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1.4 Die bantusprachige Bevölkerung
ОглавлениеJenseits der Klimagrenze, an der Ostküste und auf dem Highveld, lebten Völker, die sich sprachlich und kulturell deutlich von den Khoikhoi abhoben, wobei auch optisch ein Unterschied aufgrund der im Allgemeinen helleren Hautfarbe der KhoiSan erkennbar war, der allerdings nicht mit einem Rassenunterschied gleichzusetzen ist. Die Archäologie konnte zweifelsfrei Siedlungsformen, wie sie typisch für die heutige bantusprachige Bevölkerung sind, seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. nachweisen. Diese Menschen waren offenbar in früher, nicht genau datierbarer, Zeit aus dem Norden zugewandert, wobei von mindestens zwei Zuwanderungswellen ausgegangen werden muss. Auch wenn unbekannt bleibt, welche Sprache die Menschen während dieser Jahrhunderte gesprochen haben, so kann man zumindest davon ausgehen, dass ihre Lebensweise in vielem derjenigen ähnelte, die Europäer seit dem 16. Jahrhundert direkt beobachteten und beschrieben. Im 19. Jahrhundert erfand der aus Deutschland stammende Linguist Wilhelm Bleeck für eine Gruppe eng miteinander verwandter afrikanischer Sprachen die Sammelbezeichnung »Bantu«, was nichts anderes als Menschen heißt. Die Bantusprachen haben ihren Ursprung im heutigen Kamerun, von wo sie sich über den ganzen afrikanischen Kontinent südlich des Äquators ausbreiteten. Ob dieser Vorgang als eine Art Völkerwanderung zu begreifen ist, wie man früher glaubte, wird mittlerweile bezweifelt, da auch eine Verbreitung der Sprache unabhängig von der Wanderung von Menschen denkbar ist, etwa durch Handelsbeziehungen. Im Unterschied zu den KhoiSan betrieben die Bantusprecher neben der Viehzucht auch den Anbau von Nahrungspflanzen. Darum lebten sie in festen Siedlungen, die allerdings von Zeit zu Zeit kleinräumig verlegt wurden, um den Böden Gelegenheit zur Regeneration zu geben.
Die bantusprachigen Afrikaner, die sich heute in Südafrika als Blacks oder Africans bezeichnen und die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, betrieben eine Wirtschaftsform, die im Gegensatz zu den Khoikhoi stabile Verhältnisse beförderte, da Anbau und Viehzucht sich nicht nur wechselseitig ergänzten, sondern es auch ermöglichten, Dürrezeiten oder Viehkrankheiten leichter zu überstehen. Eine doppelte Ernährungsgrundlage erlaubte zudem eine größere Bevölkerungsdichte und damit tragfähigere politische Einrichtungen als bei den Khoikhoi. Die bantusprachigen Afrikaner bauten vor allem Getreide an, ursprünglich vor allem Hirse und Sorghum, das sie seit dem 18. Jahrhundert allmählich durch den ertragreicheren, aber auch weniger dürreresistenten Mais ergänzten, der von den Portugiesen aus Amerika an die afrikanische Ostküste transferiert wurde. Daneben pflanzten sie zahlreiche Gemüsesorten an, die eine ausgeglichene Ernährung sicherstellten. Die Böden wurden mit Hacken bearbeitet, denn Pflüge wurden erst von den Europäern eingeführt – nicht immer zum Vorteil der Böden. Der Anbau war die Aufgabe der Frauen, die mit Getreidesorten experimentierten und mehrere Pflanzensorten auf einem Feld anbauten. Das »Durcheinander« verschiedener Nutzpflanzen auf demselben Feld wirkte auf die an monokulturellen Anbau gewöhnten Europäer oft verwirrend und fremdartig. Doch war diese Art des Anbaus sinnvoll, weil sich die Pflanzen wechselseitig ergänzten. Kürbisse und Melonen etwa verhinderten mit ihren großen Blättern die Austrocknung der Böden, was dem Mais, der viel Wasser benötigt, zugutekam. Mischkulturen schützten überdies die Pflanzen vor Schädlingsbefall und Krankheiten.
