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10. Coda: Mögliche Analyse-Kategorien für den (k.u.k.) Kolonialdiskurs
ОглавлениеWe must take stock of the nostalgia for empire, as well as the anger and resentment it provokes in those who were ruled, and we must try to look carefully and integrally at the culture that nurtured the sentiment, rationale, and above all the imagination of empire. And we must also try to grasp the hegemony of the imperial ideology, which by the end of the 19th century had become completely embedded in the affairs of cultures whose less regrettable features we still celebrate.1
Trotz der Tatsache, dass der sog. „habsburgische Mythos“ in der Literatur häufig erst a posteriori formuliert worden ist,2 ist er – wie aus dem bisher Gesagten abgeleitet werden kann – als imperial(istisch)e Selbstrechtfertigungsstrategie für innere und äußere Kolonisation beschreibbar. Und, wie das obige Zitat von Edward Said im Rahmen der britischen und französischen Imperien des 19. Jahrhunderts ausdrückt: Eine ausgewogene Lektüre der habsburgischen Kultur/en des selben Zeitraums sollte nicht nur den hegemonialen Diskurs lesen, sondern auch das, was ihn ermöglichte, und ebenso das, was ihm im Inneren und Äußeren Widerstand leistete3 – im Sinne einer Bestimmung postkolonialer Kritik als Lektürepraxis:
[…] postcolonial criticism can still be seen as a more or less distinct set of reading practices, if it is understood preoccupied principally with analysis of cultural forms which mediate, challenge or reflect upon the relations of domination and subordination – economic, cultural and political – between (and often within[!]) nations, races or cultures, which characteristically have their roots in the history of modern European colonialism and imperialism […].4
Dies entspricht in etwa dem, was schon Edward Said in einer musikologischen Metapher „kontrapunktisches Lesen“ nannte, dessen mehrschichtige Bedeutung eine Zusammenschau der einschlägigen Stellen in Culture and Imperialism5 erschließen kann:
1 „Contrapuntal reading“ verdankt sich letztlich der kontrapunktischen Struktur von Identitätskonstruktionen: „Greeks always require barbarians, and Europeans Africans, Orientals etc.“6 Deshalb sind auch bei einer Analyse beide Pole der Dyade als Einheit zu betrachten.
2 „Contrapuntal reading“ thematisiert den verdrängten historischen Kontext7 imperialen Schreibens: etwa die Zuckerplantage im Hintergrund von Jane Austens Mansfield Park, die die englischen Protagonist/inn/en benötigen, um ihren life style aufrecht zu erhalten.8
3 Im komparatistischen Sinne gilt es, – in einem Modell, das Bachtins „Dialogizität“ einiges verdankt – nicht nur die dominanten Stimmen der Literaturen und Kulturen zu hören, sondern jene teilweise zum Schweigen gebrachten, die diesen widersprechen und opponieren:As we look back at the cultural archive, we begin to reread it not univocally, but contrapuntally, with the simultaneous awareness both of the metropolitan history that is narrated and of those other histories against which (and together with which) the dominating discourse acts.9
4 Und, last but not least, müsste man hinzufügen, dass eine kontrapunktische Lektüre auch die systemimanenten Widersprüche und Aporien imperialen Schreibens zum Vorschein bringt. Insgesamt, so Said (der ja neben seiner literaturwissenschaftlichen Publikationstätigkeit auch ein renommierter Opern- und Musikkritiker war), führt dies gleichsam zu einer orchestralen Lektüre, die den kulturellen Text sozusagen als Partitur verschiedener Instrumente liest, in der eine Stimme nur provisorisch privilegiert ist:In the counterpoint of Western classical music, various themes play off one another, with only a provisional privilege being given to any particular one; yet in the resulting polyphony there is concert and order, an organized interplay that derives from the themes, not from a rigorous melodic formal principle outside the work.10
Was die vorliegende Arbeit im Folgenden leisten wird können, ist – aufgrund fehlender slawistischer und hungarologischer Expertise ihres Verfassers – vor allem mit den Punkten 1, 2 und 4 charakterisiert. Die volle Kontrapunktik im Sinne Saids wird sich also erst dann einstellen können, wenn man dieses Buch in dem Netzwerk-Rahmen, in dem es entstanden ist, liest: im Dialog v.a. mit den Arbeiten von Stijn Vervaet, Vahidin Preljević und anderen, die das Writing back und damit auch die Frage kulturellen Widerstands nicht-hegemonialer Literaturen und Kulturen in der späten Habsburger Monarchie stärker thematisieren, als ich dies aus den genannten Gründen hier vermag. Was meine Studie indes vorderhand leisten wird können, ist im Sinne des frühen Edward Said also eine colonial discourse analysis, die sich dem hegemonialen Leitgenre der habsburgischen Kultur/en, der deutschsprachigen Literatur, ebenso widmet wie paraliterarischen Formationen.
