Gehorsam nehme ich ein paar Schlucke Wasser und schaue mich dabei verstohlen um. Ich stelle fest, dass ich mitten in der Strandbar auf dem Fußboden sitze. Wie peinlich! Ich will hier weg.

Hinter den Köpfen der Menschen, die um uns herumgestanden haben und sich nun langsam zerstreuen, bemerke ich plötzlich den Fernseher und schlagartig kommt die Erinnerung zurück. „Nein!“ stoße ich aus und wehre das Wasserglas ab. „Nein!“ Ein trockenes schmerzhaftes Schluchzen steigt aus meiner Kehle und ich schlage die Hände vor das Gesicht. Ich will nicht mehr daran denken, das Bild von Felix mit ihren schrecklich verwirrten alten Augen und dem faltigen Mund aus meinem Gedächtnis löschen, nichts mehr wissen, alles vergessen.

„Nicht weinen Chérie, sch, sch, sch.“ Maman nimmt mich in den Arm und wiegt mich sacht. Starke Hände heben mich plötzlich vom Boden hoch. Während Papa mich zu unserem Stellplatz führt, presse ich mein Gesicht an seine Schulter. Ich sacke immer wieder zusammen. Er trägt mich mehr, als dass ich laufe.

Maman eilt voraus und öffnet die Tür zu unserem Wohnwagen. Im hinteren Bereich gibt es eine lange Seitenbank, auf die ich mich sinken lasse, während meine Mutter mir ein Kissen unter den Kopf schiebt. Ich drehe mich zur Wand und weine. Ich kann die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie laufen einfach aus mir heraus wie ein nicht enden wollender Strom. Meine Kehle verkrampft sich schmerzhaft vom vielen Schluchzen. Ich spüre, wie Maman mir eine leichte Decke überlegt, ziehe darunter die Beine an die Brust und umklammerte meine Knie.

Durch das geöffnete Seitenfenster dringt das besorgte Gemurmel meiner Eltern an mein Ohr. „Das war alles zu viel für sie“, flüstert Maman.

„Ob wir wohl besser einen Arzt holen?“ Auch Papas Stimme klingt eher ratlos.

Ich könnte ihnen ja erzählen, was mit mir ist, was mich so wahnsinnig traurig macht. Aber wie sollte ich ihnen klar machen, was ich gesehen habe? Wer würde mir glauben, dass die alte Frau in den Bergen Felix ist? Sie würden mich für verrückt erklären und ich könnte es ihnen noch nicht einmal verdenken.

Verzweifelt umklammere ich meine Knie und schluchze erneut laut auf. Mir ist kalt, ein Schauer läuft durch meinen ganzen Körper und ich beginne, unkontrolliert zu zittern. Ich presse die Augen zusammen, um die immer wiederkehrenden Bilder von Felix aus meinem Kopf zu verdrängen.

Eine Hand legt sich auf meine Stirn, während eine schwere, warme Decke über meinen Körper gleitet. „Sie ist ganz heiß! Ich glaube, wir brauchen doch einen Arzt“, höre ich meine Mutter noch sagen, dann falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Als ich die Augen aufschlage, sehe ich Diego vor mir. Er hält meine Hand.

Das kann nicht sein, denke ich und flüstere „Ich träume.“ „Lana, Lana“, höre ich seine Stimme und muss lächeln. Ein schöner Traum. Ich spüre eine warme Hand auf meiner Wange, schmiege mich daran und will wieder einschlafen.

„Ist sie wach?“ Mamans besorgte Stimme reißt mich in die Wirklichkeit zurück.

„Noch nicht wirklich, sie denkt noch, dass sie träumt, aber sie wird gleich aufwachen“ Wieder Diegos Stimme!

„Woher wissen Sie das?“ Papa klingt skeptisch.

„Ich spüre es!“ sagt Diego bestimmt und ich überlege, ob ich vielleicht doch nicht träume, vor allem, weil ich genau merke, wie die Hand an meiner Wange verschwindet.

