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Die Existenzialanalytik revidieren. Ontologie und Politik

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Das Aufdecken der Körperlichkeit des Subjekts ist bereits eine Kritik an der heideggerschen Ontologie. Außerdem wird die Idee, dass sich die Existenz durch die Sorge definiert, erschüttert, sobald man auf der Bedeutung des Genusses besteht. Nur, wenn man nur das Allernötigste zum Überleben hat, isst man, um zu leben:

Wir atmen, um zu atmen, essen und trinken, um zu essen und zu trinken, behausen uns, um uns zu behausen, studieren, um unsere Neugier zu befriedigen, gehen spazieren, um spazieren zu gehen. Das alles ist nicht, um zu leben. Das alles ist Leben. Leben ist eine Aufrichtigkeit.26

Nur in einer Welt der Ausbeutung kann die Nahrung als Werkzeug oder als Treibstoff interpretiert werden, schreibt Levinas, nachdem er darauf hingewiesen hat, dass das Werkzeug und der Nutzen bei Heidegger den Gebrauch der Dinge und dessen Ergebnis verdecken, das in Befriedigung oder Vergnügen besteht. Schließlich, wenn wir mit Blick auf die Nahrung, die uns an die anderen Menschen und an die anderen Arten bindet, die Existenz und die Ökologie nicht nur auf der Ebene der Ethik, sondern auch der Ontologie miteinander verbinden, dann kann die Philosophie, die wir konstruieren, keine des „Für-sich“ sein. Die Sorge um die Existenz wird umhüllt vom Genuss oder der Befriedigung.27 Die Liebe zum Leben kommt vor der Planung, was besagt, dass das Sein zum Tode in einer Phänomenologie der Nahrung nicht so fundamental und originär ist wie bei Heidegger. Die Tatsache, dass man sich von Dingen nährt, die Sorge, dass es an diesen Dingen fehlen könnte, die Arbeit und die Anstrengungen, die ich leisten muss, um mir gute Existenzbedingungen zu verschaffen, all das entreißt mich der Einsamkeit. Ich bin von vornherein in einer Welt, die nicht nur eine von Menschen ist. Diese Umwelt ist nicht bloß ein Sprungbrett für meine Freiheit. Sie verweist auf bewusste und unbewusste Bindungen an die anderen Menschen und Wesen, auf Beziehungen, die man mit ihnen eingegangen ist, oder auf ihre Ausbeutung, die das Ergebnis einer Verleugnung eben dieser Abhängigkeitsbeziehung ist. Diese Umwelt zeigt auch die Verwundbarkeit der Menschen, die am äußersten Ende der Nahrungskette stehen und die Konsequenzen der Wasserverschmutzung oder des Virenbefalls, unter dem die Vögel oder das Vieh leiden, zu tragen haben.

Außerdem ist unsere Zeit verschränkt mit einer umfassenderen Zeit, die nicht nur die der Geschichte, sondern auch die der Natur und sogar, für einen jeden von uns, der Jahreszeiten und des Wechsels von Tag und Nacht ist.28 Selbst wer nachts aktiv ist und tagsüber schläft, muss sich ausruhen. Alle brauchen diesen Wechsel, so wie sie Licht, Luft und Wasser brauchen. Wie Heidegger die menschliche Zeitlichkeit denkt, trägt dieser Realität nicht Rechnung. Ist die Idee, dass die authentische Zeitlichkeit die eigene Projektion ausgehend von der Möglichkeit der Unmöglichkeit der eigenen Existenz ist, nicht bezeichnend für eine Philosophie der Freiheit, in der das, was die condition humaine charakterisiert – nämlich Sterblichkeit, Kontingenz, die Faktizität oder der Verlust des Selbst in der Anonymität – unter Abstraktion von anderen Bedingungen unserer Existenz gedacht wird, wie der Natur, des Klimas, der Umwelt und der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen uns und den anderen Wesen?

Levinas schreibt so manches Mal, dass das heideggersche Dasein nie Hunger hat.29 Ein Wesen, das Hunger und Durst hat und die Kälte spürt, denkt die Freiheit nicht als Eroberung seiner selbst; was für dieses Wesen zählt, ist, keine Entbehrungen mehr zu leiden und Lust zu empfinden; das Leben zu genießen. Geht das Vergessen dieser Dimension nicht damit einher, wie Heidegger die Existenz interpretiert, indem er sie vom Leben trennt und fast ausschließlich ihre „ek-statische“ Dimension aufscheinen lässt? Was soll man von der Unterscheidung halten, die er zwischen den Seienden – die zuhanden oder in Reichweite sind und die er durch die Nützlichkeit und den Zweck, den wir ihnen zuweisen, bestimmt –, und dem Dasein trifft, das als einziges „ek-sistiert“, und, indem es existiert, die Struktur der Welt und den Sinn des Seins aufdeckt?