Während im Rahmen der geschlechtlichen Arbeitsteilung die Frauen für den Anbau von Nahrungspflanzen zuständig waren, oblag den Männern die Viehzucht. Dahinter verbarg sich eine Asymmetrie, da den Rindern eine große soziale Bedeutung zukam. Der Reichtum und damit das soziale Prestige bemaßen sich an der Zahl der Rinder, ihrer Gesundheit und ihren ästhetischen Qualitäten, weswegen zuweilen die Hörner junger Rinder in bestimmter Weise gebogen wurden. Während aus dem Getreide, das die Frauen ernteten, Bier gebraut wurde, was nicht nur für das gesellige Leben bedeutsam war, sondern das aufgrund seines Stärkegehalts als ein Grundnahrungsmittel galt und auch den Ahnen geopfert wurde, dienten die Rinder neben ihrem Wert als Statussymbol den Männern als Voraussetzung zur Eheschließung. Um eine Frau heiraten zu können, wurde im Vorfeld mit deren Familie ausgehandelt, wie viele Rinder der Bräutigam zu entrichten hatte. Doch ging diese Abgabe von Rindern über eine rein ökonomische Bedeutung hinaus, weswegen die Übersetzung von Lobola mit »Brautpreis« inadäquat ist. Denn beides, die Heirat wie die Abgabe der Rinder dienten dazu, Bündnisse zwischen den Familien zu besiegeln. Eine Ehe einzugehen hatte demnach, wie in Europa vor dem 19. Jahrhundert, eher in Ausnahmefällen mit Liebesbeziehungen zu tun, dafür aber viel mit Familienpolitik und Kooperationen größeren Stils. Diejenigen, die große Rinderherden besaßen, konnten polygame Haushalte gründen. Da die Oberhäupter, die Chiefs, meist die größten Rinderbesitzer waren, dienten ihnen Eheschließungen als politisches Mittel, um Allianzen aufzubauen. Eine Ehe erfüllte in diesem Kontext eine wichtige symbolische Funktion. Dies führt nun zu einem weiteren wichtigen Thema, nämlich der Familienstruktur, da diese sich von der westeuropäischen wesentlich unterschied.
Während sich in Westeuropa seit der Karolingerzeit die »gattenzentrierte Familie« entwickelte, wie der Wiener Mediävist Michael Mitterauer sie nennt, galt für große Teile der Welt das System der sogenannten Lineage-Strukturen. Damit ist gemeint, dass die Familie als ein langes generationenübergreifendes Band zu verstehen ist, eine Linie, die von der jüngsten lebenden Generation über die älteren bis zu den bereits verstorbenen Ahnen führt. Ein wichtiger Unterschied zu den europäischen Verwandtschaftssystemen lag darin, dass es sich im südlichen Afrika um »unilineale« Strukturen handelte, d. h. nur die Abstammung über einen Elternteil für die Selbstverortung in der Gesellschaft, die »Identität«, von Bedeutung war. Dies bedeutet natürlich nicht, dass man zu anderen Verwandten keine emotionalen Beziehungen aufbaute, sondern die Lineage war im Wesentlichen ein strukturierendes Merkmal und hatte wichtige rechtliche Konsequenzen. Gesellschaften, die über die väterliche Linie verwandtschaftlich organisiert waren und die im südlichen Afrika vorherrschten, nennt man patrilineare Deszendenzsysteme.
Alle Kinder leiteten ihre Herkunft in einer solchen Gesellschaft ausschließlich über den Vater, den Großvater usw. ab, d. h. sie hatten eine Reihe von bereits verstorbenen Ahnen, die für sie die entscheidenden Mittler im Jenseits darstellten. Zwar kannten die bantusprachigen Gesellschaften Südafrikas einen quasi-monotheistischen Schöpfergott, doch näherten sie sich ihm immer über ihre Ahnen, an die sie sich wandten, wenn der Regen ausblieb, Krankheiten und anderes Unheil sie heimsuchten. Das Individuum war stärker als in der gattenzentrierten Familie in ein Netz wechselseitiger Verpflichtungen und in eine Identität als Angehöriger der Lineage eingebunden. So waren Eheschließungen Verbindungen zwischen Lineages. Dies erklärt auch, weshalb die älteren Männer als diejenigen mit dem höchsten Sozialprestige und der größten Nähe zu den Ahnen die Heiratsverhandlungen führten. Eine junge Frau zog zu ihrem Mann, verlor dadurch aber nicht die Zugehörigkeit zu ihrer eigenen Lineage. Faktisch blieb sie immer eine Fremde in der Familie ihres Mannes, im Gegensatz zu ihren eigenen Kindern, die der Lineage ihres Vaters durch ihre Geburt angehörten. Darum wurden vor allem Frauen, insbesondere unfruchtbare, verwitwete und alte, Opfer von Hexereivorwürfen. Denn Hexerei oder Schadenszauber wurde vor allem denjenigen unterstellt, deren Loyalität eher ihrer eigenen Lineage als derjenigen ihres Ehemannes galt. Umgekehrt war die Verbindung zweier Lineages aber auch Grundlage für Bündnisse und übergreifende Solidarität.
