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8. Fallbeispiel: Mimikry & Ambivalenz in Ferdinand Kürnbergers Der Amerikamüde (1855)

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Vieles, was hier in Zusammenhang mit Homi Bhabha formuliert wurde, kann als fundamentale Hinterfragung des Aachener Projekts einer „komparatistischen“ Imagologie verstanden werden. Zur Verteidigung jenes Unternehmens muss allerdings hinzugefügt werden, dass es insbesondere im Bereich der Reiseliteratur durchaus eine große Menge an affirmativen Texten gibt, die versuchen, die Ambivalenzen der Selbst- und Fremdbildkonstruktionen, des Eigenen und des Fremden, des sprechenden Subjekts und des besprochenen Objekts zusammen mit den Widersprüchen und Aporien, die von der ihnen zugrunde liegenden Spannung von Angst und Begehren herrühren, ruhig zu stellen. Ihnen gegenüber situiert sich freilich auch eine Klasse literarischer Texte, die jenen problematischen Repräsentationsapparat produktiv machen, indem sie ihn zu hintertreiben versuchen, was sie in eine überraschende Nähe zu Bhabhas Theoriegut rückt.

Das im Folgenden skizzierte Fallbeispiel präsentiert ein interessantes und unerwartetes Fundstück: Ferdinand Kürnbergers Roman Der Amerikamüde1 von 1855 fokussiert in satirischer Form auf die politischen Frustrationen der Restaurationszeit in Österreich und Deutschland, indem er seinen Protagonisten, den Schriftsteller Moorfeld,2 als Auswanderer und Möchtegern-Farmer nach New York und Ohio schickt – ein durchaus zeitgemäßes Schicksal. Es wird dies freilich ein Erlebnisparcours fast im Stil Karl Mays, hatte doch der Autor selbst die Vereinigten Staaten nie betreten: eine zunehmend anti-utopische Rundreise, die Moorfeld letztlich wieder zum Ausgangspunkt zurückführt und ihn zum enttäuschten Heimkehrer macht, wie schon der Titel des Romans suggeriert.

Durch den Text zieht sich eine dichte Auseinandersetzung mit ethnisch/national kodierten Bildern der kulturellen Differenz zwischen ‚den Amerikanern‘ und ‚den Deutschen‘,3 die sich bereits im initialen Kontakt des Protagonisten mit seinem New Yorker Quartiergeber Staunton und dessen Familie anbahnt (AM, Kap. I.2ff.) Gleichsam am Rande dieses Mikrokosmos kommt es aber auch zu einer weiteren bedeutungsträchtigen Begegnung mit dem Hausdiener, einem afrikanischstämmigen Sklaven: Moorsfelds „Bedienung“, so heißt es, „lag in Jack, des Negers, Händen. Diese Person hätte ihm freilich nichts mehr als eine Maschine sein dürfen, wenn er amerikanisch korrekt dachte. Aber so dachte er nicht. Zwischen ihm und dem Wollkopf spann sich manch zarter Faden“ (AM 88). Es ist ein „Charakterzug von satirischer Laune“ (ebd.), der dieses seltsame Band knüpft:

Der Neger liebte es nämlich, auf eine eigentümliche Art mit seinem Identitätsbewußtsein von Ich und Nicht-Ich zu spielen: Er setzte sein schwarzes Ich als Objekt und schimpfte im Charakter eines weißen Subjekts drauflos. Durch Haus und Flur konnte man ihn beständig mit, d.h. gegen sich hin brummen hören: ‚Achtung, Schwarzer Esel!‘ (ebd.)

Anfangs lacht der Protagonist noch

über diese Sorte von Humor, aber eines Tages fiel es ihm plötzlich auf, was für ein Sinn darin lag. War’s nicht der nämliche Sinn, in welchem er selbst Herrn Staunton gegenüber sich der Ironie bediente? Tat das der Neger nicht auch, indem er die weiße Rasse verspottete durch die Selbstverspottung seiner schwarzen? Welch gleichartiger Instinkt waltete hier? (AM 89)

Moorfeld wird im Roman zum guten Deutschen jener Epoche stilisiert und ist somit auch ein erklärter Gegner der Sklaverei (vgl. etwa AM 232ff.) – wiewohl nicht ganz gefeit vor „Neger“-Stereotypen, die sich immer wieder, wie etwa auch in den zitierten Passagen deutlich wird, in seine Figurenperspektive stehlen.4 Der Bruch mit diesem Stereotyp erfolgt indes durch das Verhalten des Afroamerikaners, der sich der Trope der Ironie fähig zeigt, indem er sich in die Sprecher­rolle seines Herrn versetzt, sich selbst als „Esel“ beschimpft und damit die sozial fixierten Rollen von sprechendem Subjekt und besprochenem Objekt aufbricht. Es ist dies einerseits ein Modellfall der Internalisierung diskriminierender Fremdbilder durch die Betroffenen, die andererseits im spielerischen Umgang damit aufgehoben wird – ein Prozess, der ziemlich genau dem entspricht, was Bhabha „Mimikry“ nennt. Dies destabilisiert aber nicht nur die Autorität von Mr. Staunton, Jacks weißem Herrn, sondern in weiterer Folge auch die Identität des deutschen Beobachters Moorfeld, der zu folgender Reflexion anhebt:

