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Die Frontier im Osten
ОглавлениеNoch unter der VOC-Herrschaft gab es erste Kontakte zwischen den nach Osten voranstrebenden Siedlern und den bantusprachigen Xhosa. Aufgrund ihrer gemischten Wirtschaftsform aus Bodenbau und Viehhaltung sowie der daraus resultierenden höheren Bevölkerungsdichte konnten die Xhosa dem kolonialen Vordringen viel härteren Widerstand entgegensetzen als die Khoisan. Nicht zuletzt ihrem kriegerischen Charakter verdankten sie den Namen Xhosa, denen ihnen die Khoikhoi beigelegt hatten und der so viel bedeutet wie: »die zornigen Männer«. Damit begann ein hundert Jahre währender Konflikt, der sich bis 1877 hinzog und insgesamt neunmal in offene Kriege ausartete.
Hier ist zunächst ein terminologischer Hinweis angebracht. Denn wenn in der Literatur des 20. Jahrhunderts von Xhosa die Rede ist, so werden damit all diejenigen gemeint, die die Xhosa-Sprache benutzen, unter denen das Xhosa-Volk nur eine Minderheit ausmacht. Die Nachbarn der Xhosa, die sich in derselben Sprache verständigen, bilden eigene Ethnien, die heute gegenüber den einst mächtigen Xhosa viel bevölkerungs- und einflussreicher sind. Wenn also umgangssprachlich von »Xhosa« die Rede ist, sind die unmittelbaren Nachbarn der Xhosa, die Tembu, denen etwa Nelson Mandela und Thabo Mbeki angehören, meist mit gemeint. Es wäre so, als ob man die Wallonen, weil sie die französische Sprache sprechen, als Franzosen bezeichnen würde. Diese Verwechslung ist darauf zurückzuführen, dass die Weißen, die selbst aus scheinbar homogenen Nationalstaaten stammten, ihre Vorstellung der Ethnie als einer Kulturgemeinschaft auf die Afrikaner übertrugen und darum alle, die dieselbe Sprache sprechen, auch der gleichen Ethnie zurechneten. Die Afrikaner dagegen definierten ethnische Identität nach politischen Einheiten, eben Chiefdoms oder Königreichen. Dieses Prinzip politischer Loyalität erleichterte die Aufnahme von Fremden, auch solchen, die keine Xhosa waren. Von ihnen wurde eine Anpassung an die örtlichen Sitten verlangt, wonach sie als vollwertige Xhosa akzeptiert wurden. Auf diese Weise wurden zahlreiche Khoisan, aber auch Tembu und Angehörige anderer Nachbargruppen aufgenommen und assimiliert. Die Identität der Xhosa war folglich nicht die einer Abstammungsgemeinschaft, sondern die einer politischen Gesellschaft.
Ende des 18. Jahrhundert spaltete sich die Tshawe-Dynastie der Xhosa in zwei »Häuser«, wobei der ältere Sohn des letzten gemeinsamen Königs Phalo, Gcaleka († 1778), für seine Dynastie, die weiter im Osten residierte, die Seniorität und damit auch den Titel des Nkosi (König) beanspruchte. Wegen dieser Teilung befand sich die Anhängerschaft des jüngeren Sohnes, Rharharbe, in Westexpansion, als sie in dem Grenzraum zwischen Sunday und Fish River mit den von Westen vorstoßenden weißen Siedlern auf eine weitere expansive Gesellschaft traf. Bei den Xhosa wurden schwächere Gruppen aus dem Zentrum des Reiches an die westliche Peripherie abgedrängt und bildeten dort Frontier-Gesellschaften. Auf der einen Seite nahm die Zahl der Häuptlinge zu, je mehr Phalos Nachkommenschaft wuchs, denn jeder seiner männlichen Nachkommen hatte das Recht, sich eine eigene Gefolgschaft aufzubauen und einen eigenen Herrschaftsbereich zu gründen. Dies führte zu einer Schwächung des Königs, löste aber auch die entgegengesetzte Entwicklung aus, nämlich immer wiederkehrende Versuche einer stärkeren Zentralisierung. Besonders mächtige Häuptlinge konnten schwächere in ihre direkte oder indirekte Abhängigkeit zwingen, die u. a. über Tributpflicht auch rituell abgesichert wurde. Gerade am Beginn des 19. Jahrhunderts gewannen beide Entwicklungen besondere Zugkraft. Im Rahmen dieses Prozesses verdrängten expandierende größere Häuptlingschaften kleinere in Richtung Westen. Noch westlich des Siedlungsraums des jüngeren Bruders Rharharbe bildeten sich aus Seitenlinien weitere Chiefdoms, die auch zahlreiche Khoikhoi-Flüchtlinge aus der Kolonie aufnahmen, denn viele schlossen sich lieber den Xhosa an als sich in die Farmwirtschaft der Weißen eingliedern zu lassen. Diese politisch instabilsten, zahlenmäßig schwächsten Gruppen bildeten die westliche Xhosa-Frontier und ihnen standen auf der kolonialen Gegenseite Weiße und Reste der unabhängigen Khoikhoi-Gemeinschaften gegenüber, die sich in einer ganz ähnlichen Situation befanden. In beiden Gesellschaften waren es also gerade nicht die fortschrittlichsten und ressourcenstärksten Gruppen, die die jeweilige Expansion vorantrieben. Auf der kolonialen Seite ließen sich vor allem die jüngeren Söhne von Farmern nieder, die von ihren älteren Geschwistern ausbezahlt worden waren und sich am Rand der Kolonie eine Existenz aufbauen wollten. In vielen Fällen lebten sie mit Khoikhoi-Frauen oder Konkubinen zusammen und waren mit den benachbarten Xhosa in dauernde Konflikte verwickelt, die durch wechselseitige Vorwürfe des Rinderdiebstahls stets neue Nahrung erhielten.