Während eine Lineage in der Regel vier Generationen umfasste, gab es darüber hinausgehende größere Einheiten. Die Erinnerung an einen mythischen Urahnen, der häufig als eine Art Gründerheros memoriert wurde, ließ alle, die sich in ihrer Abstammung auf ihn bezogen, als eine große Verwandtschaftsgruppe erscheinen, die aus verschiedenen Lineages zusammengesetzt war. Häufig werden diese übergreifenden Einheiten in der ethnologischen Literatur als Clans bezeichnet, in denen meist ein Exogamiegebot galt, d. h. die Angehörigen eines Clans durften nicht untereinander heiraten. Komplizierte Heiratsregeln banden die Clans aneinander, indem etwa Angehörige von Clan A Frauen aus Clan B heirateten, Männer aus Clan B dagegen Frauen aus Clan C etc. Die Gesamtheit der Clans, die in ein solches Regelwerk integriert waren, bezeichnen die Ethnologen als Stamm, Volk oder Ethnie. Solche Verwandtschaftssysteme waren »segmentäre« Strukturen, da die Verwandtschaftseinheiten alle ein ähnliches Muster aufwiesen und als Segmente im Verhältnis zueinander standen wie die Waben eines Bienenstocks.
Auch wenn die bantusprachige Bevölkerung des südlichen Afrikas über Lineagestrukturen organisiert war, gab es daneben ein weiteres Prinzip der sozialen Organisation, das ebenso wichtig war und für Außenstehende die Sozialstrukturen sehr kompliziert erscheinen lässt, nämlich die politische Organisation über Chiefs. Ethnische Gruppen sind darum in der historisch bekannten Zeit seit etwa 1500 nicht primär als Kulturgemeinschaften fassbar, sondern als politische Gemeinwesen mit einem Chief an der Spitze. Die Loyalität zu einem bestimmten Chief war die Grundlage ethnischer Identität, die sich darum auch wechseln ließ. Der Apartheidstaat hat später den Begriff »Bantu« essentialisiert und diese Völker als klar umgrenzte, nicht nur sprachlich, sondern über distinkte Kulturen identifizierbare Ethnien gefasst.
Südafrika war wie der gesamte Kontinent lange Zeit unterbevölkert, d. h. Land gab es im Überfluss, sodass Landbesitz und Territorialität keine Grundlage für politische Herrschaft boten wie etwa im frühneuzeitlichen Europa. Vielmehr war die Herrschaft über Menschen entscheidend, d. h. die Macht der Chiefs hing von der Zahl ihrer Anhänger und Krieger ab. Aus diesem Grund war ein Chief wohl beraten, sich der Loyalität der Bevölkerung zu versichern, was sich etwa in der politischen Kultur niederschlug. Eine der wichtigsten Tugenden eines Chiefs war Großzügigkeit im Sinn von Freigiebigkeit. Beliebte Chiefs konnten wie Magneten wirken, wodurch ihr Chiefdom an Macht und Ansehen gewann. Ein wichtiges Mittel dazu war, Menschen aufzunehmen, die durch Dürre oder Tierkrankheiten verarmt waren. Der Chief wies ihnen Land zur Nutzung zu und lieh ihnen aus seinen eigenen Beständen Rinder, mit denen sie eine neue Herde aufbauen konnten. Diese Großzügigkeit war freilich an Gegenleistungen geknüpft, wozu Gefolgschaftstreue und Loyalität zählten. Man nennt dieses System von Abhängigkeiten »Rinderpatronage«, was erneut die große Bedeutung des Rinderbesitzes unterstreicht. Denn nur Männer, die Rinder besaßen, konnten heiraten, sodass ein Chief den Rinderbesitz als eine Art politische Stellschraube und Mittel der Disziplinierung nutzen konnte.
