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3. Jugend und Religion
ОглавлениеGrundformen von jugendlicher Religiosität – Distanzierte Haltung
Religion, Religiosität und Glaube von heute jungen Menschen sind mit Blick auf die künftige Entwicklung einer Gesellschaft von besonderer Bedeutung. Deshalb werden diese Themen auch als nicht besonders zentrale, so aber doch dokumentierte Kategorie im Rahmen der empirischen Großstudien der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung regelmäßig erhoben. So haben die in den letzten 15 Jahren veröffentlichten Jugendstudien der Shell Deutschland Holding (2006; 2010; 2016) alle versucht, die Bedeutung von religiösen Vorstellungen und den damit verbundenen Wertekonzepten bei Jugendlichen zu erheben und zu analysieren. Legt man diese letzten drei Shell-Studien nebeneinander, so fällt interessanterweise auf, dass über den Zeitraum von nun elf Jahren die Daten zur gelebten Religion Jugendlicher relativ stabil bleiben. In allen drei Studien kann zwischen drei Grundformen von Religiosität unterschieden werden: Zum einen der sogenannten „Religion light“, die von den Jugendlichen in den westlichen Bundesländern praktiziert wird: Diese Form der Religion zeichnet sich durch eine weiterhin relativ stabile Kirchenmitgliedschaft, die mehr oder weniger geschlossene Teilnahme an den Sakramenten der Lebenswendpunkte (Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit) und durch eine ansonsten eher kritische Distanz gegenüber der Institution der Kirche und ihren Glaubensvorstellungen aus. Man könnte verkürzt sagen, dass in den westlichen Bundesländern für christliche Jugendliche Religion ein zu ihrem familiären Hintergrund gehörender Kontext ist, der aber für das tagtägliche Leben keinerlei Relevanz besitzt.
Religionslose Haltung
Die zweite Gruppe ist die der Jugendlichen in den ostdeutschen Bundesländern, also in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik: Sie gehören mehr oder weniger geschlossen keinerlei Religionsgemeinschaften an, pflegen überhaupt keine Formen von Religiosität oder Glaube, sondern halten diese Phänomene in der Regel für ein Konstrukt, das Menschen helfen kann, die psychische Probleme haben oder durch eine besondere Labilität gefährdet sind. Religion wird als kulturhermeneutisches Deutungsmuster verstanden, nicht aber als etwas, das irgendeine aktuelle Relevanz heute besitzen kann.
Stark religiöse Haltung
Die dritte Gruppe schließlich wird von den vor allem in den westdeutschen Bundesländern lebenden Jugendlichen mit Migrationshintergrund gebildet. Für sie, ganz unabhängig davon, ob sie katholische Kroaten oder türkischstämmige Muslime sind, hat Religion einen hohen Stellenwert: Der religiöse Glaube wird zum einen praktiziert und kommuniziert, zum anderen bildet er einen wichtigen Kontext für Wertvorstellungen und Handlungsmuster.
Dieser Trend, der sich in allen drei Shell-Studien findet und der mehr oder weniger stabil bleibt, zeigt sich im Einzelnen in den verschiedenen Fragen, die den Jugendlichen von den Forschern des Shell-Konsortiums vorgelegt worden sind. So sagen 27 Prozent aller befragten Jugendlichen, dass es einen persönlichen Gott oder eine überirdische Macht nicht gibt (2006 waren es 28 Prozent). Diese Gruppe setzt sich maßgeblich aus Jugendlichen aus den neuen Bundesländern zusammen. Ihnen gegenüber steht die Gruppe derer, die klar bekennt „Es gibt einen persönlichen Gott“, nämlich 26 Prozent (2006 waren es hier allerdings noch 30 Prozent). 24 Prozent (2006 waren es 23 Prozent) der Jugendlichen sind religiös verunsichert und sagen: „Ich weiß nicht richtig, was ich glauben soll“. 21 Prozent der Befragten (2006 waren es 19 Prozent) kann man als „kirchenfern religiös“ bezeichnen in dem Sinne, dass sie an eine überirdische Macht glauben, nicht aber an einen persönlichen Gott.
