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2.3 Vom Gemüsegarten zur Flächenkolonie

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Der Kolonialstaat der VOC war ein ausgesprochen schwacher Staat, dessen Handlungsfähigkeit mit zunehmender Entfernung von Kapstadt schnell abnahm. Die gesellschaftliche Ordnung, die sich im Hinterland entwickelte, war im Wesentlichen das Resultat der von den Farmern dominierten sozialen Prozesse. Aber nicht nur die staatlichen Strukturen waren rudimentär, sondern auch die Wirtschaft, insbesondere im Landesinneren, wo sich eine fast ausschließliche Subsistenzwirtschaft entwickelte, die für die kommerzielle Handelsorganisation VOC denkbar uninteressant war. Darum unternahm sie nur halbherzige Anstrengungen, eine geregelte und effiziente Verwaltung einzuführen. Die Siedler waren weitgehend sich selbst überlassen, im Landesinneren herrschte trotz der lokalen Gerichtsbarkeit des Landdrosts das Recht der Stärkeren, und das waren aufgrund ihres Zugangs zu Feuerwaffen die weißen Siedler – bis sie im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts im Osten auf die bantusprachigen Afrikaner trafen.

Die ursprünglichen Freibürger waren ehemalige Angestellte der VOC, sodass sich deren personelle Zusammensetzung in der Siedlerschaft spiegelte. Für die Kompanie war es schwierig, in den Niederlanden, dem wohlhabendsten Land Europas, Personal für ihre Schiffe und die Faktoreien Asiens zu finden, weil das Risiko groß war, Opfer von Unfällen oder tropischen Krankheiten zu werden. Darum kamen viele der VOC-Angestellten aus dem nach dem 30-jährigen Krieg weitgehend verarmten und zerstörten Heiligen Römischen Reich, aber auch aus Schweden und anderen skandinavischen Ländern. Die Zahl der Angestellten in der Kapkolonie stieg von 120 im Jahr 1660 auf 545 rund vierzig Jahre später an, während am Ende der VOC-Herrschaft 1795 ca. 2000 Männer für die VOC zumeist in Kapstadt arbeiteten. Wie in allen Niederlassungen der VOC waren Soldaten die größte einzelne, gleichzeitig die am wenigsten angesehene und am schlechtesten bezahlte Gruppe. Sie stellten im Durchschnitt die Hälfte der Gesamtzahl der VOC-Bediensteten, doch im 18. Jahrhundert wuchs ihr Anteil auf bis zu 70 %, während die Angestellten, die in der unmittelbaren Verwaltung der VOC tätig waren, nur 10 % ausmachten, dazu mit absteigender Tendenz; Handwerker, Gärtner und Hirten, die für die VOC arbeiteten, stellten den Rest.

Die 200 französischen Hugenotten, die um 1687/88 eintrafen, stellten die einzige organisierte Einwanderung dar. Sie wurden in der näheren Umgebung von Kapstadt angesiedelt, wo sie sich meist dem ihnen vertrauten Weinbau widmeten. Noch heute befinden sich in Franschhoek (wörtl.: Französisches Eck), Stellenbosch und Umgebung die stattlichen Weingüter, Familienstammsitze mittlerweile in ganz Südafrika verbreiteter hugenottischer Familien wie den Marais, de Villiers oder Malan. Allerdings verstreute die VOC die französischen Einwanderer unter ihre niederländischsprachigen Nachbarn, sodass die französische Sprache nach nur einer Generation verschwand. Vor allem Kommandant Simon van der Stel legte großen Wert auf eine schnelle Assimilation der Franzosen, wozu ihn möglicherweise Zweifel an der Loyalität der neuen Siedler motivierten, denn Frankreich befand sich seit 1689 im Kriegszustand mit den Niederlanden.

Auch wenn die Zahl der Hugenotten nicht sehr groß war, so war ihre Einwanderung angesichts der insgesamt noch kleinen Zahl der Siedler, die 1660 gerade 105 Personen gezählt hatten, doch bedeutsam. Immerhin nahm deren Zahl (Männer, Frauen und Kinder) bis 1700 auf 1334 Personen zu und wuchs im Verlauf des 18. Jahrhunderts, als die Neueinwanderung weitgehend ausblieb, durch natürliche Vermehrung auf das mehr als zehnfache, nämlich etwa 15 000 Menschen an.

