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3. ’Kolonialismus’ als Denkfigur & Lesart: eine Betrachtungsweise
ОглавлениеIf postcolonial is a useful word, then it refers to a process of disengagement from the whole colonial syndrome which takes many (HULME 1995).
Man kann nun freilich in der Hypothese einer Binnenkolonisierung in Österreich-Ungarn auch nichts Anderes als eine – mitunter polemische – Metapher sehen. Damit ist vielfach die Problematik verbunden, dass jeder Kolonialismusvorwurf gegen eine Zentralmacht häufig schon im Rahmen nationalistischer Diskurse seit dem 19. Jahrhundert selbst so weit instrumentalisiert wurde, dass er im 21. Jahrhundert eine unbeabsichtigte Parteinahme, ja Desavouierung des externen wissenschaftlichen Beobachters bedeuten könnte.1
Diesem Vorwurf ist leicht zu opponieren, waren doch die Post/Colonial Studies seit den Arbeiten von Edward Said bestrebt, den nur schwer abreißenden Gewaltzyklus zu beschreiben, wo die Vorherrschaft bestimmter ethnischer Gruppen, die sich meist hinter dem pathetischen Unionismus der Großreiche verbirgt, und die nationalistische Gegengewalt der Dekolonisation einander bedingen und nachfolgen; auf diese Weise taugen beide Positionen nicht zu einer wie auch immer gearteten politischen Bewältigung oder gar Versöhnung.2 Dies kann nur ein ‚dritter Weg‘ leisten, und in diesem Rahmen wäre noch weiter zu fragen, was eine ‚postkoloniale‘ Zugangsweise konkret in einem (zentral)europäischen Kontext leisten kann3 – will sie mehr sein als eine politisch korrekte Trauerarbeit, die pikanterweise meist in den ehemaligen Herrschaftszentren ihren Ausgang genommen hat.
Der in Kanada lehrende österreichische Kulturwissenschaftler Markus Reisenleitner hat nun ebenso wie Heidemarie Uhl darauf aufmerksam gemacht, dass das vorgeschlagene postkoloniale Modell vor allem eine Lesart sei („an interdisciplinary set of reading practices“), die dem ‚habsburgischen Mythos‘ oppononiert: „a desire to make a political intervention against appropriations of the idea of Central Europe as an essentialized space with a common heritage and a common culture for contemporary political claims of hegemony and nostalgia through glorified imaginings of the Habsburg past“.4 Es geht hier also auch um so etwas wie eine Reevaluation der habsburgischen Vergangenheit, ja um ein „Reinventing Central Europe“, hinter dem nicht selten politische Agenden stehen – verstehen sich doch etwa die österreichischen Konservativen bis zum heutigen Tag vielfach als Erben Habsburgs und seiner ‚multikulturellen‘ Vergangenheit in „Mitteleuropa“.5 ‚Postkoloniale‘ Zugangsweisen dienen nun häufig der Hinterfragung gerade jenes naiven Verständnisses von ‚Multikulturalismus‘.
Die Kritik Reisenleitners läuft indes darauf hinaus, dass postkoloniale Theorien von den ‚neuen Kakanier/innen‘ als „Werkzeugkasten“ („tool set“) betrachtet würden, den man ohne Rücksicht auf die konkrete Machtsituation der amerikanischen „academic hegemony“, in der er entstanden sei, auf Österreich-Ungarn übertragen könne.6 Dieser Transfer-Problematik ist freilich leicht zu entgegnen, dass gerade das displacement jener theoretischen Ansätze – die selbstverständlich in sich selbst als divergent anzusehen sind – die beste Gewähr bietet, diese ganz im Sinne postkolonialer Theoriebildung aus ihrer Befangenheit bzw. ihrer konkreten Verortung zu lösen und damit weiter zu überprüfen und verfeinern.
Nützlicher als Reisenleitners etwas antiquiert anmutende prinzipielle Vorbehalte gegen akademische Aktivitäten als Machtpraktiken – die man besser unterlässt, will man nicht stante pede die eigene Forschungsarbeit beenden müssen7 – sind freilich seine konkreten Fragen und Anregungen, die in Folge formuliert werden:8
„Did the Habsburg lands have something comparable to the essentializing and morally loaded concept of ‚Englishness‘, so strongly tied to the British empire, its language and its literary canon? This question was raised by Edward Said when he explains9 why he specifically does not talk about some parts of the world, including the Habsburg monarchy“.
