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2. IdentitätsKonstrukte: the Self vs the Other
ОглавлениеEs macht keinen Sinn, jene kulturellen Bilderwelten, Stereotype, oder wie auch immer man sie nennen möchte,1 unabhängig von den grundlegenden Mechanismen der Identitätskonstitution zu betrachten.2 Will man sich einer Erforschung jener Selbst- und Fremdbilder seriös widmen, so muss diese ihren Anfang vielmehr in zwei scheinbar widersprüchlichen Grundannahmen nehmen: Zum Einen scheint die Opposition von ‚Self vs. Other‘ nachgerade eine anthropologische Konstante zu sein (ebenso wie auch die daraus resultierende Problematik des Ethnozentrismus?). Zum anderen erweisen sich, wie der nächste Abschnitt zeigen wird, Bedeutungssysteme (kulturelle Semantiken bzw. ‚Grammatiken‘ des Fremden) als historisch gewachsen, d.h. als Produkt spezieller Zeitumstände, und damit kontingent wie auch konventionell,3 d.h. veränderlich und möglicherweise sogar veränderbar.
Doch zunächst sei hier kurz auf die grundlegende kulturelle Opposition des Eigenen und des Fremden/Anderen eingegangen,4 die zu einem fundamentalen Erkenntnisproblem letzterem gegenüber führt: Die kognitive Konstruktion von Identität geht nämlich nicht einfach aus der Konfrontation zweier deutlich distinkter, differenter, aber gleichwertiger Entitäten – dem ‚Selbst‘ und seinem ‚Anderen‘ – und deren Dialog auf gleicher Augenhöhe hervor. Wie diverse Forscher/innen unter Bezugnahme auf prominente philosophische Vorgänger5 wie Emmanuel Levinas und Bernhard Waldenfels annehmen, werden in meiner Wahrnehmungswelt (und deren kollektiv-kulturell bereitgestellter Repräsentationsschablone) Bilder des Eigenen und des Anderen/Fremden auf einander bezogen und damit zu einer dynamischen Einheit, oder vielmehr: Zweiheit – einer latent hierarchischen Dyade, deren Pole nicht unabhängig von einander zu denken sind.6 Schon Manfred Fischer von der Aachener Schule hatte 1981 auf die daraus folgende Verschränkung von Selbst- und Fremdbild hingewiesen:
Zu unterscheiden ist zwischen Auto- und Heteroimages, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit in ihrer Genese gegenseitig bedingen, indem das ‚Fremde‘ zur definitorischen Abgrenzung des ‚Eigenen‘ herangezogen wird bzw. das ‚Fremde‘ von der Warte und nach dem Maßstab des vorab angenommenen ‚Eigenen‘ bewertet wird. Mit einiger Sicherheit läßt sich vermuten, daß in einer großen Anzahl von Fällen Auto- und Heteroimages die beiden Seiten ein- und derselben Medaille ausmachen. Nachweislich gibt es auch Fälle, in denen das Heteroimage zur Gewinnung eines Autoimages übernommen und anerkannt wurde.7
Wie schon Schleiermacher (und später Levinas8) befand, impliziert jede Subjektkonstitution die „Mitgesetztheit eines Anderen“,9 mit anderen Worten, die Konstruktion der ‚eigenen‘ Identität erfolgt ex negativo über den Umweg des Fremden/Anderen: das Selbst ist, was das Andere/Fremde nicht ist, bzw. dieses zeigt ihm, wer es ist.10 Dies gilt für das Erlernen individueller Identität durch das Kind ebenso wie für die kollektiven Identitäten von sozialen Gruppen, Klassen, Geschlechtern, Generationen, Ethnien oder Staaten, die diese – fotografisch gesprochen – gleichsam am Negativbild anderer Kollektive entwickeln. Martin Sexl schreibt, „dass das Eine (das Eigene) nur durch die ‚Verbannung‘ des Anderen (des Fremden) definiert werden kann, wobei dieses ‚Andere‘ – um es psychologisch zu fassen – immer Objekt des Begehrens ist und somit in das Eigene eingeschrieben bleibt.“11