Die Kolonie blieb in den ersten Jahren auf die unmittelbare Umgebung des Tafelbergs beschränkt, denn erst 1679 gründete Kommandant Simon van der Stel die zweite Ortschaft: das nach ihm benannte Stellenbosch. Es lag etwa 40 km weiter östlich, denn dazwischen erstreckten sich die unfruchtbaren sandigen Ebenen der Cape Flats. Der Distrikt von Stellenbosch zählte 1706 nur 464 Freibürger und das benachbarte Drakenstein (heute Paarl) hatte 524. Die Handelsmonopole der VOC und die folglich fehlenden Marktanreize für die Siedler beschleunigten deren Ausbreitung ins Hinterland. 1743 gründete Gouverneur Swellengrebel an der Südküste den Distrikt Swellendam. Hier lebten im Jahr 1748 ganze 551 Freibürger und am Ende der VOC-Herrschaft 2247 – ein deutlicher Hinweis, wie dünn die Besiedlung war. Schließlich entstand kurz vor der Eroberung durch die Briten im Jahr 1795 mit Graaff-Reinet im Osten der Kolonie der flächenmäßig weitaus größte Distrikt, der zu der Zeit bereits mehr als 3000 (freie) Einwohner zählte.

Wegen des Monopols der VOC und der kaum vorhandenen Infrastruktur lohnte es sich nur in der unmittelbaren Umgebung Kapstadts, für den Absatzmarkt der Handelsflotten zu produzieren. Die weißen Farmer bauten das an, was Europäer meist mit sich führten, wenn sie sich in neue Welten aufmachten: Weizen und Wein, Produkte, die für Christen von zentraler Bedeutung waren. Nördlich und östlich von Kapstadt wurde auf den dafür gut geeigneten Böden Weizen angebaut, wobei dessen Produktionsgebiete sich auf die Klimazone des Winterregengebietes beschränkten. Vor dem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Gebirge bei Stellenbosch und Drakenstein wurde dagegen Wein kultiviert; dem Weinanbau kam das Mittelmeerklima der Kapregion zugute. In diesen Regionen wurden die meisten Sklaven eingesetzt, sodass sich die intensive landwirtschaftliche Produktion mit einer strengen Hierarchie verknüpfte.

Die Kolonie wies ein höchst ungleiches demographisches Verhältnis der Geschlechter auf, da die meisten Neueinwanderer unverheiratete Soldaten oder andere Angestellte waren. Viele Soldaten arbeiteten, teilweise während ihrer aktiven Dienstzeit, als Handwerker oder Lehrer in den ländlichen Bezirken. Die meisten fanden keine Frau und konnten damit keine Nachkommen zeugen, sofern sie nicht mit einer Sklavin oder einer Khoikhoifrau zusammenlebten. Bei den wohlhabenden Siedlern in der Umgebung von Kapstadt glich sich das Verhältnis der Geschlechter jedoch schon früh aus, wodurch ein engmaschiges verwandtschaftliches Netz entstehen konnte. Je ausgeglichener das Geschlechterverhältnis, desto stärker die rassistische Abschließung gegenüber der dunkelhäutigen Bevölkerung: Diese Beobachtung, die sich in zahlreichen Siedlungskolonien bestätigt, trifft auch auf die Kapkolonie zu, wo sich im Verlauf des späteren 18. Jahrhunderts eine solche Verfestigung der sozialen Verhältnisse zwischen den »Rassen« herauszubilden begann. Das durchschnittliche Heiratsalter lag mit 17 Jahren bei Frauen deutlich unter dem in Europa. In manchen ländlichen Regionen trafen Reisende des 18. Jahrhunderts auf Familien mit zehn und mehr Kindern. Die hohe Fruchtbarkeit weißer Frauen kann man unter anderem damit erklären, dass sie ihre Kinder nicht selbst stillten, sondern dies ihren Sklavinnen überließen. Da die Empfängnisbereitschaft während der Zeit des Stillens erheblich reduziert ist, hatten die Sklavinnen weniger Nachwuchs als ihre weißen Herrinnen, die oft kurz nach der Niederkunft wieder schwanger wurden. Die Strapazen zahlreicher Schwangerschaften und Geburten waren nur zu ertragen, weil die Siedlerfrauen durch Arbeit ihrer Sklavinnen von vielen Tätigkeiten entlastet wurden.

