Читать книгу Die Taufe auf den Tod Christi - Claudia Matthes - Страница 58
1.3.1 ἐνδύω im NT
ОглавлениеIm Allgemeinen wird ἐνδύω mit „Anziehen (von)“ übersetzt und zwar unabhängig vom jeweiligen Objekt, welches „angezogen“ wird. Drei unterschiedliche Arten von Objekten lassen sich ausmachen:1 1) Kleidung, 2) abstrakte Größen wie z.B. Eigenschaften und 3) Personen. Diese Reihung der Objekte geht mit einer Steigerung der Bildhaftigkeit des jeweiligen Vorgangs des Anziehens einher.
Für sämtliche Verwendungsarten lassen sich neutestamentliche Beispiele finden. Dabei fällt auf, dass nur eine Minderheit der Stellen vom Ankleiden anderer spricht2 und bei der Mehrheit das Sich-selbst-Ankleiden beschrieben, oftmals auch dazu aufgefordert wird.
1) Wird Kleidung angezogen, das Verb also im Literalsinn verwendet, so kann ihre Beschaffenheit auf die Position eines Menschen3 bzw. die Art seiner Lebensweise verweisen,4 bis hin zum gänzlichen Fehlen von Kleidung.5 Sie gehört – vergleichbar der Nahrung – zum Lebensnotwendigen und soll dennoch nicht Gegenstand der Sorge sein.6
2) Ähnlich der Kleidung können Eigenschaften aus- und angezogen werden, welche sich entweder auf das irdische Leben beziehen7 oder auch darüber hinausreichen.8 Vorwiegend in paränetischen Abschnitten der Briefe begegnen die Forderungen, bestimmte Gewohnheiten und Attribute des vorherigen Lebens abzulegen und stattdessen solche anzunehmen, die dem neuen Status als Christusgläubige entsprechen. Die Aufforderung, die Lebensführung anzupassen, ist dabei dem Ereignis des „Kommen-des-Glaubens“ oder auch der Taufe zeitlich nachgeordnet und fällt nicht etwa mit diesen zusammen oder würde diese gar erklären.9 Ἐνδύω wird vielmehr verwendet im Sinne von „sich Eigenschaften aneignen“.
3) An insgesamt vier Stellen des NT – sämtliche im Corpus Paulinum – wird ἐνδύω mit einem personalen Objekt in Verbindung gebracht: Neben Gal 3,27b in Röm 13,14 sowie in Kol 3,9f und Eph 4,22–24. Der paränetische Kontext der drei letztgenannten Passagen ist deutlich zu erkennen, nicht zuletzt darin, dass zunächst „Altes/Vorheriges“10 abgelegt werden muss, um dann das „Neue“11 anziehen zu können. Die ausführlichen Parallelisierungen des „Alten“ mit nicht erwünschten Tätigkeiten und Angewohnheiten12 lassen die Abschnitte in große Nähe zur Kategorie 2) rücken und schließlich die Frage aufkommen, inwieweit es sich v.a. bei τὸν καινὸν / νέον ἄνθρωπον (Eph 4,24; Kol 3,10) tatsächlich um ein im eigentlichen Sinn personales Objekt handelt oder es nicht vielmehr als Kollektivbegriff für sämtliche Eigenschaften und Handlungsweisen eines Menschen steht. Diese Frage ist dann ins Verhältnis zu setzen zu dem divergierenden Befund, ob der neue Mensch nun erst noch anzuziehen ist oder ob dies bereits geschehen sei: Die Tatsache, dass die vier erwähnten Stellen zwar alle im Aorist jedoch in unterschiedlichen Modi formulieren,13 führt sodann zu der These, dass die vier Textstellen mit personalen Objekten keineswegs eine einheitliche tradierte Vorstellung wiedergeben, sondern vielmehr wesentlich von ihrem jeweiligen Argumentationskontext abhängig sind. Mindestens für die drei paränetischen Texte (Röm 13,14; Kol 3,9f; Eph 4,22–24) lässt sich jedoch festhalten, dass ἐνδύω als „sich in umfassendem Sinne ein neues Verhalten Zulegen“ verwendet wird, das sich sowohl auf Eigenschaften als auch Handlungsweisen erstreckt und damit der Kategorie 2) nahesteht.
