Читать книгу Contractor Compliance - Christoph LL.M. Frieling - Страница 17
c) Neuartige Fälle: Interim-Management, Scrum, „Work-on-Demand“ etc.
Оглавление23
Unabhängig von diesen grundlegenden Beschäftigungsformen haben sich in jüngerer Vergangenheit angesichts neuartiger Marktanforderungen auch noch weitere spezielle Formen von Tätigkeiten an der Grenze zur Scheinselbstständigkeit herausgebildet. Auch wenn diese zwar im Grundsatz einer der genannten Beschäftigungsformen, d.h. den Solo-Selbstständigen oder Werkvertragsunternehmen, zuzuordnen sind, weisen sie ganz spezifische Besonderheiten auf, die für die jeweiligen Statusfragen im Rahmen einer (Schein-)Selbstständigen-Compliance von Bedeutung sind.
24
Das prominenteste Beispiel für derartige Erscheinungsformen bildet das sog. Interim-Management.[16] Dieser Begriff bezeichnet den befristeten Einsatz externer Führungskräfte im Unternehmen im Rahmen einzelfallbezogener Projekte etwa bei geplanten Börsengängen, Unternehmenstransaktionen oder der Sanierung und Restrukturierung von Unternehmen, Produkteinführungen sowie ganz allgemein bei Überbrückung von Vakanzen im Fall des Ausscheidens von Führungskräften. Der zeitlich befristete Einsatz ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass Interim-Manager zumeist über ausgeprägte Erfahrungen und Spezialwissen für eine erfolgreiche Bewältigung dieser besonderen Szenarien verfügen. Nach aktuellen Markteinschätzungen beträgt allein die Anzahl der in Deutschland tätigen Interim-Manager ca. 15 000 und das durch derartige Tätigkeiten erzielte Gesamthonorarvolumen mehr als 2 Mrd. EUR im Jahr.[17]
25
Für die Praxis des Interim-Managements kommt neben den Unternehmen und den Interim-Managern den zahlreichen Providern eine wesentliche Bedeutung zu, die den Unternehmen eine Auswahl geeigneter Interim-Manager zur Verfügung stellen. In der Folge ist zwischen zwei grundlegenden Modellen des Interim-Managements zu unterscheiden. Das „angelsächsische Modell“, dem auf dem deutschen Markt lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukommt, fällt unter die Kategorie der Solo-Selbstständigen, indem Provider und Unternehmen einen so genannten Dienstverschaffungsvertrag abschließen, in dessen Folge es zu einem direkten Vertragsschluss zwischen dem Unternehmen und dem Interim-Manager kommt. Dagegen ist das weit verbreitete „holländische Model“ mit der Kategorie des Werkvertragsunternehmens vergleichbar, denn analog zum Fall des Einsatzes von Leiharbeitnehmern entsteht hier ein vertragliches Dreiecksverhältnis: Der Interim-Manager schließt einen Vertrag mit dem Provider und der Provider seinerseits mit dem Unternehmen, bei dem der Interim Manager eingesetzt werden soll.
26
Unabhängig davon ergeben sich in compliance-relevanter Hinsicht mit Blick auf die konkreten Einsatzgebiete von Interim-Managern zahlreiche Unterschiede daraus, ob der Interim Manager im Unternehmen ausschließlich zur Projektarbeit außerhalb des laufenden Tagesgeschäfts oder zur bloßen Überbrückung von Vakanzen im Tagesgeschäft eingesetzt wird. Gerade in dem zuletzt genannten Fall kommt es in der Praxis oftmals zu Einbindungen in die Arbeitsabläufe vor Ort und einer Interaktion zwischen dem Interim-Manager als Führungskraft und den Mitarbeitern des Auftraggeber-Unternehmens, was in compliance-relevanter Hinsicht äußerst problematisch ist. In diesen Fällen können dann auch, ähnlich wie es bei Werkverträgen oftmals praktiziert wird, Mechanismen wie beispielsweise angepasste Repräsentantenmodelle eingesetzt werden, um Interaktionen einzuschränken bzw. in geordnete Bahnen zu lenken und dadurch Risiken im Zusammenhang mit einer Scheinselbstständigkeit zu minimieren.
27
Zudem haben sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem in digitalen und weiteren „kreativen“ Bereichen weitere neuere Formen der Projektarbeit entwickelt, die im Vergleich zu klassischen Modellen der unternehmerischen Zusammenarbeit, bei denen die Abläufe „von oben“ koordiniert werden, durch teamförmige und selbstorganisierte Vorgehensweisen gekennzeichnet sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das „Scrum“[18] zu nennen. Dieser im Englischen für „Gedränge“ stehende Begriff bezeichnet einen häufig im Bereich der Software-Entwicklung anzutreffenden Projektmanagement-Rahmen, dessen wesentliches Merkmal die Aufteilung eines einheitlichen, zumeist komplexen Prozesses in kleine „gemischte“ Einheiten bildet, die ihrerseits oftmals sowohl aus Mitarbeitern unternehmensinterner (IT-)Fachabteilungen sowie externer (IT-)Fachkräfte beteiligter (Softwareentwicklungs-)Unternehmen bestehen. Innerhalb dieser Entwicklerteams wird den einzelnen Beteiligten dann auch eine weitreichende, oft sogar alleinige Gestaltungsmacht über den Arbeitsprozess eingeräumt, sodass es bei konsequenter Anwendung weder zu arbeitsrechtlichen Weisungen des Managements noch darunter angesiedelter Repräsentanten des Auftraggebers an die Entwicklerteams kommt. Derart neuartige Formen der Arbeitsorganisationen eröffnen zwar Gestaltungsspielräume hinsichtlich einer Einbindung Selbstständiger, was in compliance-relevanter Hinsicht aber vor allem eine konsequente Implementierung und Durchführung selbstorganisierter Arbeitsabläufe erfordert.
28
Auch darüber hinaus deuten eine Vielzahl von Fällen aus der jüngeren Vergangenheit darauf hin, dass (Schein-)Selbstständige mittlerweile in einer nahezu unüberschaubaren Vielzahl von Bereichen des wirtschaftlichen Lebens zum Einsatz kommen. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben nicht zuletzt auch neuartige unternehmerische Konzepte, in denen „neue“ Start-Ups in Konkurrenz zu „alten“ Anbietern bestimmter Dienstleistungen in traditionellen Branchen treten und ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal dieser neuen Wettbewerber gerade darin besteht, die Dienstleistungen etwa auf Basis sog. „Work-on-Demand“-Konzepte durch Selbstständige und nicht durch angestellte Mitarbeiter zu erbringen. Wie das jüngere Beispiel des US-amerikanischen Online-Vermittlungsdienstes für Fahrdienstleistungen „Uber“ zeigt, sind derartige Modelle allerdings oftmals mit erheblichen Compliance-Risiken im Zusammenhang mit einer vermeintlichen Scheinselbstständigkeit verbunden.[19]