Das Andere bzw. Fremde – um einer gegenwärtig boomenden Xenologie12 das Wort zu reden – ist somit spätestens seit Georg Simmel und Edmund Husserl endgültig ein relationaler Begriff, kein inhaltlich per se bestimmter; Fremdheit bzw. Alterität ist keine „Konstante“,13 sondern sinnhaft nur in ihrem Zuschreibungscharakter14, d.h. im Bezogensein auf das Eigene.15 In diesem Zusammenhang hat der Amsterdamer Imagologe Joep Leerssen (mit Foucault?16) auf den latent asymmetrischen Charakter der Dyade hingewiesen: „The default value of human’s contact with different cultures seems to have been ethnocentric, in that anything that deviated from accustomed domestic patterns is ‚Othered‘ as an oddity, an anomaly, a singularity.“17 Das Eigene wird als gleichsam unsichtbarer Ausgangspunkt der Welt zum ‚Normalfall‘; das Andere/Fremde hingegen ist als ‚abnormal‘ markiert, aber auch dieser untergeordnete – und im doppelten Sinne projektive – Teil der Dyade, der zur Selbstbestimmung, aber auch -hinterfragung herangezogen wird, ist möglicherweise in sich jeweils different. In diesem Sinne schreibt Wolfgang Müller-Funk:
Wer jenseits von Hegel kulturwissenschaftlich argumentieren will, der wird nicht um eine Phänomenologie der Differenzen von Differenzen herumkommen, und sie könnte zeigen, dass die Andere nicht identisch mit dem Anderen ist, weder mit dem personalen, noch mit dem ‚neutralen‘, dass ‚der (kulturelle) Fremde‘ und ‚der Andere‘ nicht notwendig zusammenfallen. Mit dem Diskurs über ‚das Fremde‘, ‚das Andere‘, ‚das Eigene‘ und ‚das Selbe‘ befindet man sich sogleich in jenem theoretischen Minenfeld, das durch Begriffe wie ‚Universalismus‘ und ‚Kulturalismus‘ abgesteckt ist. Eine kulturwissenschaftlich gewendete Phänomenologie wird daher die Unterschiede, Abstufungen und Differenzen, ihre fließenden Übergänge, aber auch ihre kontrastiven Akzente zwischen den verschiedenen Modi des Fremden, etwa – um die in diesem Fall präzisere englische Terminologie zu gebrauchen – zwischen ‚the other‘, ‚the stranger‘ und ‚the foreigner‘ zu markieren haben.18
Auch andere Forscher/innen19 plädieren dafür, die beiden genannten Kontrastbegriffe für die Konstitution eines Selbst(bildes) konzeptuell auseinander zu halten und zwischen dem Anderen und dem Fremden zu unterscheiden: Bernhard Waldenfels spricht vom „originell Unzugänglichen und originär Unzugehörigen“,20 Horst Turk von „Alterität“ und „Alienität“,21 Andrea Polaschegg von „Differenz“ und „Distanz“.22 Der/die Andere als Gegenüber bietet erst die konstitutive Differenz zur Subjektsetzung; das Fremde hingegen ist bei Polaschegg als kognitive Kategorie gefasst, die sich dem eigenen Wissen entzieht, insofern als es (noch) nicht zugehörig und zugänglich ist.23 (Durch diese Zweiteilung möchte Polaschegg auch die traditionelle Aporie der Alterität auflösen, wonach das Fremde/Andere „als Identitätskonstitution notwendig außerhalb des Eigenen liegt und zugleich verstehend angeeignet wird“.24)