„Diego?“, es ist eher ein Krächzen, was da aus meinem Mund kommt, während ich ungläubig die Augen aufschlage.

„Ja Lana, ich bin hier“, sagt Diego und lächelt mich zärtlich an.

„Aber, aber, wie, was?“ ist alles was ich stammeln kann, während ich ihn anstarre, wie eine Erscheinung.

„Chérie, endlich!“ Meine Mutter beugt sich über mich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Dabei verdeckt sie die Erscheinung, die wie Diego spricht.

Ich richte mich auf, um mich zu vergewissern, dass das alles keine Täuschung, kein Traumbild ist. Tatsächlich sitzt Diego auf meiner Bettkante. Er hat meiner Mutter, die mir einen Becher mit warmem Tee an die Lippen hält, etwas Platz gemacht. Ich trinke in gierigen Zügen, denn ich habe großen Durst. Dabei starre ich weiter auf Diego und rechne damit, dass er sich jeden Moment in Luft auflöst.

Nichts dergleichen passiert. Er lächelt mich weiterhin an und Papa erscheint nun auch in meinem Blickfeld. „Na, wie geht’s dir, Kleines?“

„Ich glaube, ganz gut.“ Ich weiß es nicht wirklich, denn ich denke immer noch, dass dies alles nicht wahr sein kann. Wieso sollte Diego hier in unserem Wohnwagen sitzen? Meine Eltern kennen ihn doch gar nicht.

Diego steht auf und sagt leise: „Ich werde jetzt gehen. Ich denke, wir müssen keine Angst mehr haben. Lana wird wieder gesund!“ Mit diesen Worten lächelt er mir zu, drängt sich an meinen Eltern vorbei durch den engen Wohnwagen und verschwindet aus meinem Gesichtsfeld.

„Ja, ich glaube auch“, Maman nickt und schaut mich ernst an. Seit wann glaubt sie das, was ein Fremder sagt? Diego ist doch kein Arzt, oder doch? Wer ist er eigentlich überhaupt?

Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, kommt Pauline hereingestürmt. „Lana, endlich, wir haben uns schon solche Sorgen gemacht! Wie kannst du uns das nur antun?“ sprudelt es nur so aus ihr heraus.

„Wo kommst du denn her?“, will ich von ihr wissen.

„Ich hab draußen gewartet. Fleur ist auch da. Mann, wir hatten echt Angst um dich!“

Nun komme ich aber doch langsam ins Grübeln. Noch jemand, der sich Sorgen um mich gemacht hat? Ich habe mich doch nur etwas ausgeruht. „Was habt ihr denn nur alle? Ich hab ein bisschen geschlafen, na und?“

„Na und?“ Pauline schaut mich mit großen Augen überrascht an. „Du bist gut. Zwei ganze Tage und Nächte hast du gepennt und da soll man sich keine Sorgen machen dürfen?“

„Echt?“ verwirrt schaue ich meine Eltern an, die mit ernster Miene dazu nicken. Mit einem Mal sehe ich, dass ihre Gesichter ganz blass sind. Papa, der immer so auf sein Äußeres achtet, hat sich wohl schon einige Zeit nicht mehr rasiert. „Wir hätten dich fast schon ins Krankenhaus gebracht, wenn Diego nicht gewesen wäre. Er war so fest davon überzeugt, dass du nur ein wenig Ruhe brauchst, dass wir dich haben schlafen lassen“, sagt er.

„Man kann doch nicht so lange schlafen, ohne dass man mal muss und zumindest auch Durst hat!“ Ich glaube immer noch, dass hier alle übertreiben.

„Du warst zweimal so halbwach, da hab ich dich aufs Klo gebracht und dir was zu trinken gegeben.“

„Auf dem Klo?“

„Nein!“ Maman lacht, „Natürlich nicht auf dem Klo! Hier im Bett haben wir dir ein bisschen eingeflößt, damit du nicht ganz austrocknest. Diego meinte, das würde reichen und du würdest bestimmt bald wieder aufwachen.“ Unsicher sieht Maman Papa an.