Abb. 4: Die Genealogie der Xhosa-Chiefs.
Besonders ein Gebiet wurde zum Zankapfel, weil es von den Xhosa als Winterweide benutzt wurde: der Raum zwischen dem Great Fish River und dem Bushman River, das sogenannte Zuurveld. Wie der Name schon sagt, ist das Zuurveld, wörtlich übersetzt Sauerfeld, von Pflanzen bewachsen, die sich wegen ihres hohen Säuregehaltes nur während des Frühjahrs und Sommers als Nahrung für die Rinder eignen. Deswegen fanden gerade bei den westlichen Xhosa vergleichsweise großräumige Wanderungen von den Sommer- auf die Winterweiden statt. Von den weißen Siedlern wurden diese zyklischen Wanderbewegungen oft nicht als solche erkannt, sondern als aggressives Vordringen missverstanden. Gleichwohl fand eine allmähliche Expansion der Xhosa nach Westen aufgrund der genannten Zwistigkeiten statt.
Immer häufiger kamen nun auch fahrende Händler in die Gegend, die die Farmer mit nötigen Dingen des Alltags, wie Decken, Kerzen, Blei und Schießpulver, versorgten, aber auch die Xhosa und andere Chiefdoms besuchten und ihnen Feuerwaffen anboten, die sie gegen Elfenbein oder Tierhäute eintauschten. Damit gerieten die Verhältnisse in Bewegung, da einige Chiefs auf diese Weise ihre Durchsetzungschancen gegenüber ihren Rivalen vergrößern konnten.
1778 besuchte Gouverneur Joachim von Plettenberg den Osten der Kolonie und legte nach Verhandlungen mit den Xhosa eine Grenze fest. Wie illusorisch ein solches Unterfangen war, zeigte sich bereits ein Jahr später, als der erste von jenen drei Grenzkriegen ausbrach, die noch ins 18. Jahrhundert fielen. Alle drei Kriege waren hauptsächlich Raubzüge gegen die Rinderherden der jeweils anderen Seite. Die burischen Kommandos zwangen die meisten Xhosa-Chiefs, den Great Fish River weiter im Osten als Grenze anzuerkennen. Der Landdrost des Distrikts Graaff-Reinet musste sich aufs Verhandeln verlegen, weil die Kompanie ihm die angeforderten Soldaten verweigerte. Zudem flammten interne Konflikte unter den Xhosa auf, als der alte Chief Rharhabe verstarb. Sein Sohn und Erbe kam zur selben Zeit ums Leben, weshalb sein zweiter Sohn Ndlambe die Regentschaft für den noch unmündigen, erbberechtigten Enkel Ngqika übernahm und die kleineren Chiefs in Richtung Westen verdrängte. 1793 schickte Barend Lindeque, ein lokaler Milizoffizier, sich in Absprache mit Ndlambe an, die kleineren Chiefs zurückzutreiben, wo Ndlambe sie seiner Herrschaft unterwerfen wollte. Diese Rechnung ging nicht auf, da diese Xhosa sofort zum Gegenangriff gegen die weiße Miliz ansetzten, was eine allgemeine Panik unter den Siedlern auslöste, die nach Westen bis hinter den Sunday River flohen.
Erst einem gemeinsamen Kommando der beiden Landdroste von Graaff-Reinet und Swellendam gelang es, den Vormarsch der Xhosa zu beenden. Der Landdrost von Graaff-Reinet, Maynier, weigerte sich, ein neues Kommando auszusenden, als die Xhosa erneut ins Zuurveld eindrangen. Die Siedler waren sich ihrer militärischen Schwäche durchaus bewusst, doch wuchs ihre Unzufriedenheit mit Maynier, der ihnen zu wenig offensiv vorging. Zudem hatte er sich unbeliebt gemacht, weil er in seiner Funktion als Richter den Klagen über Misshandlungen von Khoikhoi nachging und die beschuldigten Farmer vorlud.
