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4. Orientalismus & Balkanismus
ОглавлениеAufgrund der besonderen Relevanz der latent imagologisch vorgehenden Analysen des Orientalismus bei Edward Said bzw. des Balkanismus bei Maria Todorova für den kritischen Diskurs eines externen wie internen europäischen Post/Kolonialismus sollen diese im Folgenden kurz im Einzelnen präsentiert werden, ohne dass freilich über diese Skizze hinaus irgendein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden könnte; immerhin sind zur Metakritik der beiden kritischen Theorien diverse Aufsätze, ja Bücher veröffentlicht worden, auf die beide Autoren auch selbst reagiert haben.1
Saids paradigmenbildende Orientalism-Monografie von 1978 geht von der These aus, dass die wissenschaftliche und reiseliterarische Erschließung der islamischen Welt im 18. und 19. Jahrhundert diese nicht neutral abgebildet, sondern eher im Stile einer Projektion des Selbstbild-Negativs einen phantasmatischen Raum geschaffen habe:
Unlike the Americans, the French and British – less so the Germans, Russians, Spanish, Portugese, Italians, and Swiss – have had a long tradition of what I shall be calling Orientalism, a way of coming to terms with the Orient that is based on the Orient’s special place in European Western experience. The Orient is not only adjacent to Europe; it is also the place of Europe’s greatest and richest and oldest colonies, the source of its civilizations and languages, its cultural contestant, and one of its deepest and most recurring images of the Other. In addition, the Orient has helped to define Europe (or the West) as its contrasting image, idea, personality, experience. Yet none of this Orient is merely imaginative. The Orient is an integral part of European material civilization and culture. Orientalism expresses and represents that part culturally and even ideologically as a a mode of discourse with supporting institutions, vocabulary, scholarship, imagery, doctrines, even colonial bureaucracies and colonial styles.2
Dieser imaginäre ‚Orient‘ diente jedoch nicht nur als Legitimation diverser nationaler Kolonialismen in Europa und zugleich – individuell – der phantastischen „Flucht vor der Entfremdung eines sich rasant industrialisierenden Westens, sondern auch als Metapher für das Verbotene“, resümiert Maria Todorova in ihrer Diskussion von Saids Thesen.3 In ihrer eigenen, 1997 erstmals auf Englisch erschienenen Studie Imagining the Balkans hat die bulgarisch-amerikanische Historikerin unter Bezugnahme auf Vorarbeiten anderer regionaler Forscher/innen4 die Theorie formuliert, dass es als Parallel- und Gegenbegriff zum Orientalismus die Kategorie des „Balkanischen“ gebe, die der Region Südosteuropa, deren „ethnische Komplexität“ sich für externe Beobachter/innen zugleich als die „frustrierendste Eigenschaft“ erweise,5 eine uniform fremde Identität zuschreibe: Dieses label werde
neben anderen verallgemeinernden Schlagworten benutzt, von denen ‚orientalisch‘ das am meisten verwendete war, um Dreck, Passivität, Unzuverlässigkeit, Weiberfeindschaft, Neigung zu Intrigen, Unredlichkeit, Opportunismus, Faulheit, Aberglauben, Lethargie, Schlaffheit, Ineffizienz oder inkompetente Bürokratie zu klassifizieren. ‚Balkanisch‘ wies zusätzliche Charakteristika auf, während es sich mit ‚orientalisch‘ überschnitt, wie etwa Grausamkeit, Rüpelhaftigkeit, Instabilität und Unberechenbarkeit. Beide Kategorien wurden gegen die Vorstellung von Europa verwendet, das Sauberkeit, Ordnung, Selbstbeherrschung, Charakterstärke, Gespür für das Gesetz, Gerechtigkeit und effiziente Administration symbolisierte […].6
