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2. (Innerer) Kolonialismus als Befindlichkeit: die Rhetorik der Zeitzeug/inn/en

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Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsstrategien, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer kulturellen Höherwertigkeit beruhen.1

Die hier zur Rekapitulation wiedergegebene Definition Jürgen Osterhammels – ziemlich kulturalistisch argumentierend und häufig zitiert – gibt das Moment ‚überseeischer Distanz‘ auf und öffnet gleichsam wieder die innerkontinentalen Räume für eine Kolonialismus-Debatte. Erhellend ist auch die bereits erwähnte Zusatzklausel des Autors, Kolonialismus sei nicht nur ein „strukturgeschichtlich beschreibbares Herrschaftsverhältnis, sondern zugleich auch eine besondere Interpretation dieses Verhältnisses“;2 diese beruhe im Wesentlichen auf drei diskursiven Faktoren: „die Konstruktion von inferiorer ‚Andersartigkeit‘“, „Sendungsglaube und Vormundschaftspflicht“ (der Kolonisatoren) sowie die „Utopie der Nicht-Politik“ (d.h. eines „politikfreien Verwaltens“).3

Osterhammel muss freilich einräumen, dass es derartige Herrschaftsverhältnisse ebenso zwischen Zentren und Peripherien „innerhalb von Nationalstaaten oder territorial zusammenhängenden Landimperien“ gebe4 (und die Dichotomie von Zentrum vs. Peripherie/n ist ja auch häufig als Beschreibungmodus für Imperialismus ebenso wie als Alternativmodell für eine ‚kolonialistische‘ Konzeptualisierung der späten Habsburger Monarchie bemüht worden;5 es muss freilich differenziert werden zwischen einerseits armen Randgebieten wie z.B. Galizien und anderseits reichen Peripherien wie Böhmen6, die wirtschaftlich ‚zentraler‘, d.h. entwickelter sind als etwa das österreichische Kernland; ebenso gibt es in Österreich-Ungarn nicht nur eine, sondern – je nach Blickwinkel – mehrere Metropolen).

Osterhammels Erwähnung von Herrschaftsdoktrinen als Rechtsfertigungsdiskursen trifft sich allerdings auch mit einer Bemerkung des Triestiner Germanisten und Autors Claudio Magris. In seiner folgenreichen Studie zum „habsburgischen Mythos“ (d.h. das monarchistisch-nostalgische Postulat eines utopisch multikulturellen „Vielvölkerstaats“ als Gegenentwurf zum „Völkerkerker“-Narrativ diverser zentrifugaler Nationalismen) sieht er diesen durchaus funktional bestimmt in der „kulturelle[n] Kolonisation Osteuropas“7 (Auch Wolfgang Reinhard schreibt, von „Mitteleuropa“ sei eine „Ostkolonisation“ ausgegangen – ohne dabei die Habsburger Monarchie zu erwähnen.8). Erst vor wenigen Jahren hat der prominente französische Germanist Jacques Le Rider diesen Faden wieder aufgegriffen und elaboriert, wenn er schreibt:

[…] le ‚mythe habsbourgeois‘ de la cohabitation harmonieuse des nationalités ne put jamais se transformer en réalité. Depuis l’origine il était contredit et parfois perverti en son contraire par le colonialisme du pouvoir central et des élites dirigeantes et par le nationalisme répandu parmi tous les peuples de la monarchie.9

Auch unter historischen Zeitzeugen der k.u.k. Monarchie selbst hat es indes nicht an Stimmen gemangelt, die Österreich-Ungarn als ‚Kolonialreich‘ beschreiben bzw. denunzieren. Le Rider etwa zitiert Moritz von Engel, der als Mitglied der sog. Permanenzkommission im k.u.k. Handelsministerium 1902 panegyrisch formuliert: „Fehlen der Monarchie auch überseeische Kolonien, diese Grundlagen weltpolitischer Wirksamkeit im großen Stile, so kann sie doch mit Genugtuung auf zahlreiche Territorien (zum Beispiel Bukowina, Banat und andere) hinweisen, deren heutige Blüte einen Erfolg ihrer ebenso grossartigen wie geschickten kolonisatorischen Tätigkeit bildet.“10