Nachdem die Verwundbarkeit des Menschen berücksichtigt wurde, die auf eine Phänomenologie der Passivität verweist, die nicht nur die Beschädigung unseres Körpers hervorhebt, sondern auch die Öffnung zum anderen und unsere Verantwortung für ihn (Levinas), nach der Dekonstruktion dessen, wie die Philosophie die Grenzen der Moral gedacht und die Souveränität des Subjekts begründet hat, indem sie den Menschen dem Tier entgegensetzte und die Tiere aus der moralischen Gemeinschaft ausschloss (Derrida), erlaubt die Phänomenologie der Nahrung, mit neuem Elan die Kategorien zu untersuchen, die der Philosophie des Subjekts und selbst der Existenzialanalytik Heideggers noch immer zugrunde liegen, und eine andere Ontologie zu entwickeln.

Diese ist keine Lehre vom Sein in dem Sinn, wie man von einem Wesen des Menschen sprechen könnte. Das Ende der Metaphysik als einer Lehre, die das Besondere des Menschen zum Ausdruck bringt, ihn als ein vernünftiges Tier charakterisiert oder seine Vollendung im Lichte einer abgeschlossenen Konzeption des Seins misst – sei sie theologisch wie im Christentum oder kosmologisch wie bei Aristoteles – dieses Ende ist eine Errungenschaft. Wenn der Mensch zugleich in biologische und kulturelle Aktivitäten verstrickt ist, wie man am Akt des Essens sieht, gibt es keine Natur im Sinne eines unveränderlichen Wesens. Darum ist die Phänomenologie der Nahrung eine Philosophie der Existenz und kein Essentialismus. Warum dann von Ontologie sprechen? Etwa weil die Seinsweisen des Menschen, seine Weisen zu existieren, erlauben würden, die Strukturen des Seins aufzudecken, es zu verstehen, wie bei Heidegger?

Die Antwort auf diese Frage ist negativ, denn die Existenz liegt nicht im Blickfeld des Seins. Wie bei Levinas haben wir es mit dem Existierenden zu tun, nicht mit der Existenz. Das Existierende lebt von Nahrung und begegnet dem anderen. Es ist weder zuerst noch wesentlich ein Verstehen der Welt, sondern es ist mit der Welt, es ist im Fühlen in Kontakt mit den Dingen. Mehr noch, die von Levinas schon in seinen ersten Werken entwickelte Ontologie der Passivität und des „leben von“ bricht mit dem Primat der Erkenntnis und der für ihn typischen Vormachtstellung. Das Bestehen auf der Körperlichkeit des Lebendigen und die Beschreibung der Epiphanie des Antlitzes lassen Bedeutungen sichtbar werden, die sich radikal von denen unterscheiden, die in den vorhergehenden Philosophien vorherrschten, sei es der Primat der Erkenntnis über das Handeln, seien es die Vertragstheorien – die die Ethik oder die Politik ausgehend von Individuen rekonstruieren, die über Regeln entscheiden, die es ihnen erlauben zusammenzuleben und die Gesellschaft auf den gegenseitigen Nutzen zu gründen – oder die von Heidegger.

Letzterer beschreibt das Reale ausgehend von den pragmata, jenen Handlungen des Menschen, die vor der wissenschaftlichen Erkenntnis liegen und die der Weise entsprechen, wie sich seiner Vorstellung nach die Dinge uns anbieten. Die Welt Heideggers ist geprägt durch die Technik, die Arbeit, die Sorge des Daseins um die Existenz und durch eine Gemeinschaft, in der die Fürsorge keinen von der Notwendigkeit befreien kann, in einer unüberwindbaren Einsamkeit seine Sterblichkeit anzunehmen. Für Levinas ist die Beziehung, die das Ich zu sich selbst, zum anderen und zu den anderen unterhält, kein Verstehen des Seins, was seine Ablehnung der als Lehre vom Sein verstandenen Ontologie und seine Behauptung, dass die Ethik die Erste Philosophie sei, rechtfertigt.

Außerdem ist die Phänomenologie der Passivität und des „leben von“ eine Philosophie des Sinnlichen und der Körperlichkeit, die zu einer ursprünglichen Konzeption der Subjektivität führt. Diese Philosophie, in der die Verantwortlichkeit für den anderen die Selbstheit konstituiert, und deren Endpunkt der in Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht erarbeitete Begriff der Substitution ist, ist in gewissem Sinne eine Ontologie. Sie fordert dazu auf, andere Grundlagen für die politische Theorie zu erarbeiten als die, die die Vertragstheorien in ihrer gegenwärtigen Form charakterisieren und ebenso die Interpretation der Menschenrechte, die den internationalen Beziehungen und den gegenwärtigen Diskussionen über die Klimaerwärmung oder die Biodiversität als Referenz dient.

