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4. Interkulturelles Lernen
ОглавлениеInterreligiöses Lernen und interkulturelles Lernen
Interreligiöses Lernen wird oft mit dem interkulturellen Lernen gleichgesetzt, wohl auch, weil sich Sitten und Bräuche oft aus der rituellen Praxis einer religiösen Tradition erklären lassen. Dabei wird aber übersehen, dass in die Riten und Regeln der großen Weltreligionen oft auch Elemente der lokalen Kulturen eingegangen sind. So haben die Trennung der Geschlechter im Gottesdienst, das Ritual der Beschneidung oder auch die Vorschriften zur Ernährung in Judentum und Islam eben nicht nur theologische Gründe (die aus Tora und Mischna bzw. Koran und Hadith abgeleitet werden könnten). Vielmehr lassen sich bei näherem Hinsehen in diesen Vollzügen bestimmte lebensweltlich praktische Zusammenhänge erkennen. In der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Diskussion hat sich ein Begriff von interkulturellem Lernen herausgebildet, der sich aus vier Grunddimensionen konstituiert: Interkulturelles Lernen zielt auf eine Kompetenz, in der das Verstehen des Fremden, die Anerkennung des Anderen, der nichtwertende Umgang mit Differenz und eine grenzüberschreitende Kommunikation möglich werden (Holzbrecher 2004: 98). Setzt man dies in Beziehung zu einem Begriff von interreligiösem Lernen, der auf die bewusste Wahrnehmung, die angemessene Begegnung und die differenzierte Auseinandersetzung mit Zeugen und Zeugnissen fremder Religionen zielt, so wird rasch deutlich, dass es ein gemeinsames Anliegen der beiden Ansätze gibt: Interkulturelles wie interreligiöses Lernen zielen auf eine angstfreie, wertschätzende und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Fremden, in der die eigene Identität gestärkt und ein wirklicher Dialog mit dem Anderen (im oben genannten Sinne) möglich wird. In diesem Lernzielhorizont richtet das interreligiöse Lernen seinen Fokus auf das Feld der Religion, also auf das, was die Bildungsforschung als den Bereich der konstitutiven Rationalität (vgl. unten II. 6. Baumert 2002) bezeichnet, während das interkulturelle Lernen seinen Blick auf das Feld der Kultur mit allen seinen Phänomen richtet (Leimgruber 2007: 20). In diesem Sinne verschränken sich interreligiöses und interkulturelles Lernen, ohne dass das eine dem anderen unter- oder überzuordnen wäre.
Stichwort
Lernen – Bildung – Erziehung
Drei Begriffe prägen den pädagogischen Diskurs maßgeblich: Lernen, Bildung und Erziehung. In den Medien werden sie oft synonym verwendet, obwohl sie unterschiedliche Facetten des Bildungsgeschehens bezeichnen: So beschreibt der Begriff der Bildung einen lebenslangen Prozess, in dem der Mensch ein eigenständiges und reflektiertes Verhältnis zu sich, den Anderen und der Welt gewinnen soll. Bildung ist im Deutschen reflexiv, d.h. das Subjekt muss sich selber bilden, es kann nicht von anderen „gebildet“ werden (anders im Englischen: Hier wird für beide Seiten des Prozesses das gleiche Wort Education verwendet, nämlich to get educated, aber eben auch to educate). Für die Anstrengung, andere Menschen bei ihrer (Selbst)Bildung zu fördern und zu unterstützen gibt es dagegen im Deutschen den Begriff der Erziehung: Er meint das Bemühen um die Vermittlung von Fähigkeiten, Kenntnissen und Einstellungen an die nachwachsenden Generationen durch Eltern, Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrer u.a. Der Begriff des Lernens ist als Unterbegriff zu Bildung zu verstehen: Lernen bezeichnet die individuelle Aneignung und Bearbeitung von Informationen, sodass es zu einem Perspektivwechsel und Verhaltensänderungen kommen kann, die zum Bildungsprozess des Einzelnen beitragen.