Ähnlich schreibt der deutsche Reisejournalist Heinrich Renner, der sich 1896 – wie auch das offiziöse Kronprinzenwerk11 (1885–1902) – im Sinne des ‚Zivilisations‘-Narrativs zum Apologeten einer quasikolonialen Pax Austriaca in Bosnien macht:

[…] auch den in Europa jetzt so zahlreichen Kolonialpolitikern ist ein Besuch zu empfehlen; in Bosnien wird praktische Kolonialpolitik [!] getrieben und was geleistet wurde, stellt den leitenden Personen und Oesterreich-Ungarn im Allgemeinen das höchste Ehrenzeugniss aus. Einst gänzlich zurückgeblieben, reiht sich heute die bosnische Schwester europäischen Ländern als würdige Genossin an.12

Belege für eine andere ‚koloniale‘ Sichtweise finden sich dagegen bei Hilde Zaloscer (1903–1999). Die prominente österreichische Kunsthistorikerin wurde im bosnischen Tuzla geboren und wuchs in Banja Luka auf; nach dem Ende der Monarchie 1918 musste sie, da ihr Vater zur k.u.k. Oberschicht gehört hatte, aus dem neu gegründeten jugoslawischen SHS-Staat nach Wien flüchten und von dort 1938 wegen ihrer jüdischen Wurzeln weiter nach Alexandria. In ihrer Autobiografie Eine Heimkehr gibt es nicht (1988) spiegelt die Autorin Beobachtungen im kolonialen Milieu Ägyptens als zeitkritisches Narrativ auf ihre „glücklichen Kindertage […] auf einem Pulverfaß“13 in Bosnien zurück:

Im Grunde war es die gleiche Konstellation wie in Bosnien vor dem Ersten Weltkrieg. Auch dort hatte eine fremde ethnische Gruppe – in diesem Falle die Österreicher – in einem mit Gewalt angeeigneten Land durch geschickte Politik die Bevölkerung auf einem bildungsmäßig tatsächlich inferioren Status gehalten.14

Viel später, in Ägypten, fand ich mich in der gleichen Lage[…] Auch dort waren – zu Beginn meines Aufenthalt, später sollte sich das ändern – die ‚Eingeborenen‘ als minder angesehen, und wir, die Europäer, gehörten zur Elite.15

An dieser Stelle könnte man den kulturalistischen Faden Osterhammels aufgreifen und – ganz im Stil der Post/Colonial Studies unserer Gegenwart – argumentieren, dass es sich hier weniger um sozial- und politikwissenschaftliche Befunde, sondern um kulturelle Befindlichkeiten handelt. Es ginge also nicht darum, ob Österreich-Ungarn tatsächlich eine Kolonialmacht sensu stricto gewesen ist und damit den westeuropäischen Großmächten ähnlicher als angenommen.16 Interessanter wäre indes die Frage nach dem kulturellen Ausdruck bzw. Niederschlag von Dominanzverhältnissen zwischen Herrschaftszentrale(n) und beherrschten, andersethnischen Peripherien in „structures of feeling“ (Raymond Williams17) – insbesondere, als der Kultur ja in der Definition Osterhammels eine zentrale Rolle bei der Formulierung, Vermittlung und Interpretation solcher Herrschaftsverhältnisse zukommt;18 in diesem Zusammenhang sind auch diverse Forscher/innen Hans-Heinrichs Noltes moderater gewählter Begrifflichkeit der „inneren Peripherien“19 in Europa gefolgt, um nicht auf die oben skizzierte slippery slope des Kolonialismus-Begriffs zu geraten.

Aber auch jene Zentrum-Peripherie-Beziehungen funktionieren politisch in Form von strategischer Erzeugung kultureller Differenz, die meist mit sozialer und ökonomischer Marginalisierung einhergeht. Als eines von vielen Beispielen für österreichisch-ungarische Formen der Identitätspolitik soll hier ein besonders anschaulicher Textbeleg zitiert werden; es handelt sich um ein ethnographisches Werk aus und über Siebenbürgen (Transsylvanien), das eine ethnische Hierarchie insinuiert und dabei den Siebenbürger Sachsen die ‚goldene (bürgerliche) Mitte‘ zuweist gegenüber den ‚unzivilisierten‘ rumänischen Bauern und der latent ‚verschwenderischen‘ ungarischen gentry:

Ziehen wir neben diesem Kastenunterschied [!], der sich auch auf die Jugend erstreckt, noch einen gewissen Hang zum beschaulichen Leben, womöglich ohne Arbeit und Mühe, in Betracht, so dürfen wir uns nicht im geringsten darüber wundern, daß der transsilvanische Rumäne sich selten über die allerprimitivsten Lebensverhältnisse emporschwingt; denn wahr bleibt es immerhin, daß ihm der Wahlspruch gilt: Sitzen sei besser als Gehen, Liegen besser als Sitzen, Schlafen besser als Wachen, das Beste von allem aber ist das Essen! Auf diesen unleugbaren Umstand ist daher die traurige Bemerkung mancher Philoromanen zurückzuführen, daß der rumänische Bauer, trotz aller Gleichheit vor dem Gesetze, noch immer in einer ärmlichen Hütte, der magyarische Herr und der sächsische Bürger aber in einer bequemen Stadt- oder Landwohnung lebt. Dieser Hang zu einem beschaulichen Leben muß auch auf seine Intelligenz übertragen werden; er ist begriffstutzig und verhält sich abwehrend gegen jede neue Idee, die man ihm beibringen will.20

Formen dieser Rhetorik einer stur primitiven ‚Faulheit‘, die der zivilisierten ‚Anleitung‘ bedarf, finden sich nahezu weltweit, ob es sich nun um Afrikaner/innen, ‚Oriental/inn/en‘ oder um Finn/inn/en unter zaristischer Herrschaft handelt. Will man sich nun in Bezug auf die k.u.k. Monarchie auf die oben skizzierte Sichtweise von kulturell imaginierten und vermittelten „structures of feeling“ einlassen, so wären dann v.a. Bilder des Eigenen und Fremden in den diversen Medien (Gebrauchstexte, Literatur, Bildmedien etc.) der habsburgischen Kultur/en im großen Rahmen – oder zumindest stringenten Stichproben – zu untersuchen, wo es um Formen der Konstruktion von ‚Identität‘ bzw. ‚Gemeinschaft‘/en21 geht – seien diese nun Ethnien, Nationen oder die Staatsnation (das „Reich“) Österreich(-Ungarn) selbst, die der Folie eines jeweils ‚Anderen‘ bedürfen. Hier könnte sich die These als sehr fruchtbar erweisen, dass sich die Imagination von Auto- und Heterostereotypen22 unter Bedingungen der Fremdherrschaft in kontinentalen Vielvölkerstaaten und in transkontinentalen Kolonialreichen durchaus ähneln kann,23 wie z.B. in den zitierten pathetischen Inszenierungen eines ‚Zivilisationsgefälles‘:

Allerdings funktionieren innerhalb des Machtgefüges Europa nicht alle diskursiven Oppositionen […] auf dieselbe Weise. Während die Paare Metropole vs. Peripherie und Zivilisation vs. Barbarei/Archaik in beiden Fällen analog figuriert sind, sind bei der Frage der Ethnie und der Konfession andere, innereuropäische ‚Maßstäbe‘ relevant.24

Diese ‚postkolonialen‘ Frageperspektiven, welche die Wiener Romanistin Birgit Wagner exemplarisch in Bezug auf Sardinien entwickelt hat, könnten durchaus auch im zentral- und (süd)osteuropäischen Kontext als Anregung dienen; genauso ließen sich dann „Erosion und Neu-Erfindung von Identität, sprachliche und kulturelle Hybridisierungsprozesse, Re-Lokalisierungen“25 beschreiben.

Abgesehen von diesen meist positiv konnotierten ‚Hybrid‘-Ausprägungen multiethnischen Zusammenlebens ist freilich – wie schon die anzitierten Textquellen suggerieren – auch im zentraleuropäischen Kontext zu beachten, dass eine hegemoniale Kultur so etwas wie Definitionsmacht ausübt, die im Rahmen einer Quasi-Kolonialdiskurs-Analyse untersucht werden kann. Dies hat zum produktiven Missverständnis des Wiener Slawisten Stefan Simonek geführt, der monierte, man wolle (ganz im Sinne von Spivaks postkolonialem Programm-Aufsatz mit dem Titel Can the Subaltern Speak?26) bei derartigen Habsburg-Forschungsprojekten lediglich mit deutschsprachigen Quellen arbeiten und etwa die subalternen südslawischen „Kulturen „nur als stummes Objekt [des hegemonialen Diskurses, C.R.], nicht aber als selbst sprechendes Subjekt zur Kenntnis“ nehmen.27 Dem ist keineswegs so: Ein komparatistisches Herangehen an den Untersuchungsgegenstand in Form von kontrastiven Lektüren kultureller Texte ‚gegen den Strich‘ versteht sich von selbst (auch wenn dies nicht immer von einzelnen Forscher/inne/n, sondern nur als Teamarbeit zu leisten ist)28.