Natürlich geht es nicht darum, eine Ousiologie zu entwickeln oder zur Metaphysik zurückzukehren, denn die Einzigartigkeit des Antlitzes und die Transzendenz des anderen implizieren, dass er allem, was ich von ihm sehe oder weiß sowie jeder Reduktion auf das Selbe entgeht, sei es die auf die Gattung oder die auf den Begriff von Menschheit. Es geht auch nicht um eine Ontologie im Sinne Heideggers, denn die Bedeutungen, die sich aus dem Verhältnis des Existierenden zu seinem Körper und zum anderen ergeben, sind vielschichtiger und weniger homogen als die, die sich aus einem Verständnis der Welt ableiten, das von der Intentionalität oder den Handlungen des Menschen und einem Dasein ausgeht, das sich wesentlich um seine Existenz sorgt.

Wofür sich Levinas’ Phänomenologie interessiert, ist eine Bewegung der Rückkehr zu einem ursprünglichen Verhältnis zu sich selbst und zum anderen, in der der Körper von seiner Materialität her erfasst wird. Der Körper ist der Ort der Verantwortung, wie man an der Beschreibung der Mutterschaft, aber auch in der Phänomenologie der Passivität sieht, die in Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht kulminiert, wo die Subjektivität als Verwundbarkeit definiert wird. Diese Philosophie der Körperlichkeit wird zur Ontologie erhoben.30 Sie enthüllt einen Sinn des Existierens, der anders ist als derjenige, der im Zentrum von Sein und Zeit steht; anders als selbst in den späten Werken Heideggers. Unser Bestreben in diesem Buch ist es, eine Existenzphilosophie zu erarbeiten, die Levinas’ Bemühungen fortsetzt, der das „leben von“ gedacht, aber nicht die politischen Konsequenzen aus seiner Reflexion über das, was er das „Elementale“ und die Welt als Nahrung nennt,31 gezogen hat. Darum ist diese Phänomenologie der Nahrung in dem genauer gefassten Sinne eine Ontologie.

Die Beschreibung von Existenzialien, die ans Konzept des „leben von“ und die Welt der Nahrung gebunden sind, kann zu ethischen, politischen und rechtlichen Neuerungen führen, die uns helfen können, der aktuellen Umweltkrise zu begegnen. Diese ist nicht nur eine Krise der Ressourcen, sondern sie betrifft auch unsere Subjektivität, unser Verhältnis zu unserem Körper und zur Arbeit und verweist auf die Möglichkeit einer Teilhabe der Individuen an einer gemeinsamen Welt. Selbst wenn kein fixes und starres Wesen des Menschen als Bezugsgröße für Ethik und Politik dienen kann, können wir uns einen gewissen Universalismus vorstellen, der sich von den umfassenden und substanziellen Moraldoktrinen, mit denen eine Gruppe ihre moralischen oder religiösen Ansichten durchsetzen will, absetzt.

Dieser an die Bereicherung des Begriffs von der Welt, den eine Phänomenologie der Nahrung und eine Meditation über die Bedingungen unserer Existenz bedingen, gebundene Universalismus kann Orientierungspunkte liefern, die den Individuen bei der Veränderung ihres Lebensstils behilflich sein können, einer Veränderung, die für die Eindämmung der Umweltkrise und die Durchsetzung eines anderen Entwicklungsmodells unumgänglich ist. Mehr als eine Philosophie des Subjekts, die das Individuum dazu bringt, die Bemühung, den anderen Menschen und Arten kein verringertes Leben mehr aufzuzwingen, ins Zentrum seines Leben-Wollens aufzunehmen, kann die Erarbeitung einer Ontologie den Sinn einer Existenz enthüllen, den die Philosophien der Freiheit und der Geschichte vernachlässigt haben, und mit der Arbeit an einem gewaltigen Bauwerk beginnen: Einer Erneuerung der ethischen, rechtlichen und politischen Kategorien, die wir benötigen, um aus der allgemeinen Sackgasse herauszufinden, in die unser Entwicklungsmodell uns gebracht hat.