Bedeutung des Gottesglaubens
Blickt man auf die Antworten der Jugendlichen, die sie zur Frage nach der Wichtigkeit des Glaubens an Gott für die persönliche Lebensführung formuliert haben, so fällt auf, dass die Zahl der Katholiken im Alter von 12 bis 25 Jahren, die Gott eine große Bedeutung für ihr persönliches Leben zuschreiben, von 45 (2006) auf 39 Prozent (2015) gesunken ist, die der evangelischen Jugendlichen mit einem solchen Bekenntnis von 39 Prozent auf 32 Prozent. Deutlich anders verhält es sich jedoch mit den Jugendlichen anderer Religionen, die in Deutschland ja nun vornehmlich muslimischen Glaubens sind. Für sie hat die Bedeutung des Gottesglaubens für das persönliche Leben von 69 Prozent (2006) auf 70 Prozent (2015) sogar zugenommen! Kumuliert man nun die Wichtigkeit des Glaubens an Gott für die Lebensführung über den Zeitraum der Jahre 2002 bis 2015, so ergeben sich folgende Zahlen: Katholiken räumen dem Gottesglauben zu 45 Prozent eine wichtige Bedeutung für die Lebensführung ein, evangelische Jugendliche zu 37 Prozent. Andere Christen, also vornehmlich orthodoxe Jugendliche und vereinzelte Mitglieder von evangelikalen Gemeinschaften, stimmen sogar zu 64 Prozent einer solchen Bedeutsamkeit des Gottesglaubens zu. Überragt wird dieser hohe Anteil allerdings durch die muslimischen Jugendlichen, bei denen 76 Prozent für die große Bedeutung des Gottesglaubens für die persönliche Lebensführung votieren. Bei den Jugendlichen, die keiner Konfession angehören, sind es entsprechend lediglich 8 Prozent, die dieser These zustimmen. Genau 82 Prozent der Jugendlichen ohne religiöses Bekenntnis halten dagegen folgerichtig in ihrer Perspektive die Gottesfrage mit Blick auf die eigene Lebensführung für irrelevant.
Haltung zur Institution Kirche
Ein weiterer Fragebereich sollte hier noch kurz erwähnt werden: Alle ca. 2.500 Jugendlichen sind in den drei zitierten Studien auch danach gefragt worden, wie sie zur Kirche stehen. Dabei hält sich die Zahl derer, die es gut finden, dass es die Kirche gibt, zwischen 2006 und 2015 konstant zwischen 69 und 67 Prozent. Dies bedeutet, dass auch eine ganze Reihe von Jugendlichen, die mit Religion und Glaube nichts zu tun haben wollen, die Institution der Kirche selber positiv bewerten. Allerdings sagen auch 68 bzw. 64 Prozent der Jugendlichen (2006 bzw. 2015), dass die Kirche sich ändern muss, wenn sie eine Zukunft haben will. Das für die Kirchen allerdings besorgniserregendste Ergebnis ist eine weitere Frage. Hier attestieren nämlich 65 Prozent (2006) bzw. 57 Prozent (2015) der Jugendlichen der Kirche, dass diese auf die Fragen, die sie, die Jugendlichen, wirklich bewegten, keine wirklichen Antworten geben könne. Dies kann ein Beleg dafür sein, dass die im Eingangsabschnitt referierte These von der faktischen Bedeutungslosigkeit der Kirche für die Bewältigung des Alltagslebens zutreffend ist. Übrig bleibt allein die Bewältigung von Leid und Tod, in der eine Funktion von Religion im Sinne der Kontingenzbewältigung auch für junge Menschen erkennbar wäre.
Abb. 2 Gottesglaube von Jugendlichen nach Shell Deutsche Holding (2015: 253)