Jetzt kann ich mich aber doch nicht mehr bremsen. „Ich finde Diego ja total nett und es ist echt toll, dass ihr ihn auch mögt, aber trotzdem: Ihr kennt ihn doch gar nicht! Wieso habt ihr ihm einfach so geglaubt? Wenn er sich nun geirrt hätte, wäre ich glatt abgekratzt!“

Mein Vater reibt sich an seinem unrasierten Kinn herum und runzelt die Stirn. Dabei schaut er fragend zu meiner Mutter hinüber. Auch sie schaut ihn etwas unsicher an.

„Er wirkte so überzeugend“, sagt Papa schließlich zögernd. „Irgendwie haben wir ihm geglaubt und er hatte ja auch Recht.“

„Na toll!“ Mehr bringe ich nicht heraus, denn mit einem Mal fliegt mir die kleine sommersprossige Ratte Didier in die Arme.

„Mann, ich dachte schon, ich müsste jetzt die ganze Zeit allein im Zelt schlafen!“ ruft er aus. „Kommst du jetzt wieder rüber?“

Na prima, nur darum geht’s ihm also? Das nehme ich ihm doch sofort ab. Wenigstens einer, der hier ehrlich ist.

Noch etwas wackelig auf den Beinen gehe ich nachmittags mit Diego zum Strand. Er hat einen Arm um mich gelegt und hält mich fest. Das fühlt sich so schön und warm an, dass ich mir wünsche, wir könnten ewig so weiter laufen. Schließlich setzen wir uns am Strand in den Schatten einer Pinie und ich atme in tiefen Zügen die salzige Luft ein. Der warme Wind streichelt mein Gesicht und ich schließe kurz die Augen. Ich fühle mich immer noch etwas benommen, aber ich musste einfach mal raus aus dem Wohnwagen und weg von der liebevollen Fürsorge meiner Eltern.

Nur mit tausend Versprechungen, dass er auch ja auf mich aufpassen, und mich bei den ersten Anzeichen einer Schwäche sofort zurückbringen würde, konnte Diego mich hierher mitnehmen.

„Ah“, stöhne ich auf, während ich das Gesicht in den Wind halte. „Das tut so gut!“

„Schau mal, wer da kommt, der hat dich auch schon vermisst!“ Mit dem Kinn deutet Diego bei diesen Worten hinter mich.

Ich schaue mich um und sehe in Dustys braune treuherzige Hundeaugen. Er sitzt in einiger Entfernung und schaut mich sehnsüchtig an. Dabei bewegt er seine Vorderpfoten unruhig im Sand.

„Na komm schon, niemand tut dir was“, flüstert Diego neben mir mit einer so eindringlichen, samtigen Stimme, dass ich mich am liebsten in seine Arme werfen würde. Ich drehe mich um und sehe, dass er Dusty fixiert. Ich war wohl leider nicht gemeint.

Dusty schnieft und blinzelt verwirrt zu Diego. Schließlich steht er auf und kommt vorsichtig näher. Er lässt Diego nicht aus den Augen, während er sich neben mich setzt. Ich kraule ihn und spüre die Anspannung in seinem kleinen, warmen Hundekörper.

„Man könnte meinen, er hätte Angst vor dir.“

Diego grinst mich an. „Hat er wahrscheinlich auch, weil er ein kluger Hund ist!“

„Wie meinst du das?“ Erstaunt schaue ich Diego an, aber der schüttelt ernst den Kopf und sagt: „Keine Angst Lana, ich mag Dusty. Aber stell dir mal vor, er würde jedem sofort trauen, das könnte doch auch ganz gewaltig schief gehen oder?“

„Ja“, antworte ich automatisch und schaue auf Dusty, der sich mir gerade entwindet und mit allen Anzeichen der Erleichterung mit flatternden Ohren über den Strand davon stürmt, als sei er gefangen gewesen und nun plötzlich wieder frei. Warum habe ich bloß das dumme Gefühl, dass Diego mir irgendetwas verschweigt?

