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1 Die Frühzeit und die langen Konstanten der Geschichte 1.1 Die Wiege der Menschheit

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Im November 1924 erhielt ein 32-jähriger Professor für Anatomie an der University of the Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg einen fossilen Kinderschädel zugesandt. Nach dessen eingehender Untersuchung verkündete er im Februar 1925, dass der Schädel einer bisher unbekannten Hominidenart zuzurechnen sei, die er Australopithecus (der Affe des Südens) nannte. Mit dieser Erkenntnis revolutionierte der gebürtige Australier Raymond Dart das Bild von der Frühgeschichte der Menschheit. Bis dahin hatte die Gelehrtenwelt vermutet, dass der Ursprung der Menschheit in Europa oder in Asien lag. Darts Entdeckung war lange umstritten, doch spätere Funde bestätigten, dass die Vorläufer des Homo Sapiens aus Afrika stammten. Mittlerweile hat sich das Bild jedoch erheblich differenziert, da man zahlreiche Arten von Hominiden gefunden hat, von denen einige als Vorläufer des Homo Sapiens in Frage kommen. Sie lebten in besonders großer Zahl und Vielfalt im südlichen und östlichen Afrika und breiteten sich von dort vor ca. 2 Millionen Jahren in andere Teile der Welt aus.

Seit den 1950er Jahren begannen südafrikanische Paläoanthropologen, in einem Gebiet westlich der Hauptstadt Pretoria systematisch fossilierte Knochen auszugraben und zu untersuchen. Mit Hilfe neu entwickelter Datierungstechniken gelang es ihnen, hunderte von Knochenfunden auf einen Zeitraum zu bestimmen, der ein bis zwei Millionen Jahre zurückreichte. Damit wurde die Evolutionsgeschichte des Menschen erheblich ausgeweitet. Die Dichte der Funde belegt mittlerweile, dass der Ursprung der Menschheit in Afrika zu suchen ist, d. h. ungeachtet der Ausbreitung von Vorläufern des Homo Sapiens in andere Weltregionen fand die eigentliche Weiterentwicklung vom Australopithecus über den Homo Erectus zum Homo Sapiens vor ca. 200 000 Jahren im südlichen Afrika statt. Vor ca. 70 000 Jahren begannen diese Menschen, sich auch außerhalb Afrikas auszubreiten. Dies gelang ihnen aufgrund ihres spezifischen Entwicklungspfades, denn der Homo Sapiens entwickelte sich aus derjenigen Vorform des Menschen, die sich nicht mehr biologisch durch Mutation an wechselnde Habitate anpasste, sondern kulturell, indem sie Werkzeuge nutzte und soziale Techniken des Überlebens intensivierte.

In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung große Fortschritte gemacht, als neue Funde das Bild der menschlichen Evolution erheblich erweiterten und differenzierten. So entdeckte im August 2008 der damals neunjährige Matthew Berger einen Knochen, über den eine bis dahin unbekannte Spezies identifiziert werden konnte, die Australopithecus sediba getauft wurde. Im Mai 2010 wurde mit dem Homo gautengensis eine weitere neue Spezies gefunden, die bereits der Gattung Mensch zuzurechnen ist. Diese südafrikanischen Funde sind weitere Belege für die These, dass sich die Vorgeschichte des Menschen offensichtlich im südlichen und östlichen Afrika abspielte und dass die Gattung Homo Sapiens sich von hier aus über den Globus ausbreitete.

Schon die Australopithecinen benutzten Werkzeuge, allerdings wenig systematisch. Erst die frühen Vertreter der Gattung Homo entwickelten Werkzeuge, die sie ursprünglich eher zufällig entdeckt haben dürften, zielgerichtet weiter. Die Kulturentwicklung beginnt nicht erst mit dem Homo Sapiens, die Steinzeit reicht viel weiter als bis zu dessen erstem Auftreten vor 70 000 Jahren zurück. Lernen ist bis zu dieser Zeit noch mit der biologischen Weiterentwicklung zum Homo Sapiens, insbesondere mit dem Wachstum des Gehirns, eng verknüpft. Beim Homo Sapiens konnte jedoch die kulturelle Entwicklung, nachdem die biologische Evolution weitgehend abgeschlossen war, ihrer Eigendynamik folgen. Menschen zeichneten sich fortan dadurch aus, dass sie als gesellschaftliche Wesen auftraten, die miteinander über Sprache und Symbolsysteme kommunizierten.

