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A.1. K.u.k. postcolonial:

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Habsburgs ‚Kolonialismus‘ als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise

[…] die Worte Kolonie und Übersee hörte man an wie etwas noch gänzlich Unerprobtes und Fernes. (Robert Musil:

Der Mann ohne Eigenschaften)1

Die Geschichte des Imperialismus und Kolonialismus überschattet und überdauert in ihren Auswirkungen das angebliche Ende des Letzteren, und sie hat lange vor dem langen 19. Jahrhundert begonnen.2 Schon bei Platon findet sich der Gedanke, dass eine polis ihren Bevölkerungsüberschuss durch Gründung neuer „Pflanzstädte“ jenseits des Meeres planvoll und produktiv abführen müsse.3 Mehr als 2000 Jahre später kennt Bartholomew’s Century Atlas of the World (London 1902) lediglich 37 unabhängige „Principal States“; deren „Colonies and Protectorates“ werden nicht mitgezählt.4 Auf diese Weise sind 1914, als Kafka seine Strafkolonie schreibt, zirka 85 % der globalen Landmasse Kolonien.5

Wie jeder auch noch so kurze historische Abriss suggeriert, kann man Auswanderung und – als ihr Komplementärphänomen – Gebietserweiterung nachgerade als anthropologische Konstanten ansehen. In seiner 1995 erstmals formulierten Typologie unterscheidet Jürgen Osterhammel zwischen (1) der „Totalmigration ganzer Völker und Gesellschaften“ wie z.B. in der sog. Völkerwanderung, (2) „massenhafte[r] Individualmigration“ wie z.B. in die Neue Welt oder aus der sog. Dritten Welt nach Europa, (3) „Grenzkolonisation“ (das „Hin­ausschieben einer Kultivierungsgrenze“ wie z.B. im frontier-Gedanken der USA im 19. Jh.), (4) „überseeische[r] Siedlungskolonisation (in Nordamerika, Australien/Neuseeland, Südafrika, der Karibik etc.), (5) „reichsbildendende[n] Eroberungskriege[n]“ wie etwa bei Dschingis Khan und (6) der „Stützpunktvernetzung“ z.B. der Regionalmächte Genua und Venedig im Mittelmeer oder der Briten und Portugiesen in Singapur, Hongkong und Macau.6

Bevor er noch diese Kategorien entwickelt, moniert der deutsche Fachhistoriker auch, dass Kolonisation „ein Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit“ sei;7 ebenso sehen andere Forscher/innen den Begriff des Kolonialismus zumindest als „umstritten“.8 Und in der Tat stellt sich die Frage, ob die antik-griechische Kolonisierung der Mittelmeerküsten, die militärischen Eroberungen der Römer,9 die sich in Zentral- und Osteuropa festsetzenden deutschen Kolonisten des Mittelalters und der Frühneuzeit, die Entdeckung/Besiedlung Amerikas und die großen europäischen Kolonialreiche der Moderne kommensurable Phänomene sind. Was wäre also (mit Wittgenstein gesprochen) die „Familienähnlichkeit“10 zwischen jenen europäischen Expansionsbewegungen und beispielweise den historischen Großreichen Asiens? Zugespitzt formuliert: Wie eurozentrisch ist eine historiografische Theorie des Kolonialismus? Anderseits: Läuft ein wahrhaft globaler Begriff nicht wiederum Gefahr, sich – ähnlich wie Saids „Orientalismus“11 – dem Vorwurf künstlicher, ahistorischer Universalität auszusetzen?12

Die um die Jahrtausendwende aufgekommene historisch-kulturwissenschaft­liche Debatte, inwieweit das Kolonialismus-Paradigma produktiv auf innereuropäische und speziell habsburgische Verhältnisse umgelegt werden könnte, zeitigt indes immer neue Ergebnisse.13 Dies hat auch den Verfasser der vorliegenden Studie – der am Zustandekommen eben jener Diskussion nicht ganz unschuldig war – dazu gebracht, auf seine eigenen Positionen, die erst eher programmatisch als mit dem Anspruch auf Vollständigkeit geäußert wurden, noch einmal zurückzukommen. In Ergänzung zu früheren Texten14 erscheint es angebracht, die verschiedenen Anwendungsfälle noch einmal zu differenzieren, in denen das Paradigma ‚Kolonialismus‘ in Hinblick auf „Kakanien“ operationalisiert wird. Im Wesentlichen dürfte es sich dabei um folgende Szenarien handeln:15

1 Österreich-Ungarn wird historisch-sozialwissenschaftlich als (Pseu­do-)Kolonialmacht angesehen, die sich anderssprachiger Territorien imperialistisch bemächtigt hat, um sie zu beherrschen und ökonomisch auszubeuten; damit wird ein innerkontinentaler Kolonialismus als historischer Befund ausgesprochen.

2 Wie in Fall 1 wird dem späten Habsburger Reich unterstellt, so etwas wie eine Kolonialmacht gewesen zu sein; dies geschieht jedoch v.a. rhetorisch, d.h. häufig in polemischer Form im Rahmen eines zeitgenössischen bzw. zeitspezifischen Diskurses (als Befindlichkeit).

3 Es wird eingeräumt, dass die k.u.k. Monarchie zwar keine Kolonialmacht im engeren Sinne war, dass aber ihre symbolischen Formen ethnisch differenzierender Herrschaft – d.h. ihre kulturellen Formatierungen und Bilderwelten – Ähnlichkeiten zu jenen überseeischer Kolonialreiche aufweisen (Imagologie und Identitätspolitik). Vorgeschlagen wird hier also eine heuristische Denkfigur bzw. ein Vergleich als kritische Betrachtungsweise.

Im Folgenden soll versucht werden, diese drei Positionen noch einmal darzustellen und einen Beitrag zu ihrer weiteren Diskussion zu leisten.

Habsburgs 'Dark Continent'

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