Darum kam es 1795 in beiden Distrikten zu einem Aufstand weißer Siedler, wobei sich die Rebellen am Umsturz in den Niederlanden orientierten. Sie nannten sich Patrioten und begannen, die lokalen Gremien zu dominieren, allerdings ohne dass sie ein Mandat durch Wahlen gehabt hätten. Gleichwohl sagten sie sich von der VOC-Regierung los und gründeten die beiden »Republiken« von Swellendam und Graaff-Reinet, die über keinerlei tragfähige Struktur verfügten. Es gab kein politisches Konzept, die Unterstützung durch die Siedlerbevölkerung war zweifelhaft und der Republikanismus politisch unreflektiert. Ihre Protagonisten waren Frontier-Desperados, deren Hauptziel fortgesetzte Rinderraubzüge gegen die Xhosa waren. Die Situation spitzte sich zu, weil die Xhosa zurückschlugen und die Siedler erneut über den Sunday River nach Westen vertrieben.
Zwischenzeitlich hatten die Briten das Regiment übernommen und schnitten den burischen Rebellen den Nachschub an Waffen und Munition ab. Nur vier Jahre später kam es erneut zur Rebellion, als einer der Anführer der »Republiken«, der Farmer van Jaarsveld, verhaftet wurde und nach Kapstadt gebracht werden sollte. Seine Anhänger befreiten ihn, wurden jedoch schon bald danach von britischen Truppen verhaftet. Zu diesen Einheiten zählten auch Khoikhoi, was zur Folge hatte, dass lokale Khoikhoi sich gegen ihre Herrn erhoben und den Schutz dieser Truppen suchten. Als das Militär wieder abzog und folglich die Khoikhoi der Rache ihrer Herren aussetzte, schlugen sich diese auf die Seite der Xhosa. Im dritten Grenzkrieg (1799–1802) konnten sie mit vereinten Kräften den südlichen Teil des Distrikts von Graaff-Reinet und den östlichen Teil von Swellendam unter ihre Kontrolle bringen. General Dundas setzte den abgesetzten Landdrost Maynier, der großes Vertrauen bei den Khoikhoi genoss, wieder in sein Amt ein. Maynier konnte sie 1799 überreden, ihre Waffen niederzulegen. Das letzte unabhängige Khoikhoi-Chiefdom im Osten der Kolonie konnte noch einige Jahre unter dem Anführer Klaas Stuurman am Sunday River seine Unabhängigkeit bewahren. Die übrigen kehrten entweder auf die Farmen zurück oder versammelten sich in wachsender Zahl, die Rache der weißen Farmer fürchtend, unter dem Schutz Mayniers in Graaff-Reinet. Als dieser ihnen erlaubte, die lokale Kirche für Gottesdienste zu nutzen und Gerüchte unter den Farmern die Runde machten, der Landdrost wolle mit den Khoikhoi und Xhosa gemeinsam gegen sie vorgehen, kam es erneut zum Aufstand der Siedler. Sie belagerten Graaff-Reinet und wurden erst von den eintreffenden britischen Truppen vertrieben. Diese überbrachten jedoch gleichzeitig Maynier die Nachricht, dass er abberufen worden war. Trotz der fortdauernden Truppenpräsenz lag die Schwäche der Kolonie offen zu Tage, da bis Ende 1802 Gruppen bewaffneter Khoikhoi und Xhosa Farmen niederbrannten und sich bis weit in die Kolonie vorkämpften. Insgesamt waren bis zum Ende des Krieges 35 % aller Farmen in den beiden Distrikten verwüstet, sodass der Kolonie nicht viel übrigblieb, als mit einem Friedensvertrag den aktuellen Stand des Rinderbesitzes festzuschreiben.
Nach dem Abzug der Briten 1803 bemühten sich Janssens und de Mist um die dauerhafte Sicherung der Grenze und die Entflechtung der Frontier über Grenzabkommen mit den Xhosa. Zu diesem Zweck reisten beide zum mittlerweile volljährigen Ngqika, mit dem sie entsprechende Verabredungen trafen. Ngqika selbst wies darauf hin, dass er für die übrigen Chiefs keine verbindlichen Abmachungen treffen konnte, die Europäer aber blieben blind für die zersplitterten politischen Verhältnisse und die Rivalität unter den Xhosa-Chiefs, weswegen sie immer wieder von Vertragsbruch sprachen, obwohl die meisten Chiefs sich gar nicht an die Abmachungen gebunden fühlten.