Читать книгу Contractor Compliance - Christoph LL.M. Frieling - Страница 9

Оглавление

1. Teil Problemaufriss: Contractor Compliance › I. Fremdpersonaleinsatz als vernachlässigtes Compliance-Thema

I. Fremdpersonaleinsatz als vernachlässigtes Compliance-Thema

1

In der politischen Debatte bilden Fremdpersonaleinsätze aufgrund von Dienst- und Werkverträgen zurzeit eines der bestimmenden wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Themen. Das gilt insbesondere angesichts einer in den letzten Jahren zunehmenden Tendenz zum Outsourcing von Produktions- und Dienstleistungsprozessen und einer damit verbundenen nicht nur gelegentlichen, sondern auch auf Dauer angelegten Einbindung von Fremdpersonal auf allen Stufen der Wertschöpfungskette, d.h. sowohl zur Erfüllung betrieblicher Nebenzwecke (z.B. IT, Technik, Kantine, Werkschutz/Sicherheit, Reinigung), teilweise aber auch des eigentlichen Betriebszwecks selbst (z.B. Logistik, Entwicklung, Montage).[1] Zudem haben auch zahlreiche neuartige Produktions- und Dienstleistungsnetzwerke, die unter dem gemeinsamen Begriff von „Arbeiten 4.0“ verhandelt werden und die in vielen Fällen auf Beschäftigungsformen jenseits des klassischen Arbeitsverhältnisses beruhen („Work-on-Demand“, „Crowdworking“, „Scrum“ etc.), die Debatte um Fremdpersonaleinsätze zusätzlich verschärft.[2]

2

Im Rahmen dieser Debatte verweisen die jüngeren Begriffe der „Scheinselbstständigkeit“, des „Scheinwerkvertrags“ oder der „verdeckten Arbeitnehmerüberlassung“ zunächst auf eine verbreitete Kritik, die sich – gerade vor dem Hintergrund prominenter Einzelfälle – gegen den missbräuchlichen Einsatz von vermeintlichen Werk- und Dienstverträgen zum Absenken der Arbeitsbedingungen richtet. Unabhängig von derartigen Missbrauchsfällen wird aber gleichsam darauf hingewiesen, dass jedenfalls die Möglichkeit einer Fremdvergabe von Leistungen in einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft nicht wegzudenken ist und Werk- bzw. Dienstverträge deshalb auch ein grundsätzlich zulässiges Gestaltungsmittel bilden, um den Produktions- und Dienstleistungsprozess durch die Einbindung Dritter effizienter und kostengünstiger zu gestalten sowie den Personalbedarf an die jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen.[3]

3

Diese politische Debatte mündete zuletzt in dem Referentenentwurf des § 611a BGB-E, in dem – so hieß es bereits im Koalitionsvertrag – „zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden (…) die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßem und missbräuchlichem Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt“ werden sollen.[4] Nachdem ein erster Referentenentwurf eine Neufassung des § 611a BGB-E einschließlich zahlreicher, exemplarisch benannter Abgrenzungskriterien enthalten hatte, waren die Reaktionen hierauf mehr als verhalten. Es wurde zurecht darauf hingewiesen, dass die derzeitigen Schwierigkeiten der Behörden nicht etwa daraus resultieren, dass die wesentlichen Abgrenzungskriterien vergessen würden und man nicht wüsste, wo man diese nachschlagen könne, sondern daraus wie sie zu ermitteln und im Einzelfall zu gewichten seien.[5] In Folge dessen wurde im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf eine Aufnahme derart beispielhafter Kriterien verzichtet und lediglich eine Neufassung des § 611a BGB-E in das Gesetz aufgenommen, die sich mit Blick auf die geltende Rechtsprechung des BAG auf eine allgemeine Definition des Arbeitnehmerbegriffs beschränkt, die sich vor allem auf die prägenden Merkmale der persönlichen Abhängigkeit und der Weisungsgebundenheit bezieht.[6]

4

Vor dem Hintergrund dieser enormen rechtspolitischen Brisanz verwundert es, dass das Thema der Fremdpersonaleinsätze im Zusammenhang mit Compliance noch immer eine sehr untergeordnete Rolle spielt.[7] Mit Blick auf die rechtlichen Compliance-Debatten der vergangenen Jahre mag dies daran liegen, dass die Vielzahl selbst aktueller Beiträge – den Ursprüngen der Compliance-Bewegung folgend – einen besonderen Fokus auf die bekannt haftungsträchtigen Bereiche wie etwa der Kartell- und Korruptionsbekämpfung legen.[8] In Folge dessen ist es dann auch mit Blick auf die unternehmerische Praxis zu erklären, dass die Vergabe von Werk- und Dienstverträgen in vielen Fällen noch immer durch die Einkaufsabteilungen der Unternehmen erfolgt und hierbei weder die Compliance-Abteilungen noch die arbeitsrechtlichen Experten der Rechts- und Personalabteilungen eingebunden sind.[9]

5

In der Praxis führt dieses Fehlen systematischer Implementierungs- und Kontrollsysteme bei der Vergabe von Werk- und Dienstverträgen häufig dazu, dass die Risiken im Zusammenhang mit einer vermeintlichen (Schein-)Selbstständigkeit erst nach vielen Jahren und damit erst zu einem Zeitpunkt in das Blickfeld der Verantwortlichen geraten, zu dem das „Kind“ sprichwörtlich bereits „in den Brunnen gefallen“ ist. Soweit es im Folgenden um die Begrenzung der bestehenden Risiken aufgrund einer vermeintlich fehlerhaften Statusfeststellung geht, führt dies in den meisten Fällen allerdings zu der schnellen Erkenntnis, dass diese mit geradezu typischen Compliance-Risiken verbunden ist und das Ausmaß der möglichen Sanktionen ganz erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen und verantwortlichen Personen haben können.

6

In diesem Zusammenhang sind zunächst die arbeitsrechtlichen Folgen einer Umdeutung der Werk- und Dienstverträge in Arbeitsverträge – ggf. auch aufgrund einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung (§§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG) – zu nennen, in Folge dessen den betroffenen Scheinselbstständigen der Status regulärer Arbeitnehmer einschließlich Kündigungsschutz und allen sonstigen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften zukommt. Darüber hinaus hat insbesondere die unterbliebene Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge aber auch eine strafrechtliche Dimension (§ 266a StGB) und führt zudem zu erheblichen Haftungsrisiken nicht nur für die betroffenen Unternehmen (§ 28d SGB IV), sondern auch die verantwortlichen Personen (§ 823 BGB i.V.m. § 266a StGB). Abhängig von der Größe des Unternehmens sowie der Anzahl und Dauer der scheinselbstständigen Beschäftigungen können diese Risiken im Einzelfall sogar existenzgefährdend sein.[10]

7

Unabhängig davon deutet aber auch die aufgezeigte politische Dimension des Themas Scheinselbstständigkeit darauf hin, dass die möglichen Folgen einer fehlerhaften Statusfeststellung nicht auf die genannten rechtlichen Sanktionen beschränkt bleiben können. Gerade bei größeren und in der Öffentlichkeit bekannten Unternehmen zeigen gerade zahlreiche öffentlichkeitswirksame Fälle aus der Vergangenheit, dass die mediale Berichterstattung hierüber auch zu nachhaltigen Problemen für das Image des Unternehmens und der jeweiligen Marke führen kann, die weit über die rechtlichen Risiken hinausgehen.[11]

Contractor Compliance

Подняться наверх