Es gilt aber auch zu berücksichtigen, dass die deutsch-österreichische und die ungarische Kultur über Machtprivilegien verfügen, um ihre Bilder und Sichtweise(n) durchzusetzen; am extremsten zeigt sich das in einem rassistischen Polizeitext der k.u.k. Militärverwaltung in Montenegro aus dem Ersten Weltkrieg, wo der Geruch (und damit ein Hygiene-Diskurs) zum selektiven Merkmal sozialer wie ethnischer Differenz für die sanktionierende Behörde wird:

Der Tischler riecht nach Firnis, der Maschinist nach Schmieröl, der Krankenwärter nach Karbol, der Pferdeknecht hat den bekannten Stallgeruch, die Zigeuner den lange in einem geschlossenen Raum wahrnehmbaren Zigeunergeruch etc.

Schließlich wird auf den ganz eigenartigen Geruch serbischer Soldaten (Gefangener) aufmerksam gemacht.29

Ein anderes denkwürdiges Phänomen ist, dass nicht-hegemoniale Kulturen nicht nur dazu tendieren, diese aufoktroyierten und vielfach entwürdigenden Bilder zu verweigern, sondern sie mitunter auch durch Habitualisierung30 zu verinnerlichen: Herrschaft funktioniert nicht nur mit Gewaltmitteln und ökonomischem Druck, sondern auch durch eine gewisse kulturelle Akzeptanz und Übernahme der auferlegten Fremdbilder durch die Betroffenen selbst31 (als Konsequenz „symbolischer“ oder „epistemischer“ Gewalt32).

Damit ist jedoch keinesfalls gesagt, dass es innerhalb von ‚beherrschten‘ Kulturen keine subversiven oder opponierenden Perspektiven gäbe (will man nicht eines der wesentlichen Existenzprinzipien von künstlerischem Schaffen überhaupt in Frage stellen): „If culture means the critique of empires, it also means the construction of them. […] The national unity which is sealed by Culture is shattered by culture,“ schreibt etwa Terry Eagleton.33 Dies alles lässt sich gut an einem satirischen Text des ukrainischen Autors Iwan Franko zeigen, der 1901 in Form einer Galizischen Schöpfungsgeschichte die ethno-soziale Differenz von ruthenischen Bauern und polnischen Gutsherren – ohne sie explizit zu nennen – am Produkt-Image von Schnaps und Wein festmacht und gleichzeitig sozialkritisch konterkariert:

Im Anfang war der Schnaps. Er war zuerst chaotisch. Ein jeder durfte ihn brennen, verkaufen oder auch höchsteigen trinken. Da kam aber der Ungarwein ins Land. Und der war theuer. Und so schied Gott die Schnapstrinkenden von den Weintrinkenden und gab den letzteren eine Gewalt über die ersteren. Und so kam es, daß die einen nur den Schnaps brennen und trinken mußten, aber brennen für die anderen und trinken für ihr gutes Geld – die anderen aber bekamen den fertigen Schnaps und verkauften ihn für ihre Rechnung, um sich mit Ungarnwein volltrinken zu können.34

So werden die Medien habsburgischer Kultur/en auch zum Schauplatz eines ethnisch kodierten ‚Kampfes um Bedeutung‘35 von Gruppen und Gemeinschaften. Wie die österreichische Historikerin Heidemarie Uhl zu Recht eingeworfen hat, sollte eine ‚postkoloniale‘ Sichtweise des habsburgischen Zentraleuropa aber „nicht dazu führen, die Vielschichtigkeit von ethnisch-nationalen Konfliktlagen und die Entwicklung von Konsenskonzepten auf das dichotomische Muster einer hierarchischen Differenz zwischen hegemonialer Elitenkultur und ‚kolonisierten‘ […] Nationalitäten zu reduzieren“ und „die Vorstellung eines homogenen ‚Anderen‘ zu generieren“36 – wie wohl auch aus den zitierten Textbeispielen hervorgegangen ist.

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