Warum dieses Misstrauen, diese komische Ahnung von etwas Unheimlichen, die mit einem Mal in mir hochsteigt? Mir wird ganz schwindelig. Ich lehne mich an den warmen Baumstamm hinter mir und versuche, die wieder aufsteigenden Bilder von Felix, die mich überfluten wollen, zurückzudrängen. Unwillkürlich muss ich seufzen. Es ist mir gar nicht richtig bewusst, aber Diego hat es gehört.

„Was ist los? Dich bedrückt doch was Lana?“ Diegos Stimme klingt so warm, ruhig und zärtlich zugleich. „Ich habe das Gefühl, du denkst, du könntest mit niemandem darüber reden. Mit mir kannst du reden. Sag mir, was dich so krank gemacht hat.“ Diego schaut mich so konzentriert an, während er das sagt, dass in mir der Verdacht aufkeimt, er wüsste schon, was mich bedrückt, bevor ich überhaupt darüber geredet habe. Aber wie soll er das wissen? Die ganze Geschichte ist so abstrus, das kann kein Mensch erahnen. Das kann ich ihm unmöglich erzählen. Er wird mich für verrückt halten.

Andererseits, mit wem sollte ich sonst darüber reden? Meine Eltern würden mich doch sofort nach Paris zum besten Psychiater bringen. Didier würde wahrscheinlich heimlich mit der Blauen Elise losfahren, um Felix zu suchen und Pauline und Fleur? Sie würden mir vermutlich einen Tee kochen und mich bemuttern, bis ich selber nicht mehr glauben würde, was ich gesehen habe.

Warum sind die beiden auch nicht dabei gewesen, als das im Fernsehen kam? Sie hätten es verstanden. Sie hätten es sofort gewusst, dass das Felix war.

Entschlossen richte ich mich auf und schaue in Diegos liebes Gesicht.

„Na, Mut gefasst? Vertraust du mir?“ flüstert er.

Ich nicke und beginne nervös und unsicher meinen verrückten Mutmaßungen Ausdruck zu verleihen. Die klingen so blödsinnig, dass ich mich selber dafür schäme. Trotzdem weiß ich, dass es stimmt. Hoffentlich glaubt mir Diego, der mit gesenktem Kopf schweigend neben mir sitzt.

„Ich will sie suchen Diego, ich will wissen, was passiert ist. Wir müssen nach Mons, in die Berge. Diego hilfst du mir dabei?“ Ich schaue ihn an.

Er wendet mir sein Gesicht zu und ich erschrecke. Ich sehe darin so viel Wut und Verzweiflung, so einen Widerstreit der Gefühle, dass ich denke, ich sitze neben einem Dampfkessel, der gleich platzt. Diego legt die Hände vor das Gesicht und beugt den Kopf über die angezogenen Knie. So sitzt er eine ganze Weile. Ich beobachte ihn verwirrt. Was hat er?

„Nicht schon wieder!“, zischt es zwischen seinen Fingern leise hervor.

„Was?“

Er wendet sich mir zu und versucht dabei zu lächeln. „Wir fahren, morgen! Ich helfe dir, Lana. Wir klären das auf.“ Er schaut mich nicht an, während er das sagt. Sein Blick ist auf einen Punkt hinter mir gerichtet. Seine Stimme klingt ganz rau und sein sonst so schönes Gesicht ist angespannt, ohne jeden Ausdruck, fast wie tot. Er wirkt mit einem Mal so anders, so seltsam, dass er mir fast Angst macht.

„Diego?“ behutsam berühre ich seine Schulter.

Er blinzelt mich an, als erwache er aus einem Traum und nähme mich jetzt erst wahr. „Ja?“

„Was ist mit dir?“

„Nichts, es tut mir alles nur so Leid.“ Er schaut mich mit seinen dunklen Augen an, die in mir so viel Vertrauen erweckt hatten, die aber im Moment so fremd, so unsicher und traurig wirken. Da ist es plötzlich wieder, mein Misstrauen. Kalt kriecht es in mir hoch.