Die Dynamik der kolonialen Expansion war neben dem hohen natürlichen Bevölkerungszuwachs von dem niederländisch-römischen Erbrecht der Realteilung bestimmt. Im Erbfall waren alle Kinder sowie die Witwe erbberechtigt, der die Hälfte des Erbes zustand, während die Kinder gleiche Anteile erhielten. In der Regel übernahm einer der Söhne die elterliche Farm und bezahlte seine übrigen Geschwister aus, meist in Form von Vieh. Es diente als Grundkapital, mit dem sich eine neue Herde aufbauen ließ. Die anderen Brüder zogen mit diesen Herden in die Randzonen der Kolonie und ließen sich dort nieder. Das ab 1702 eingeführte System der loan farm erleichterte ihnen das außerordentlich, denn sie konnten sich ein Stück Land von bis zu 2400 Hektar abstecken und mussten dafür nicht mehr als eine nominelle Pacht von 24 Rixdollar an die Regierung bezahlen; später konnte das Pachtverhältnis in Eigentum umgewandelt werden. Faktisch war Land für Weiße leicht zu bekommen und die Farmen waren von der Fläche so riesig, dass sie als Familienbetriebe nicht zu bewirtschaften waren. Ein Vergleich mit der Größe amerikanischer Farmen, die im Durchschnitt 64 Hektar umfassten, macht dies unmittelbar evident. Die extensive Wirtschaftsform generierte damit die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften, die Ausbreitung der Siedlung bedeutete Land- und Weideverlust für die Khoisan, die oft keine Alternative mehr hatten, als für die weißen Farmer als Viehhirten und Hausangestellte zu arbeiten.

Die riesigen Entfernungen beschnitten die Möglichkeiten der Regierung, die Siedlungsexpansion wirksam einzugrenzen. Seit etwa 1730 beschleunigte sich das Tempo der Ausbreitung, nachdem die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Gebirge bei Stellenbosch und Drakenstein überwunden waren und die Zahl der Siedler durch natürliche Vermehrung weiter anwuchs. Die Farmer suchten sich zunächst die fruchtbarsten und am besten gelegenen Landstücke für ihre Farmen, sodass Gebiete zwischen diesen verblieben, die als Rückzugsräume für die Khoikhoi und San dienten bzw. von allen Bewohnern für die Jagd oder als Weideland genutzt wurden. Noch Ende des 18. Jahrhunderts gab es in dem riesigen Distrikt Graaff-Reinet lediglich 492 Farmen.

Mit der dichter werdenden Besiedlung durch Weiße nahm der übriggebliebene Raum für die Khoikhoi und San aber sukzessive ab, welche entweder in Kämpfe mit den Weißen verwickelt oder in abhängige Arbeitsverhältnisse gezwungen wurden. Die Farmer im Landesinneren entwickelten eine Subsistenzwirtschaft ohne nennenswerte Marktanbindung, zumal es kaum etwas gab, das sie mit anderen Farmern hätten tauschen können. Nur wenige spezialisierten sich auf bestimmte Tätigkeiten, wie etwa den Wagenbau. Überschüsse wurden nur produziert, um bei reisenden Händlern wichtige Waren wie Waffen und Munition, Werkzeuge und andere Dinge einzukaufen, die man nicht selbst herstellen konnte. Das war nicht sehr viel, da die meisten Farmer ihre Häuser selbst bauten, die eigene Kleidung selbst anfertigten und auch die Lebensmittel zum Eigenbedarf selbst produzierten. Die Tätigkeit des Farmers beschränkte sich oft auf die Aufsicht über seine Abhängigen sowie auf die Jagd und einen als Arbeit ausgegebenen Müßiggang. Kein Wunder, dass die Farmen wenig Produktivität entwickelten. Die Einstellung der Farmer zur Arbeit wie auch die fehlenden Marktanreize bewirkten eine gleichförmige Ausbreitung von Selbstversorgungsbetrieben.