Eine potenziell dekonstruktive Pointe für diese Polarität von Identität und Alterität/Alienität erschließt sich einer psychoanalytischen Zugangsweise freilich mit Julia Kristeva, wenn sie schreibt: „Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität […]“.25 Ein ähnliches Konzept hat Peter Horn bereits vor Kristeva vorgelegt: Fremdheit als „Funktion jener Grenzziehungen, mit der wir unsere individuelle Gruppenidentität [sic] absichern“, sei die Veräußerung (Projektion) jenes splittings von Bewusstem und Unbewusstem, die in unsrem Inneren stattfinde; die Abspaltung des Fremden folge somit dem Vorbild des ‚Es‘.26 Dies erklärt auch die ambivalente Aufladung des/der Fremden, die Angstlust, die ihm/ihr/ihnen entgegengebracht wird; Kristeva versucht dies durch eine Engführung des Fremden und des „Unheimlichen“ nach Freud zu plausibilisieren,27 das seine ungewöhnlich befremdliche wie beklemmende Qualität ja durch die Entfremdung bzw. die (Ab)Spaltung des früher Vertrauten erhält:
Wir sind unsere eigenen Fremden – wir sind gespalten. […]
Und wenn wir den Fremden fliehen oder bekämpfen, kämpfen wir gegen unser Unbewußtes – dieses ‚Uneigene‘ unseres nicht möglichen ‚Eigenen‘.28
Gerade diese Beobachtung ist auch angetan, Licht in die Kulturpsychologie des Kolonialismus zu werfen, der in seinen Untertanen gleichsam ausgesonderte Vorstufen des Eigenen kulturell ‚zähmen‘ möchte und damit jene Abspaltungs- und Verdrängungsleistung zur Staatsräson zwischen herrschenden und beherrschten Kollektiven macht.
Die konstitutive Dyade des Eigenen und Anderen/Fremden zeigt sich indes immer latent intern unterminiert; dennoch wird sie aufrecht erhalten und ist als Wahrnehmungsformat einer wechselseitigen Definition, Abstoßung und graduellen Annäherung, die man analog zur Hermeneutik den ‚xenologischen Zirkel‘ nennen könnte, zumindest in ihrer vor-postmodernen Fassung nicht gedacht, um je zu kollabieren und das Eigene und das Andere ident zu machen. Dies wird besonders anhand der sog. „Zivilisierungsmission“, jener „Legitimationsrhetorik“29 des europäischen Imperialismus im 19. Jahrhundert – und eines der Leitmotive des vorliegenden Buches – deutlich, wie beispielsweise Andreas Eckert in einer Parallelaktion zu Homi Bhabha (vgl. Abschnitt 7) zeigt: Ihm zufolge habe „[e]iner der zentralen Widersprüche kolonialer Herrschaft in Afrika“ darin bestanden, dass „sich die Europäer auf der einen Seite als Vorbild setzten, auf der anderen Seite aber nichts mehr fürchteten als die Afrikaner, die sich kulturell anpassten.“30 Denn das Eigene braucht wie gesagt das als different gesetzte Fremde als Grundlage, um sein Selbstbild legitimatorisch aufrechterhalten zu können: Diese konstitutive Spannung kreiert eine asymptotische Unerreichbarkeit des vorgeblichen westlichen Kulturideals; dies macht aufgrund der konstitutiven Spannung eine Reform des Anderskulturellen und dessen Anpassung an das Eigene letztlich unmöglich. Die mission zivilatrice schreibt damit paradoxerweise eher die Andersartigkeit des Fremden fest als dessen restlose Akkulturation zu ermöglichen: „so ging es den Franzosen (wie auch den Briten) darum, gleichsam ‚perfekte Eingeborene‘, nicht jedoch ‚schwarze Europäer‘ zu kreieren“, wie Eckert meint.31
Diese Spur soll im Folgenden anhand von Bhabhas Stereotypen-Konzept weiter verfolgt werden; zunächst jedoch empfiehlt sich ein kulturhistorischer Blick zurück auf die Konstituierung einer ‚national‘ kodierten westlichen Dyade von Selbst/Fremd sowie deren Erforschung.