„Was weißt du, Diego?“

Diese klare Frage scheint ihn vollkommen durcheinander zu bringen. Rasch wendet er sich von mir ab und schaut aufs Meer hinaus.

„Ach Lana!“ Es klingt wie ein Seufzer, ein Schluchzen, so verzweifelt, so traurig. „Ich verspreche dir, ich werde alles tun, was ich kann, um dir zu helfen!“

Eine ganze Weile starrt er auf das Meer. Ein leichtes Zittern läuft über seinen Rücken. Still sitze ich neben ihm, wage nichts zu fragen und nichts zu sagen. Was geht in ihm vor? Warum ist er so aufgewühlt? Es passt gar nicht zu dem Diego, den ich kenne, der immer so stark und sicher wirkt.

Er steht plötzlich auf, murmelt „entschuldige, das muss jetzt sein!“ geht mit schnellen Schritten zum Wasser, zieht sich im Laufen T-Shirt und Shorts aus und ist so schnell in den Wellen verschwunden, dass ich mir gar nicht erklären kann, wie das vor sich gegangen ist.

Ich lehne mich wieder an den Baumstamm und beobachte gespannt die Wasseroberfläche. Er muss doch gleich wieder auftauchen. Tut er auch, aber sehr viel weiter draußen, als ich vermutet habe. Wie ist er so schnell dorthin gekommen?

Mit langsamen, aber kraftvollen Zügen schwimmt er zum Strand, nimmt seine Sachen auf, schlüpft in die Shorts und schlendert, das T-Shirt in der Hand mit nass glänzendem Oberkörper zu mir zurück.

Ich sitze da und schaue ihm staunend entgegen. Nicht, weil seine gebräunte Haut so makellos im Sonnenlicht glänzt, sondern weil da Diego auf mich zukommt. Der Diego, den ich kenne und nicht der, der eben so verzweifelt und verkrampft neben mir gehockt hat. Ich staune über diese Verwandlung. Schon von weitem lächelt er mir zu und mir wird ganz warm, als ich dieses Diego-Lächeln sehe, das mich von Anfang an so an ihm fasziniert hat.

Schließlich steht er vor mir „Du willst nach Mons, dorthin, wo sie die alte Frau gefunden haben?“

„Ja! Das ist Felix. Ich will wissen, was da passiert ist.“

Er reicht mir die Hand. „Komm, wir müssen jetzt zurück. Es wird ein hartes Stück Arbeit, aber ich weiß schon, wie wir deine Eltern überzeugen.“ Mit diesen Worten zieht er mich aus dem Sand und legt den Arm um meine Schulter. Es geht mir längst nicht mehr so schlecht, wie vorhin. Ich könnte auch alleine gehen. Aber warum sollte ich? So ist es doch viel schöner.

Während wir den Weg zu unserem Stellplatz entlang schlendern, schießt mir plötzlich eine Frage durch den Kopf. Na ja, wie bei mir üblich, schießt sie eben nur durch und aus dem Mund gleich wieder raus: „Wieso bist du überhaupt hier?“ Diese Frage klingt in meinen eigenen Ohren so extrem doof, dass mir die Schamröte ins Gesicht steigt.

Diego bleibt stehen und schaut mich erstaunt, fast schon lauernd an.

„Ich meine“, stammele ich schnell weiter, „ich freu mich total, dass du hier bist, aber wie ist das gekommen? Ich meine, dass du hier bei mir, bei uns bist, dass du dich mit meinen Eltern so gut verstehst. Weißt du, wie ich meine?“ füge ich unsicher hinzu. Diego drückt mir die Schulter, grinst und zieht mich weiter.