Was anhand dieser Aufstellung deutlich wird, ist, wie stereotype Diskurse kulturelle Werthierarchien durch ihre latente Gegenüberstellung des Eigenen transportieren und propagieren. Im Gegensatz zu anderen Forscher/inne/n besteht Todorova freilich darauf, „Balkanismus“ als Stereotypen-Cluster nicht als Unterkategorie oder Spezialfall des Orientalismus zu betrachten – wie man dies ja angesichts der langen Zugehörigkeit großer Teile des Balkans zur „europäischen Türkei“ im Spätmittelalter und in der Neuzeit durchaus könnte: „Balkanismus entstand zu einem großen Teil unabhängig vom Orientalismus und in gewissen Bereichen dagegen oder dessen ungeachtet“.7 Als Unterschiede zwischen beiden werden folgende Facetten nominiert: Im Gegensatz zum ‚weibischen‘ Orientalen sei der Balkan als männlich und vorwiegend christlich kodiert, als tribalistisch, gewalttätig grausam, intrigant, unübersichtlich.8 Weiters nennt Todorova die Abgrenzung des Balkans als eigener strategischer Sphäre (gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten) sowie die „Abwesenheit eines kolonialen Erbes“ als Faktoren9 (womit sie sich halb selbst wiederspricht, musste sie doch vorher einräumen, dass der Begriff des „Semikolonialen“ „sowohl die Wahrnehmung als auch die Selbstwahrnehmung des Balkans“ präge10). Wesentlich für die Diskursbildung sei indes dessen „Übergangscharakter“: „Diese Zwischenhaftigkeit des Balkans […] könnte ihn schlicht zu etwas unvollkommen Anderem gemacht haben; stattdessen wird er nicht als etwas Anderes, sondern als etwas unvollkommenes Eigenes konstruiert.“11 Todorova resümiert: „Wie im Falle des Orients hat der Balkan als ein Müllplatz für negative Charakteristika gedient, gegen die ein positives und selbstbeweihräucherndes Image des europäischen Europäers und des ‚Westens‘ konstruiert worden ist.“12
Die Abgrenzung bzw. Parallelbildung von Orientalismus und Balkanismus mag in manchen Aspekten Sinn machen, andererseits gibt es auch etliche Überschneidungen, so dass man den Balkan durchaus historisch als ‚Kontaktzone mit dem Orient‘ definieren könnte. So ist denn auch Milica Bakić-Haydens Konzept der „Nesting Orientalisms“13 als Vermittlungsversuch anzusehen: Es geht von einem nahezu universellen Kulturrelativismus aus, innerhalb dessen nahezu jedes soziale Kollektiv zwischen Europa und Asien eine Tendenz dazu habe, Kulturen südlich oder östlich als primitiver oder zumindest konservativer anzusehen. (In dieser Optik würde Österreich-Ungarn etwa seine Südost-Flanke ‚orientalisieren‘, aber seinerseits selbst quasi zum Halborient anderer Staaten werden.)
Trotz der vielfältigen Kritik und Überarbeitungsversuche der Orientalismus- und Balkanismus-Hypothese ist jedenfalls einzuräumen, dass diese sich durchaus als kritisches tool von Forschungsprojekten bewährt haben, die freilich auch zur Nunancierung und fine tuning dieser Konzepte beigetragen haben. Dies wird sich wohl in Hinblick auf das Bosnien-Korpus des vorliegenden Buch noch beweisen müssen (s. Abschnitt C.), was aber auch die Trennung von Balkanismus und Orientalismus infrage stellen dürfte (beim Verhältnis beider Diskurse handelt es sich m.E. wohl eher um eine komplexes Ineinander unter dem Vorzeichen des „osmanischen Erbes“14 als um Alternativen). Zuvor empfiehlt sich freilich noch ein kritischer Rück- und Ausblick auf die Aachener Schule und andere Fachdisziplinen, sowie eine Einführung zu Homi Bhabhas Stereotypen-Begriff und seiner Anwendung, ehe an ein vorläufiges Resümee in Bezug auf die andiskutierten Problemstellungen zu denken ist.