Читать книгу Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie - Christiane Weller / Michael Stuhr - Страница 29
Оглавление25 COMMISSAIRE RENO
Commissaire Reno hätte mit sich zufrieden sein können. Die Information, die er Sochon hatte zukommen lassen, hatte ihm ein hübsches Sümmchen eingebracht und ein ähnlicher Deal mit Adriano Del Toro war auch sehr gut gelaufen. Del Toro hatte ihm glatte Fünftausend zukommen lassen, auch wenn Reno nicht darum gebeten hatte.
Reno hatte nie nach Geld gefragt, aber dennoch hatte ihm die Verbindung zu diesem seltsamen Volk, dem Alten Bund, wie sie sich selbst nannten, im Lauf der Jahre so viel eingebracht, dass er sich von heute auf morgen hätte zur Ruhe setzen können, wenn er es gewollt hätte. Reno war jedoch zu sehr Kriminalist, als dass er seinen Posten vorzeitig geräumt hätte. Es machte ihm Spaß, die Geheimnisse zu lüften, die Verbrechen verschleierten, und die Lügengebäude zum Einsturz zu bringen, die andere so kunstvoll zu errichten wussten. Genau darum war er auch nicht glücklich damit, wie der Fall Felicitas Dagget im Moment lief.
Reno seufzte, griff nach dem Aktenordner und sah sich das Bild von Felicitas noch mal an. Es bedrückte ihn, dass die Eltern dieses fröhlichen, lebensfrohen Mädchens niemals erfahren würden, was wirklich mit ihrer Tochter geschehen war.
Reno hielt sich selbst für unbestechlich, und das war er im Grunde genommen auch. Es war nur so, dass er selbst so tief in der Schuld dieses seltsamen Wasservolks stand, dass er einfach nichts unternehmen konnte, was Sochons Interessen zuwiderlief.
Fast Zwanzig Jahre war es jetzt her, dass er mit seiner Familie, von Saint Maxime aus, einen mehrtägigen Ausflug in einem gemieteten Segelboot gemacht hatte. Mitten auf dem Meer war in der Kajüte plötzlich der kleine Gasherd explodiert. Die Aufbauten hatten sofort Feuer gefangen. Renos Frau hatte sich verletzt aus der Kajüte retten können. Der Feuerlöscher war unerreichbar direkt über dem Herd, genau in den Flammen gewesen. Entgeistert und hilflos hatten sie vom Heck des Bootes aus zusehen müssen, wie sich der Brand durch Sperrholz und Kunststoff immer weiter auf sie zu fraß.
Brennendes Plastik war von den Aufbauten herabgetropft und hatte immer neue Brandnester entfacht. Es hatte einen Wassereinbruch gegeben. Rettungsringe hatte der Vermieter sich gespart und sie hatten kein anderes Schiff in der Nähe entdecken können. Die Segel hatten Feuer gefangen, und plötzlich waren sie im Wasser gewesen: Reno, seine Frau und seine dreijährige Tochter.
Sie waren in Richtung Küste geschwommen und hatten abwechselnd die Kleine über Wasser gehalten. Sie hatten gewusst, dass das alles eigentlich sinnlos war, aber sie hatten es trotzdem getan. Schon bald hatten die Kräfte sie verlassen und sie hatten sich nur noch treiben lassen können. So weit draußen war das Wasser nicht so warm gewesen, wie an den Stränden und erste Anzeichen von Unterkühlung hatten sich bemerkbar gemacht. Plötzlich war Renos Frau zusammen mit der Kleinen weggesackt.
Reno hatte versucht zu tauchen, aber seine Muskeln waren ganz starr und hart wie Stein gewesen, und er hatte unter Wasser nichts sehen können. Er hatte gemerkt, dass er selbst es auch nicht mehr schaffen würde, die Oberfläche zu erreichen, aber das war ihm schon egal gewesen. Besser, hier und jetzt umkommen, als allein weiterzuleben.
Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hatte Reno plötzlich tastende Hände an seinem Körper gespürt. Das konnte nur seine Frau sein, und er hatte es als tröstlich empfunden, in so enger Verbundenheit mit ihr zu sterben. Seltsamerweise hatten die Hände dann aber fest zugegriffen und ihn kraftvoll in Richtung Licht geschoben. Er war zu schwach gewesen, zu bemerken, was geschehen war. Er hatte die Oberfläche noch nicht erreicht, da war es endgültig schwarz um ihn herum geworden.
Das Nächste, woran Reno sich erinnerte, war, dass er sich an Bord der Dark Diamond befand, einer Luxusyacht unter amerikanischer Flagge. Der Skipper, ein gewisser Gomez, hatte sie an Bord genommen und sowohl Renos Frau als auch seiner Tochter ging es schon wieder recht gut.
Dieser Gomez schien ein mächtiger Mann zu sein und er führte ein strenges Regiment auf seinem Schiff. Er wies den Renos eine luxuriös ausgestattete Zweibettkabine zu, die sie nur mit seiner Erlaubnis verlassen durften, und sie hielten sich daran. Sie waren vom Bordarzt versorgt worden. Seine Frau und seine Tochter waren schon eingeschlafen und er selbst war so erschöpft gewesen, dass er in einem der Sessel eingenickt war.
Zurück in Saint Maxime war die Dark Diamond auf Reede gegangen und man hatte die Renos mit einem Beiboot an Land gebracht. Bevor sie das Schiff verließen, hatte Gomez gefragt, ob er der Reno von der Kripo in Grimaud sei.
Reno hatte bejaht und Gomez hatte von ihm verlangt, dass er sich am nächsten Tag mit ihm treffen solle.
Für Reno war noch längst nicht alles geklärt, was mit Gomez und dem plötzlichen Auftauchen der Dark Diamond zusammenhing. Die ganze Rettungsaktion war ihm ein einziges Rätsel, also hatte er zugestimmt, um mehr zu erfahren.
Er war nicht sehr überrascht gewesen, als Gomez ihm vorschlug, doch ein wenig Kontakt zu halten, um hier und da ein paar Unebenheiten zu begradigen. Solche Angebote bekam er fast jeden Monat, und bislang hatte er sie alle ausgeschlagen. Bislang! Denn Gomez hatte seiner ganzen Familie das Leben gerettet, und so hatte Reno zögernd zugestimmt.
Das alles war nun lange her und im Laufe der Zeit hatte Reno so einige Mosaiksteinchen zusammensetzen können. Er wusste, dass er es mit Leuten zu tun hatte, die sich als eigene Rasse, als eigenes Volk verstanden, das nach eigenen Regeln lebte. Wenn sie auch ein paar sehr fragwürdige Gewohnheiten hatten, und Fähigkeiten, über die man besser nicht weiter nachdachte, da war nichts, was ein normales Gericht hätte aburteilen können. Diese Leute waren nicht wirklich kriminell, nur anders, also konnte er auch darauf vertrauen, dass sie ihre Verbrecher nach eigenen Gesetzen bestraften. Trotzdem war es ihm nicht wohl bei dem Gedanken, sie der offiziellen Gerichtsbarkeit entzogen zu haben. Nur allzu gern hätte er den Eltern von Felix die Täter präsentiert, aber das kam nicht in Frage. Diebstahl von Lebenskraft war leider kein Delikt, das im Strafgesetzbuch vorkam.
Die Daggets! Reno nahm sich vor, morgen die psychiatrische Klinik zu besuchen, in der Felix untergebracht war. Dann würde er die Eltern informieren, dass er möglicherweise ihre Tochter entdeckt hatte, die an einer seltsamen Krankheit litt. Den Rest an Zweifeln würden der Erkennungsdienst und das Labor beseitigen können. Schließlich musste es in dem Wohnmobil noch massenhaft Fingerabdrücke und DNA-Spuren der Kleinen geben. Er dachte daran, wie das Wiedersehen wohl verlaufen würde und unwillkürlich ballte sich seine Hand zur Faust. Im Moment wünschte er sich nichts mehr, als Dolores und Adriano Del Toro in einer Gefängniszelle zu sehen. Sollten sie da doch langsam und qualvoll zugrunde gehen. - Aber dieser Wunsch musste unerfüllt bleiben.
Nein, Commissaire Reno war nicht mit sich zufrieden. Absolut nicht!