„[The] nexus between nation and narration could usefully be unpacked and unhinged in a critique of hegemonic cultural practices in the Habsburg lands.“
„There can be no doubt that even the most marginalized and oppressed ethnicities in the Habsburg monarchy had access to relatively good printing and publishing resources, but this does not imply that they were not subaltern, or that the concept of subalternity cannot be fruitful in considering the situation there; it does imply, however, that the concept of voice has to be even more refined than it has already been in the context of India and the Subaltern Studies Group.“
„[H]ow can it be avoided that such a movement promotes, intentionally or unintentionally, the same recentralization and hegemony of knowledge production that it sets out to criticize?“10
Reisenleitner träumt in diesem Sinne durchaus von
a serious engagement with postcolonial theory not so much in terms of an ‚application‘ but rather as a project of juxtaposition that re-shuffles the deck and thus provides a platform for tangential and guerilla readings that do not fall prey to oversimplifications and remain stuck in legitimizing binaries of dominance and oppression. Engaging with the terms and reading practices of postcolonial theory could very well help to displace the terms of opposition in which the question of ‚applicability‘ is couched (e.g. center and periphery, dominant vs. suppressed ethnicities, but also the concept of a Leitkultur).11
Diese Vision teilen wahrscheinlich die meisten in derartige Forschungsprojekte Involvierten. In diesem Kontext wäre die Postkolonialismus-Debatte dann nichts Anderes als eine heuristische Denkfigur, die die Aufmerksamkeit auf die Modellierung kollektiver Identitäten (oder Identifikationen) unter den Herrschafts- und/als Kulturbedingungen des multiethnischen k.u.k. Reichs lenkt – in jener Zeitumgebung, die unter dem Erfolgsdruck steht, mit der wankenden E.U. einen neuen, besseren Vielvölker(meta)staat begründen zu müssen. Gerade unter diesem Vorzeichen – so schreibt Heidemarie Uhl unter Berufung auf Moritz Csáky – werde das späthabsburgische „Spannungsfeld zwischen der Anerkennung von Differenz und den subtilen Mechanismen kultureller Hegemonie […] zu einem ‚Laboratorium gegenwärtiger Problemlagen‘“;12 Literaturkenner/innen mögen hier das Kraus’sche Wort von Österreich-Ungarn als der „Versuchsstation des Weltuntergangs“ durchhören.13
Allein schon deshalb sollte es nie so weit kommen, wie der österreichische Diplomat und Historiker Emil Brix auf einer Budapester Tagung 2002 meinte: Eine kulturwissenschaftlich-‚post/koloniale‘ Zugangsweise zu den Kulturen der k.u.k. Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten, die als Gegenmodell zum habsburgischen Mythos gedacht sei, laufe nolens volens Gefahr, dessen Fünfte Kolonne, wenn nicht gar dessen letztes historisches rescue team zu werden.
In diesem Sinne soll über Reisenleitners konstruktive Kritik hinaus in einer abschließenden Auflistung noch einmal auf die Anregungen fokussiert werden, welche Zentraleuropa- und Habsburg-Studien von den Post/Colonial Studies empfangen haben bzw. können;14 es handelt sich hierbei um folgende Schwerpunkte:
Das Aufdecken quasi-kolonialer procedere bei der Konstruktion von k.u.k. Selbst- und Fremdbildern, der dahinter stehenden habsburgischen Identitätspolitiken bzw. die Rolle von Literatur darin (affirmativ/subversiv).
Die Analyse der Tropen bzw. Topoi imperialen Schreibens, eingedenk jenes postkolonialen Aperçus, wonach Imperien immer auch Fiktion sind;15 so erhebt sich auch die Frage, ob der von Said16 behauptete gegenseitige Ermöglichungskontext von (Kolonial-)Reich und Roman auch im post/habsburgischen Raum zutrifft – oder sich etwa genremäßig auf das Drama bei Grillparzer u.a. verlagert.
Die Erfassung literarischer Texte bzw. Genres als Ausdrucksmedien kolonialer Begehrlichkeiten auch dort, wo „Kakanien“ kein Kolonialreich war – also dessen, was Sylvane Leprun „l’imaginaire coloniale“ genannt hat und Susanne Zantop „colonial fantasies“.17 (Dieser Fragestellung werden sich v.a. die Fallstudien in Teil B. des vorliegenden Buches widmen.)
Die Analyse des k.u.k. Kulturimperialismus bzw. quasi- oder ersatzkolonialistischer Diskursformen in Bezug auf Bosnien-Herzegowina,18 jener österreichisch-ungarischen Parallelaktion zum westeuropäischen Orientalismus bzw. der Orient-Kolonisierung (Teil C. der Fallstudien).
Für diese Schwerpunkte (mit Ausnahme des vierten) fällt nicht unbedingt ins Gewicht, ob nun die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebewelten des historischen Kontexts tatsächlich koloniale Züge aufweisen oder nicht – haben doch schon Bill Ascroft, Gareth Griffiths und Helen Tiffin in ihrem tonangebenden Buch The Empire Writes Back (1989, 2. Aufl. 2002) darauf hingewiesen, dass die von den Postcolonial Studies entwickelten Analysekategorien und -methoden durchaus auch gewinnbringend außerhalb postkolonialer Literaturen und Kulturen im engeren Sinn eingesetzt werden könnten.19 In diesem Sinne soll das Post/Kolonialismus-Paradigma als Befund, als Befindlichkeit und als Betrachtungsweise in den folgenden Fallstudien Berücksichtigung finden.
Bevor aber dies in Angriff genommen werden kann, müssen freilich noch einige Überlegungen zu jenen ‚Bilderwelten‘ angestellt werden, die literarische wie andere kulturelle Texte entwickeln, und deren Beziehungen zu jenen Stereotypien, die in den Kulturen kursieren und das Verhältnis des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ regeln.