„Ich hab dich vorgestern nicht am Strand gesehen und mir Sorgen gemacht. Dann habe ich deine Freundin getroffen und die hat mir erzählt, was passiert ist. Da bin ich natürlich gleich zu euch. Ich musste doch wissen, wie es dir geht!“

„Aber meine Eltern, die, die haben dich einfach so zu mir gelassen? Das ist sonst gar nicht ihre Art, die kennen dich doch eigentlich gar nicht!“

„Deine Eltern sind ganz okay“, erwidert er gelassen, „ich hab mich vorgestellt, ein wenig mit ihnen geplaudert. Sie mögen mich, glaube ich.“

Unsicher schaue ich ihn von der Seite an. Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Meine Eltern würden keinesfalls so schnell mit einem Fremden Freundschaft schließen, von dem sie wissen, dass der was von ihrer Tochter will. Niemals hätten sie mich dann auch noch in meinem Zustand mit diesem Fremden allein an den Strand gehen lassen. Wie zum Teufel hat Diego das bewerkstelligt, dass sie ihm ihre Tochter anvertrauen?

„Da seid ihr ja!“ der hörbar erleichterte Ausruf meiner Mutter scheint mich in meinen Gedankengängen zu bestätigen.

„Hallo Madame Rouvier!“ Diego lächelt neben mir total charmant und seine Stimme bekommt wieder diesen samtigen Unterton, als er fortfährt. „Hier bringe ich Ihnen Ihre Lana wieder. Der frische Seewind hat ihr gut getan, es geht ihr schon viel besser.“

Erstaunt schaue ich ihn an. Er hat Recht, es geht mir wirklich besser. Aber woher, verdammt noch mal, will er das wissen? Wie kommt er dazu, das einfach so zu behaupten? Wir haben über alles Mögliche gesprochen, aber nicht über meine Befindlichkeiten!

„Das ist ja wunderbar.“ Meine Mutter lächelt zuckersüß. „Möchtet ihr was trinken? Setzt euch doch!“ Mein Vater kommt mit Gläsern und einer eiskalten Flasche Evian aus dem Wohnwagen und stellt alles auf den Tisch. Auch er lächelt so irgendwie anders, fremd. Was ist mit ihnen los? Irgendwie sind meine Eltern im Moment nicht meine Eltern. Sie kommen mir fast schon - ferngesteuert vor.

„Monsieur Rouvier“, wendet sich Diego an meinen Vater, nachdem er sich gesetzt und höflich dankend ein Glas Wasser in Empfang genommen hat. „Ich möchte Ihnen morgen Ihre Tochter entführen, zu einem kleinen Ausflug in die Berge, damit sie auf andere Gedanken kommt. Was halten Sie davon?“

Mein Vater öffnet und schließt kurz den Mund. Unsicher schaut er meine Mutter an. Auch Maman wirkt irgendwie verwirrt.

„Ich werde sie Ihnen heil zurückbringen“, fügt Diego neben mir leise hinzu.

„Warum eigentlich nicht?“ lächelt mein Vater plötzlich erleichtert, „Das wird ihr sicher gut tun, oder was meinst du, Marie?“

Meine Mutter nickt lächelnd. „Sicher, das wird ihr bestimmt Spaß machen. Oder Lana?“

Na endlich fragt in diesem ganzen Schmierentheater auch mal jemand nach meiner Meinung. „Ja klar!“ erwidere ich und bemühe mich, nicht zu enthusiastisch zu klingen, damit meine Eltern nicht doch noch Verdacht schöpfen. Aber für sie scheint das Thema erledigt. Sie reden mittlerweile mit Diego über das Wetter und die hohen Benzinpreise, so als ob es nichts Außergewöhnliches sei, seine Tochter gerade mal mit einem Wildfremden in die Berge zu schicken.

Was verdammt noch mal ist hier los? Spielen die mir hier alle Theater vor? Aber dieses Mal halte ich den Mund. Schließlich will ich kein Risiko eingehen, dass die ganze Sache doch noch platzt.

Während Diego sich charmant und weltläufig mit meinen Eltern unterhält, denke ich darüber nach, was wir wohl morgen herausfinden werden. Vielleicht ist das mit Felix ja doch nur ein schrecklicher Irrtum.

Gesamtausgabe der

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