Ist die Ironie die Muttersprache unterdrückter Nationalitäten? Und wie ward unserem Freund, als er an Europa zurückdachte und bemerken mußte, daß eben jetzt die Ironie die herrschende Form der europäischen Literatur, aber auch ein Weltschmerz, Polenschmerz, Judenschmerz der herrschende Inhalt war? War er den Übeln, die man für Übel nur der Alten Welt hielt, nicht entronnen, und fand er in der Neuen Welt etwa einen Deutschen- und Negerschmerz? Verhängnisvolle Fragen. (AM 89)

Moorfeld, der Deutsche aus der Revolutionszeit um 1848, der sich im Allgemeinen unterschwellig als Angehöriger eines ‚Kulturvolks‘ überlegen weiß (wenngleich in der alten Heimat von seinesgleichen politisch anachronistisch unterdrückt), nimmt in der sozial-ethnischen Hierarchie der fiktional konstruierten Neuen Welt eine merkwürdige Mittelstellung zwischen dem gebürtigen Amerikaner und dessen schwarzem Sklaven ein. Immer wieder thematisiert der Roman die betrügerische, großmäulige und unkultivierte Haltung5 seiner „Yankee“-Figuren gegenüber den deutschen Einwanderern (vgl. z.B. AM 157), die jenen in der narrativen Logik des Textes zwar moralisch und kulturell etwas voraushaben, sich aber trotzdem sozial den realen Macht-Verhältnissen fügen müssen.6 (Nicht umsonst erzählt der Roman in einer bitteren finalen Wendung von gewalttätigen Ausschreitungen eines amerikanischen mob gegen die deutschen underdogs in New York; vgl. Kap. III.5, AM 554–562.)

In dieser Bedrängnis durch die widrigen Umstände lernt der Deutsche – der später durch juristische Spitzfindigkeiten um seinen neuen Landbesitz in den USA gebracht wird – schon bald vom afrikanischen Sklaven. Mehr noch, er identifiziert diesen mit Gruppen, auf die er in der Heimat selbst herabgeblickt haben mag, nämlich Polen und Juden (vgl. AM 442), um schließlich im „Negerschmerz“7 seinen eigenen – und sich selbst – wiederzufinden. Dies betont im Rekurs auf die Opfer der Sklaverei trotzig die eigene moralische Überlegenheit als Selbst-Behauptung entgegen einer als diskriminierend empfundenen sozialen Unterlegenheit.8 Dabei suggeriert die Rhetorik des Wortes „(wie­der)finden“ etwas nur halb Richtiges, denn eigentlich verliert sich der Deutsche in diesem Moment, in dem alle ethnisch kodierten und von realen Machtzuständen getragenen identitären Verhältnisse in der Form uneigentlichen Sprechens kollabieren – in der Ironie, in dem von ihr antizipierten „Weltschmerz“ und im Bewusstsein: „Amerika ist ein Vorurteil“ (AM 337).

Wohl kommt es immer wieder zu einer kurzfristigen Restabilisierung und Re-Ethnisierung der Positionen in Passagen, wo Identifizierbarkeit entgegen allen ‚unzivilisierten‘ Umständen des amerikanischen Pionier-Daseins trotzig behauptet wird – und mit ihr die stereotypen Epitheta:

Die Gesichter blickten verwittert, verwildert, vertiert [!] mitunter und ließen mich häufig, unterstützt zumal durch die zigeunerhafte [!] Unbestimmtheit der Kleidungsstücke, zwischen männlichen und weiblichen irren. Desto merkwürdiger scharf zeichneten sich die Nationalitäten. Der spintisierende Amerikaner, der phlegmatische Deutsche, der heißköpfige Irländer wurden auf den ersten Blick herausgefunden. (AM 407f., Hervorh. C.R.)

Die ebenso thematisierte Unterminierung und Destabilisierung ist jedoch bei al­ler Apologie des ‚Nationalcharakters‘ und insbesondere eines ‚besseren‘ Deutsch-Seins nicht aufzuhalten. Die letzte Pointe dieses Prozesses aufzufinden obliegt freilich nur einem historisch bewussten Leser: Denn eigentlich ist der Protagonist des Romans, der auf 560 Seiten strategisch amerikanische und deutsche Art und Unart narrativ gegeneinander aufrechnet (bis ihn der Text von der utopischen Hoffnung auf eine bessere Neue Welt kuriert in die fragwürdige Heimat zurückschickt), gar kein Deutscher im engeren Sinn! Er entstammt vielmehr einer deutschsprachigen Minderheit von den Rändern des Habsburger Reiches und weiß sich dem Ungarn fast ebenso nahe (vgl. AM 67f.) wie den Deutschen, die er in New Yorks Little Germany trifft (vgl. Kap. I.6 u. III.1), vielleicht in seiner Liebe für ein gutes „Golasch“ sogar näher.9 Damit erweist sich die ‚deutsche‘ Nabelschau des Romans aber als Spiegelfechterei gegenüber den Realitäten des österreichischen Vielvölkerstaats; die Mimikry beherrscht der ungarndeutsche Protagonist und mit ihm der Erzähler ebenso wie der Hausdiener Jack, wenn dieser schwarzes Objekt und weißes Subjekt strategisch ironisch vertauscht. Moorfeld wird sich selbst in Amerika ein Anderer, und seine Identität ist ein noch prekäreres Unterfangen geworden, als sie dies ohnehin schon war – und diese Hinterfragung kann wohl als das didaktische Ziel ‚guter‘ Literatur generell gelten.

Habsburgs 'Dark Continent'

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