Rinderbesitz wirkte sich auch auf die für die südlichen Bantu typische Form der Siedlung aus, die Ethnologen als Central Cattle Pattern charakterisieren. Die Siedlung war jeweils um einen zentralen umzäunten Platz, den sogenannten Kraal (portug.: curral = Pferch), angeordnet, in den über Nacht die Rinder getrieben wurden. Das Central Cattle Pattern war nicht nur von der Geschlechterordnung geprägt, sondern auch die gesellschaftlichen Hierarchien schlugen sich in der Anordnung der Häuser nieder. So stand das Haus des Chiefs sowie diejenigen seiner Ehefrauen gegenüber dem Eingang zum zentralen Rinderkraal. Dem Chief kam eine besondere spirituelle Kraft, ein Erbcharisma zu, das durchaus ambivalent war. Denn Chiefs waren einerseits für das Wohlergehen zuständig und ihre besondere Nähe zu den Ahnen verlieh ihnen größeren Einfluss auf die kosmische Ordnung. Andererseits konnten Chiefs ihre spirituelle Macht auch nutzen, um Feinde, Konkurrenten und Neider zu beseitigen. Dies ist einer der Gründe, warum es in den meisten Gesellschaften tabu war, einen Chief physisch zu attackieren oder gar ihn zu töten. Denn als Ahne verfügte er weiterhin über die Möglichkeit, in die Geschäfte der Lebenden einzugreifen und sich für seinen Tod zu rächen.
Nun ist Chief eine Verlegenheitsvokabel, die eine größere Einheitlichkeit der politischen und sozialen Ordnung suggeriert als tatsächlich existierte. Denn in kaum zwei afrikanischen Gesellschaften war die Stellung des Chiefs die gleiche, sondern es gab zahlreiche Varianten. Viele Chiefs waren eher Clanoberhäupter und genossen kaum über ihre eigene Siedlung hinaus Autorität, während andere Chiefs große Gebiete kontrollierten.
Ausgrabungen deuten darauf hin, dass im ersten nachchristlichen Jahrtausend die Chiefdoms meist klein waren, kaum über Marktbeziehungen miteinander verkehrten, sondern ökonomisch weitgehend Selbstversorger waren. Es gab nur eine geringe berufliche Spezialisierung und keine institutionalisierten Märkte. Nur in wenigen, aber historisch greifbaren, Fällen wuchsen solche Chiefdoms zu größeren Einheiten, die man als Königreiche bezeichnen könnte.
In der Nähe von Lydenburg in der heutigen Provinz Mpumalanga wurden Terrakotta-Köpfe gefunden, die sogenannten Lydenburg Heads, die aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammen und auf eine weit entwickelte Kultur hindeuten. Leider ist die Fundstätte durch die unprofessionellen Grabungsmethoden archäologischer Amateure so sehr zerstört worden, dass man über den historischen Kontext des Fundes bislang nicht viel weiß. Wichtiger ist indes eine Entwicklung etwa 400 Jahre später, die aufgrund professioneller Ausgrabungen weitaus besser rekonstruierbar ist. Die tiefgreifenden Veränderungen der sozialen und politischen Strukturen in dieser Zeit ließen vermuten, dass eine Zuwanderungswelle aus dem Norden die Ursache dafür war. Denn etwa ab 1000 n. Chr. wurde die Rinderhaltung intensiver und das Central Cattle Pattern setzte sich als allgemeines Siedlungsmuster im gesamten Land durch.
Aus den Siedlungsstrukturen um 1000 n. Chr. lässt sich im Norden des heutigen Südafrika eine allmähliche Änderung im Verhältnis der Chiefs zueinander ablesen, denn es kam unter ihnen zu einer Hierarchisierung. Sie waren nicht mehr einfach Nachbarn, sondern einander über- oder untergeordnet. Am östlichen Rand der Kalahari entdeckten die Archäologen, dass erstmals größere Siedlungen inmitten kleinerer entstanden. Ihre Anordnung ließ den Schluss zu, dass sich eine dreigliedrige Hierarchie einspielte: Eine große Siedlung als Zentrum, mittlere als Unterzentren und zahlreiche kleinere Weiler, die wie Trabanten um die größeren angeordnet waren. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf politische Zentralisierung, d. h. einem Chief gelang es, sich zum Oberherrn über die übrigen aufzuschwingen und größere Gebiete unter seiner Herrschaft zu einigen.