In den ariden Gebieten im Norden der Kolonie pflegten die Farmer eine halbnomadische Lebensweise, da sie mit ihrem Vieh periodisch zwischen verschiedenen Weiden wechseln mussten, die sogenannte Transhumanz. Für sie bürgerte sich die Bezeichnung Trekboer (ziehender Bauer) ein, wobei sie sich an afrikanische Lebensweisen anpassten; dies konnte soweit gehen, dass die Weißen die Bauweise der leicht zu errichtenden Grasmattenhütten der Khoikhoi übernahmen. Dessen ungeachtet blieb das Ideal der Lebensstil im Boland (Oberland), der Umgebung Kapstadts, dem man sich anpasste, sobald sich die Möglichkeit ergab. Da aufgrund der relativ hohen Siedlungsdichte im Boland immer wieder Siedler abwanderten, brachten sie die Normen der dortigen sozialen Ordnung ins Hinterland. Selbst diejenigen Weißen, die mit schwarzen Frauen zusammenlebten und jahrelang am Rand der Siedlungsgebiete herumstreunten, pflegten einen ausgeprägten Rassismus. Das Christentum, die oft nur rudimentäre Alphabetisierung, der Besitz einzelner Möbelstücke und zunehmend die Hautfarbe dienten als Distinktionsmerkmale.

So entwickelten sich die Farmen, die Täler und Siedlungsinseln zu in sich gekehrten, selbstgenügsamen Gemeinschaften. Gleichzeitig erklärt dies die große Gastfreundschaft der Farmer, die (weiße) Fremde immer bereitwillig aufnahmen und verköstigten. Denn jeder konnte in die Situation kommen, eine Unterkunft bei Unbekannten suchen zu müssen. Überdies erfuhr man in einer zeitungslosen Welt von Besuchern Neuigkeiten. Treffen der Farmer gab es alle Vierteljahre, wenn sie sich zum Nagmaal, dem gemeinsamen Gottesdienst mit Abendmahl, trafen. Ansonsten waren die Farmen auch religiös weitgehend auf sich gestellt. Ein Prediger kam noch seltener vorbei als der Hausierer mit seinen Waren. Die Kinder wurden auf die Farmschule geschickt, wenn es eine solche gab, wo sie von Lehrern unterrichtet waren, die oft selbst nur über eine zweifelhafte Bildung verfügten. Nur in Ausnahmen wurden auch die Kinder der dunkelhäutigen Abhängigen zum Unterricht zugelassen. So beschränkte sich die Lektüre der Farmer auf die große, meist in Leder gebundene Familienbibel, die gleichzeitig als Familienstammbuch diente, in deren freie Seiten die Geburten und Todesfälle eingetragen wurden.

Gemeinschaftsbildend wirkten militärische Aktivitäten, die über die sogenannten Kommandos, regionale Milizen, organisiert wurden. Die Beamten der Region, meist der lokale Veldkornet und bei größeren Aufgeboten der Landdrost als der höchste Distriktbeamte, beriefen die Kommandos ein und befehligten sie. Ansonsten wurde die Gesellschaft durch die Verwandtschaftsbeziehungen zusammengehalten. Da die jüngeren Familienangehörigen oft an die Siedlungsgrenze zogen, wo noch Land zu haben war, waren Verwandtschaftsnetze weit gespannt und es bildete sich früh der Brauch heraus, Besucher nach ihren Vorfahren und ihrer familiären Verortung auszufragen, um mögliche Verwandtschaften zu eruieren. Die weißen Farmer entwickelten dabei soziale Selbstzuschreibungen, die durchaus Ähnlichkeiten zu denen ihrer afrikanischen Nachbarn aufwiesen, auch wenn die Familienstrukturen grundsätzlich europäisch geprägt blieben.

Im riesigen Landesinneren, jenseits der landwirtschaftlich nutzbaren Zonen bei Kapstadt, entstand eine uniforme, auf Viehzucht ausgerichtete Farmwirtschaft, weshalb sich für die Bevölkerung außerhalb Kapstadts bald die Bezeichnung »Bauern« einbürgerte oder auf Niederländisch Boere, die Buren, als welche sie im deutschsprachigen Raum bis heute bezeichnet werden, obwohl sich im späten 19. Jahrhundert allmählich die Selbstbezeichnung der Afrikaaner durchsetzte.

Die VOC vermied es, eine Küstenschifffahrt einzurichten, da dies dem Schmuggel Vorschub geleistet hätte. Es gab auch keine Flussschiffahrt, da sich die meisten Flüsse wegen ihres periodisch stark schwankenden Wasserstandes und ihres zu großen Gefälles nicht dafür eigneten. In der Zeit vor der Eisenbahn waren Wasserwege die einzige Möglichkeit, große Warenmengen oder Gegenstände preiswert zu transportieren. Fehlte diese Möglichkeit, musste das direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit eines Landes haben. Darum gab es bis ins 19. Jahrhundert kaum Marktorte, selten Dörfer und schon gar keine Städte, sodass Kapstadt eine »Metropole« von gerade 15 000 Einwohnern blieb – eine Stadt also, in der fast jeder jeden kennen konnte.