Betrachtet man nun davon ausgehend jedoch Χριστὸν ἐνεδύσασθε in Gal 3,27b, so geraten gleich mehrere abweichende Aspekte ins Blickfeld: Der Kontext hat keinerlei paränetische Pragmatik – weder die von Paulus geführte Argumentation, noch die galatische Frage nach der Beschneidung, auf welche jene reagiert.14 Zwar impliziert die durch die Beschneidung entstehende Bindung an das Gesetz auch ethische Forderungen, jedoch kreist die paulinische Argumentation doch gerade um die Pointe, dass Christus vom Gesetz befreit hat – alle die glauben und getauft sind (Gal 5,1)! Dass Paulus im Fortgang trotzdem zu einem tugendhaften Leben mahnt (Gal 5,16–25), widerspricht dem nicht. Er fordert lediglich dazu heraus, sich dem Erlebten gemäß zu verhalten: Mit dem Eingehen der Bindung an Christus, dem Moment also, in dem sie οἱ τοῦ Χριστοῦ (5,24) geworden sind, hat sich ihre Lebenssituation grundlegend gewandelt – … τὴν σάρκαν ἐσταύρωσαν σὺν τοῖς παθήμασιν καὶ ταῖς ἐπιθυμίαις (5,24). Dass dies aber keineswegs als Automatismus zu verstehen ist, sondern als lebenslange Aufforderung macht der adhortative Charakter des Folgesatzes mehr als deutlich: Εἰ ζῶμεν πνεῦματι, πνεῦματι καὶ στοιχῶμεν (5,25). Eine tugendhafte Lebensführung soll demnach Folge der erlebten Wende sein, fällt aber mit diesem Moment nicht zeitlich zusammen.15 Inwieweit sind aber dann Formulierungen wie in Röm 13 und Eph 4, welche erst zum „Anziehen“ auffordern und dies eindeutig mit „gutem Verhalten“ in Verbindung sehen, als vergleichbare Parallelen zu 3,27b anzuführen?16
Kol 3 wiederum scheint die Aufforderung zu einem besseren Lebenswandel gerade auf das bereits vollzogene „Angezogenhaben des neuen Menschen“ zu stützen. Für eine ähnliche Situierung spricht zudem auch der Folgevers: ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος … ἀλλὰ [τὰ] πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός (Kol 3,11). Ist also Christus tatsächlich gleichzusetzen mit ὀ νέος ἄνθρωπος (Kol 3,10)? Dazu müsste man wiederum die These bemühen, dass die vier diskutierten Texte mit personalem Objekt auf die gleiche geprägte Vorstellung zurückgreifen. Dies ist bereits oben nachhaltig in Zweifel gezogen worden.
Doch selbst die Gleichsetzung von Χριστὸν (Gal 3,27b) und τὸν νέον ἄνθρωπον (Kol 3,10) würde eine Spannung nicht auflösen können: Auch wenn man von einem Anziehen bzw. Anlegen von Eigenschaften oder gar einem ganz neuen Lebenswandel sprechen kann, was soll man sich aber unter dem „Anziehen des Christus“ vorstellen, auf den man getauft wird?
Der Verdacht, dass ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b) – trotz oder gerade wegen der drei besprochenen vermeintlichen Vergleichsstellen – erklärungsbedürftig bleibt, führt in der Forschungsgeschichte immer wieder zu einer Suche nach weiteren Quellen, die für einen Vergleich herangezogen werden können und, sich darauf stützend, alternativen Übersetzungsvorschlägen und Deutungen. Genannt seien hier die vielfach diskutierten von T. Zahn („sich in die Rolle eines anderen hineindenken […] sich wie ein anderer geberden und darstellen“)17 und E.d.W. Burton („to become as Christ, to have his standing“).18 Die sich daraus ableitenden Interpretationsansätze sind derartig vielfältig, dass ein kurzer Überblick gegeben werden soll.