Besonders signifikant ist dies in Mapungubwe im äußersten Norden Südafrikas, unweit des Zusammenflusses von Sashe und Limpopo, der heute die Staatsgrenze zu Simbabwe bildet. Denn in dieser archäologischen Fundstätte änderte sich sogar das Central Cattle Pattern. Der Chief entfernte sich weiter als bis dahin üblich von der Bevölkerung, als er sich im wahrsten Sinn des Wortes über sie erhob und seinen Wohnsitz auf einen großen Felsen verlagerte. Gräber mit Beigaben aus Gold, darunter das berühmt gewordene goldene Rhinozeros, dokumentieren, dass es sich hier um eine viel stärker akzentuierte Schichtung der Gesellschaft handelte, als für die Zeit davor archäologisch nachweisbar war. Mapungubwe war eingespannt in die Handelsnetze des Indischen Ozeans, worauf Handelswaren und Artefakte hindeuten, die auf dem Felsen von Mapungubwe gefunden wurden. Die Güter, die die Chiefs von Mapungubwe erreichten, waren knappe Prestigegüter. Sie konnten den Machtzuwachs der Glücklichen, die den Handel unter ihre Kontrolle brachten, erheblich befördern. Glasperlen dienten der Schmuckherstellung, Baumwoll- und Seidenstoffe der Distinktion durch prachtvolle Kleidung. Zu den Handelswaren, die die Afrikaner anboten, zählte neben Elfenbein und Tierhäuten vor allem Gold, das westlich von Mapungubwe gefördert wurde.
Mapungubwe wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verlassen und vermutlich hat sich der Schwerpunkt dieses Reiches um einige hundert Kilometer nach Nordosten verlagert, wo mit den großen steinernen Anlagen von Great Zimbabwe ein neues Reichszentrum entstand. Die weitere Entwicklung betraf folglich nicht mehr Südafrika, doch ist festzuhalten, dass die vermutete Ursache für die Zentralisierung im Fernhandel lag, denn dies war ein Element, das einzelnen Chiefs neue Machtchancen eröffnete. Den Grund für die politischen Zentralisierungen hat man lange in endogenem ökonomischem Wachstum oder umgekehrt in ökologischen Krisen gesehen, da man den Afrikanern als historisch Handelnden dadurch besser gerecht zu werden glaubte. Doch spricht vieles dafür, dass der Fernhandel die entscheidende Variable war, die den Aufstieg einzelner Chiefs ermöglichte. Die Verbindung von Fernhandel und Zentralisierung lässt sich wiederholt in der südafrikanischen Geschichte feststellen.
Erst 500 Jahre nach Mapungubwe liegen erneut Nachrichten über die vorkolonialen afrikanischen Chiefdoms vor. Portugiesische Schiffbrüchige, deren Segelschiffe in den tückischen Unterströmungen an der südafrikanischen Felsenküste aufgelaufen waren, hielten sich einige Zeit bei der bantusprachigen Bevölkerung der Xhosa auf. Dieses etwa 70 000 bis 100 000 Menschen zählende südlichste Bantuvolk lebte direkt an der Grenze des Sommerregengebiets und bildete offenbar eine weitere Ausnahme von der Regel kleiner Chiefdoms, denn im 16. Jahrhundert entstand ein Xhosa-Königreich, d. h. auch hier hatte ein Prozess politischer Zentralisierung stattgefunden, ohne dass die Gründe dafür bekannt sind. Etwa 200 Jahre später setzte ein Zerfall in kleinere Chiefdoms ein, wobei alle Chiefs Angehörige der Königsfamilie, des Tshawe-Clans, blieben. Die Identität der Xhosa-Bevölkerung bemaß sich nach der politischen Loyalität zu einem der Angehörigen des Tshawe-Clans.
Die dünne Besiedlung sowie die Ausweichmöglichkeiten für unzufriedene Chiefs und ihre Anhänger erklären, warum die wenigen Königreiche, von denen wir wissen, instabil waren und, wie etwa dasjenige der Xhosa, dazu tendierten, sich aufzuspalten. Die zentripetalen Kräfte dagegen, die überhaupt zur Entstehung zentralisierter Formen von Herrschaft führten, sind weniger klar eruierbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber spielte der Handel eine ganz entscheidende Rolle, denn überall da, wo sich Zentralisierungen aufgrund archäologischer oder schriftlicher Quellen rekonstruieren lassen, waren die Handelsbeziehungen weitaus intensiver als sonst üblich. Bei den Waren handelte es sich nicht um Lebensmittel und nur in untergeordnetem Maß um Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Metallwerkzeuge u. a., sondern um Prestigegüter, die insbesondere den Chiefs zugutekamen. Da es im südlichen Afrika keine spezialisierten Händler wie etwa in Westafrika gab, konnten die Chiefs den Handel weitgehend kontrollieren und monopolisieren. Das Fehlen von Marktbeziehungen zwischen den Chiefdoms ist die Ursache, warum die kleinen Chiefdoms über so lange Zeit der Regelfall blieben. Erst mit einer wachsenden ökonomischen Ungleichheit, mit erhöhten Wettbewerbschancen derjenigen, die Zugang zu knappen und wertvollen Gütern hatten, war die Voraussetzung für großräumigen Herrschaftsausbau gegeben.