Den Zeitraum, da die Vorläufer des heutigen Menschen zum ersten Mal Steine benutzten, die sie bald zu Faustkeilen und anderen einfachen Werkzeugen bearbeiteten, nennt man die frühe Steinzeit, die auf den Zeitraum zwischen 2,5 Millionen und 250 000 Jahren berechnet wird. Die Funde in Südafrika zählen zu den ältesten, denn sie beziehen neben den frühen Vorläufern des Homo Sapiens sogar die Australopithecinen mit ein. Funde entsprechender Werkzeuge in Europa können auf eine Zeit datiert werden, die im Gegensatz dazu »nur« etwa 600 000 Jahre zurückreicht. In den langen Jahrtausenden der frühen Steinzeit wurden die Werkzeuge allmählich nicht nur feiner, sondern differenzierten sich für spezifische Zwecke aus. Diese Entwicklung setzte sich in der mittleren Steinzeit fort, die vor etwa 25 000 Jahren endete. In dieser Zeit lebten die Vorläufer des Homo Sapiens bereits in Höhlen und hatten eine größere Mobilität entwickelt, weil sie entdeckt hatten, dass sich Wasser in den Schalen von Straußeneiern transportieren ließ. Bereits für die Zeit vor 77 000 Jahren, also noch vor dem Erscheinen des Homo Sapiens, ist die Nutzung des Feuers durch Ablagerungen von Asche nachgewiesen ebenso wie die erste Benutzung von Symbolen. Dabei handelte es sich um Ornamente auf Muschelschalen, die möglicherweise Kennzeichen von Gruppenzugehörigkeit waren. Keinesfalls darf man für einen so riesigen Zeitraum von einer Siedlungskontinuität in dem Sinn sprechen, dass in derselben Region ortsfeste Gruppen und ihre Nachkommen von der Frühzeit des Menschen bis in die jüngere Vergangenheit gelebt hätten. Es führt keine gerade und nachweisbare Linie von den Menschen der Altsteinzeit zu den rezenten Buschleuten, die ihre kulturellen Spuren in den Felsmalereien hinterlassen haben.

Der Begriff der Steinzeit ist eine relative archäologische Datierung und bezieht sich auf erhaltene Artefakte aus Stein. Aus diesem Grund ist es möglich, dass Bevölkerungen, die Steinwerkzeuge benutzten, zur gleichen Zeit und im selben Gebiet lebten, wie Menschen, die bereits Metallverarbeitung kannten. Dies gilt für das südliche Afrika für die letzten 2000 Jahre, da die Khoisan keine Metalle bearbeiteten, ihre bantusprachigen Nachbarn jedoch sehr wohl.

Selbst für die späte Steinzeit gibt es nur ungefähre Zeitangaben, da die Entwicklungen regional höchst unterschiedlich verliefen. Die »neolitische Revolution« mit der Herausbildung von Ackerbau und Viehzucht sowie der Entstehung der ersten städtischen Siedlungen ist nur regional datierbar. Die späte Steinzeit brachte im südlichen Afrika neue technische Erfindungen, vor allem mit dem Aufkommen von Pfeil und Bogen und besonders fein gearbeiteten, sehr kleinen Steinwerkzeugen. Etwa 10 000 Jahre vor unserer Zeit nimmt die Zahl der spätsteinzeitlichen Fundorte im südlichen Afrika stark zu, was auf ein rasches Bevölkerungswachstum hinweist. Dies hat auch mit der letzten Eiszeit zu tun, die im südlichen Afrika in Form eines feuchteren Klimas und damit einhergehender größerer Pflanzen- und Tiervielfalt zum Ausdruck kam. Wir wissen aus den archäologischen Funden viel über die frühe Geschichte der Technologie, doch erst ab den Felsbildern, deren älteste etwa 20 000 Jahre alt sind, lässt sich eine Kontinuität der Bevölkerung annehmen und vermuten, dass die Schöpfer dieser Bilder möglicherweise die Vorfahren der heutigen Khoisan waren. Doch bevor auf die Bevölkerung Südafrikas in historisch greifbarer Zeit eingegangen wird, soll in aller Kürze ihr Lebensraum vorgestellt werden.

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