Wegen des miserablen Zustands der Wege nahm die Intensität des Handels von Kapstadt ins Landesinnere ziemlich schnell ab. Die Wein- und Getreidezonen östlich und nördlich der Stadt konnten ihre Waren auf Ochsenwagen zum Markt transportieren, für die weiter entfernten Gebiete lohnte sich das nicht mehr. Die Transportkosten waren zu hoch, das Risiko, dass die Waren verdarben, zu groß. Nur vermarktbare Güter wie Schafe und Rinder, die auf eigenen Beinen laufen und gewissermaßen ihre eigene Haut zu Markte tragen konnten, ließen sich über große Entfernungen nach Kapstadt bringen. Pferde wurden erst von den Europäern eingeführt und es gab Gegenden, in denen sie aufgrund von Krankheiten nicht überleben konnten. Pferdegespanne und schnelle, gefederte Wagen verkehrten nur in Kapstadt und der nächsten Umgebung, wo halbwegs gebahnte Straßen dies ermöglichten. Der Rest des Landes war auf die langsamen Ochsenwagen angewiesen, deren Wege, wenn man die kaum gebahnten Fahrrillen überhaupt so nennen darf, die zahlreichen kleinen Flüsse kreuzten, die in tief eingeschnittenen Betten ihr Wasser von den Bergen zum Meer führten. Dies bedeutete, dass die Wagen mühsam über steile Pfade hinab ans Ufer gebracht werden mussten, was mancherorts mehrere Tage in Anspruch nahm. An guten Furten konnten die Ochsen die Wagen durch das Wasser ziehen. An breiteren und reißenden Flüssen mussten die Wagen zunächst entladen, die Ladung und die in ihre Einzelteile zerlegten Wagen über das Wasser geschafft, dann, das war besonders riskant, die Zugtiere hinübergebracht, dort alles wieder zusammengesetzt und schließlich am anderen Ufer wieder auf die Höhe gezogen werden. Das waren gewiss keine Vergnügungsreisen, zumal selbst in der Nähe von Siedlungen noch bis ins 19. Jahrhundert wilde Tiere wie Löwen oder Hyänen schweiften, sodass nachts die Zugochsen bewacht und Feuer unterhalten werden mussten. Auf diese Weise reisten im Land nur die wenigen Händler, die Lehrer und Prediger sowie gelegentlich Beamte.


Abb. 3: Schiffe vor Kapstadt.

So entstand im Hinterland von Kapstadt eine vom Meer abgewandte Gesellschaft, die kaum Veranlassung hatte, von sich aus Verkehrsbeziehungen in die riesigen maritimen Räume des Indischen oder Atlantischen Ozeans zu unterhalten, denn dies blieb das Monopol der VOC. Im Gegensatz zur introvertierten Gesellschaft des Hinterlandes war Kapstadt die Ausnahme: Das Fenster zur Welt mit einer polyglotten Bevölkerung, einer stärkeren beruflichen Ausdifferenzierung und einer organisatorischen Anbindung an die Welt Asiens. Gleichwohl darf man den urbanen Charakter dieses Ortes, der bis Ende des 18. Jahrhunderts nur als Weiler oder Flecken bezeichnet wurde, nicht überschätzen. 1710 zählte Kapstadt ganze 155 Häuser und wuchs bis 1770 auf etwa 500 an. Gleichwohl war es dem Meer zugewandt und auf die Dienstleistungen für die Ostindiensegler eingestellt: Fast jeder Einwohner betrieb eine Kneipe oder ein Gasthaus, die meisten waren Handwerker oder boten Dienstleistungen an. Trotz des Handelsmonopols der VOC erwirtschafteten viele Bewohner über illegalen Handel ein zusätzliches Einkommen. Dieser Handel wurde in Hinterzimmern von Gasthäusern abgewickelt und lag in der Hand von Frauen, deren Ehemänner als Angestellte der VOC lieber die Finger davon ließen. Die Bevölkerung Kapstadts gliederte sich in eine kleine Oberschicht, meist hohe Amtsträger der VOC, eine überschaubare Mittelschicht und eine große Unterklasse, die zum größten Teil von Slaven sowie der geringen Zahl freier Schwarzer und verarmten Freibürgern gestellt wurde, die sich als Tagelöhner durchschlugen.

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