Eine solche Analyse des k.u.k. ‚Kolonial‘diskurses als „kulturelle[m] Resonanzraum kolonialer Bestrebungen“11 kann sich nicht nur auf die umfänglichen Kritiken und Revisionen des Said’schen Frühwerks Orientalism von 1978 stützen,12 sondern auch auf die Beobachtungen und Analysen diverser anderer Forscher/innen. So umreißt etwa Elleke Boehmer die zentrale Thematik der Kolonialliteratur; in ihr gehe es um „the introversion of the colonial mission, or colonial drama; the masculine aspect of that drama; the representation of other peoples; the resistant incomprehensibility or unreadability of the colonized beyond“.13 In einer weiteren Elaboration, die in ihrer manichäischen Dichotomik nachgerade spätstrukturalistisch anmutet, hat J.M. Blaut in The Colonizer’s Model of the World (1993) auf die prinzipielle Zweiteilung der symbolischen Welten von Zentrum (core) und Periperie in deren Repräsentation hingewiesen und dafür folgendes Schema entwickelt:14
Characteristic of Core: | Characteristic of Periphery: |
inventiveness | imitativeness |
rationality, intellect | irrationality, emotion, instinct |
abstract thought | concrete thought |
theoretical reasoning | empirical, practical reasoning |
mind | body, matter |
discipline | spontaneity |
adulthood | childhood |
sanity | insanity |
science | sorcery |
progress | stagnation |
In David Spurrs Buch Colonial Discourse in Journalism, Travel Writing and Imperial Administration (1993) wiederum werden relativ systematisch elf Verfahrensmodi der kolonialen Repräsentation des Anderen ausgewiesen, die im Folgenden zusammengefasst werden sollen;15 der/die/das Andere/Fremde wird dabei quasi als „historical palimpsest“16 aufgefasst:
1) „Surveillance“ (13ff.): Hier geht es um Sichtweisen und Erzählperspektiven im Kolonialdiskurs: Wer hat das „privilege of the gaze“ (13) bzw. das Blick- und Beschreibungsmonopol, und wer wird angesehen, ohne zurückblicken zu dürfen? Auch Vogelperspektive, Landschaftspanoramen17 und auktoriale Erzählhaltung werden genannt (15) bzw. der Blick auf den fremden Körper, der diesen ästhetisch, ethisch und nach seinem Arbeitswert einstuft (22).18
2) „Appropriation“ (28ff.): Die Aneignung der fremden Länder und Menschen durch den Kolonisator wird gleichsam als dessen Naturrecht behauptet (29), wobei die Kolonialherrschaft als „restoration of a harmonious order“, als Rettung vor Krieg und Chaos erscheint (34). Dabei gilt es die Rolle von westlicher Namensgebung (z.B. „New-Amsterdam“) als Nostalgie für das verpflanzte Eigene wie auch die semantische Inbesitznahme des Fremden in einem kolonialen Kontext zu berücksichtigen (30).19
3) „Aestheticization“ (43ff.): Der koloniale Blick ästhetisiert z.B. soziales Elend zu pittoresker Armut (39f.) und definiert, was „authentisch“ und was „nicht-authenisch“ ist (49).
4) „Classification“ (61ff.): Der Kolonisator nimmt für sich das Privileg in Anspruch, alle fremden Phänomene gemäß von ihm (willkürlich?) aufgestellter eigener Kategorien zu klassifizieren.20
5) „Debasement“ (77ff.): Diese Projektionen von Angst, Schmutz und Ekel erzeugen strategisch „the horror of the Other“ (79) und lassen den „struggle aginst the lotuslike powers of an unknown land“ (80) als heroische Herausforderung für den colon erscheinen. Nacktheit und Schmutz erscheinen als „markers of distinction“ (81), gleichzeitig als „warning against the seductive danger of the savage“ (83). Es gilt gleichwohl das Paradox, dass die Kolonisierten durch die mission civilatrice auf die hohe Zivilisationsstufe des colon gehoben werden sollen, sie aber für ihre „attempts to imitate the forms of the West“ ridikulisiert werden (84).
6) „Negation“ (92ff.): Dieser Beschreibungsmodus vermag das Fremde/Andere nur als Verneinung bzw. Gegenteil des Eigenen („state of nothingness“- 97; „Heart of Darkness“- 95) erfassen, als „incapacity to enter into the basic systems of thought that make civilized life possible“ (104).21
7) „Affirmation“ (109ff.): Strategien der (Selbst-)Bestätigung der kolonialen Präsenz und der mission civilizatrice.
8) „Idealization“ (126ff.): die Idealisierung des/der Fremden/Anderen/Eingeborenen z.B. zum ‚edlen Wilden‘, zur Gegenwelt zur Moderne, die nicht nach utilitaristischen Prinzipien organisiert ist (129), d.h. das scheinbare Glück des ‚Rückständigen‘.
9) „Insubstancialization“ (141ff.): Hiermit ist z.B. die Auflösung der Leitdifferenz von ‚innen‘ und ‚außen‘ unter dem Eindruck des fremden Lands und seiner Menschen gemeint, z.B. „the spell of the Orient“ (145), der die westlichen Betrachter/innen wie in einem Drogenrausch desorientiert und sie im Ungewissen über den Traum- und Wirklichkeitsstatus des Erfahrenen lässt.
10) „Naturalization“ (156ff.): Andere Länder und ‚Völker‘ werden mit dem Register der Biologie beschrieben, anstatt sie wie das Eigene als Kulturphänomene darzustellen („identification of Third World peoples with the forces of nature“, 167).
11) Gendering bzw. „Eroticization“ (170ff.): der/die/das Fremde wird sexuell aufgeladen bzw. verweiblicht („the cliché of colonial history“, 171). Die Darstellung folgt „Principles of unveiling and repetition“ (175) und ist einer Dialektik von Angst und Begehren unterworfen.22
Mit diesen kritischen Kategorisierungsversuchen des Kolonialdiskurses (die paradoxerweise innerhalb der westlichen Academia formuliert worden sind, gleichsam als tool set einer institutionalisierten Selbstkritik) stehen zumindest Anregungen für die folgenden Fallstudien und Detailanalysen zur Verfügung. Sie werden freilich nicht systematisch appliziert werden, um einerseits einen ermüdenden Schematismus, andererseits den Eindruck unreflektierten Transfers bzw. kritikloser ‚Anwendung‘ zu vermeiden und außerdem die Texte zunächst mittels eines close reading für sich selbst ‚sprechen‘ zu lassen.