So werden wir im ersten, auf die Ontologie zentrierten Teil dieses Buches das Nachdenken über die Körperlichkeit des Subjekts und die condition humaine in eine Phänomenologie des „leben von“ und der Nahrung einfließen lassen. Die Analyse, wie sich der Mensch von der natürlichen und künstlichen, von ihm bewohnten Umwelt nährt, lässt Bedeutungen auftauchen, die es uns erlauben, das, was wir zumeist mit dem Geschmack und über die Ästhetik definieren, zu erneuern und aufzufrischen, das Band zwischen Landwirtschaft und Kultur neu zu definieren und über die Bedeutung des Städtebaus und der Architektur nachzudenken. Indem wir auf dem Zusammenleben mit den anderen Lebewesen, das im Zentrum jeder Reflexion über den oikos steht, bestehen, werden wir den Platz, den die Tierfrage in der moralischen Transformation des Subjekts einnimmt, hervorheben – eine Veränderung, die nach Rousseau unumgänglich ist, um den Gesellschaftsvertrag zu festigen.32 Denn es sind die Herzen, in denen sich das gesellschaftliche Band knüpft oder auflöst und in denen die Individuen das Pflichtgefühl erwerben.33

Der zweite Teil wird der Formulierung der Grundlagen des Gesellschaftsvertrags gewidmet sein: Wir werden das politische Problem so aufgreifen, wie es sich für Menschen stellt, die sich dessen bewusst sind, dass man die Ökologie und die Tierfrage in die republikanische Ordnung miteinbeziehen muss. Es wird darum gehen, zu zeigen, dass die Idee des Gesellschaftsvertrags noch Bestand hat, aber dass sein Ausgangspunkt nicht mehr das Individuum im Exil seiner inneren Freiheit ist, wie das in der Vertragstheorie von Hobbes bis Rawls der Fall war, bei dem die gesellschaftliche Ordnung vom Zusammenspiel der Egoismen her gedacht wird. Welche Regeln können diese gesellschaftliche Ordnung strukturieren, wenn man sie auf ein Individuum gründet, das sich nicht selbst genügt, sondern sich bereits in seinem Verhältnis zu sich selbst und zur Nahrung auf die anderen Menschen bezieht – die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen – sowie auf die anderen Lebewesen? Wir werden Vorschläge unterbreiten, die die Demokratie erneuern können, indem sie sich auf Ideen der Deliberation und der Partizipation beziehen und auf der politischen Ebene die Konsequenzen aus der im ersten Teil entwickelten Phänomenologie der Nahrung ziehen. Wir werden Aussagen darüber machen müssen, was dieser Wandel der politischen Kultur auf der Ebene der Bildung der Individuen und der öffentlichen Meinung erfordert, und welchen Sinn der Kosmopolitismus haben kann, wenn man weiß, dass die Natur weder die Rolle des Fundaments spielen, noch als Dekor der Geschichte betrachtet werden kann.

1Emmanuel Levinas, Les Carnets de captivité, OEuvres, Bd. I, Paris, Grasset, 2009, S. 193.

2Maurice Merleau-Ponty, Die Struktur des Verhaltens, Berlin / New York, de Gruyter, 1976, S. 142 f.

3Für eine französischsprachige Darstellung der wichtigsten englischen Vertreter der Umweltethik, die weit davon entfernt sind, einer Meinung zu sein, siehe die Textsammlung Éthique de l’environnement. Nature, valeur, respect, übersetzt von Hicham-Stéphane Afeissa, Paris, „Vrin Textes clés“, 2007.

4Cornelius Castoriadis, „Un monde à venir. Entretien avec O. Morel, 18/06/1993“, veröffentlicht unter dem Titel „La montée de l’insignifiance“ in: Les Carrefours du labyrinthe, Bd. 4, La Montée de l’insignifiance, Paris, Seuil „Points Essais“, 2007, S. 112.

5Der Kapitalismus unterscheidet sich vom Liberalismus, wie wir uns im Rest des Buches vor Augen führen werden – vor allem im ersten Kapitel des zweiten Teils, in dem es unter anderem um Locke gehen wird.

6André Gorz, Ökologie und Politik. Beiträge zur Wachstumskrise, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 1977, S. 26 und passim. Für Gorz ist der Kapitalismus an eine Anthropologie gebunden, die die Individuen voneinander trennt. Er funktioniert mithilfe des Marketings, welches jene dazu treibt, nach Dingen zu streben, die mit einem gewissen Prestige verbunden sind und die sich nicht jeder leisten kann. So wird der Kauf von privaten Gütern gefördert und die Produktion und der Konsum von ausgefallenen Dingen begünstigt, was zu Lasten der Nutzung von öffentlichen Diensten geht, die weniger Energie kosten.

7Corine Pelluchon, L’Autonomie brisée. Bioéthique et philosophie, Paris, PUF „Quadrige“, 2014; Éléments pour une éthique de la vulnérabilité. Les hommes, les animaux, la nature, Paris, Cerf „Humanités“, 2011.

8Dass die Ökonomie dieselbe etymologische Wurzel hat wie die Ökologie, zeigt, dass erstere – die die Leitung des Hauses und der häuslichen Sphäre bezeichnet und sich später auf den Staat, auf die Produktions- und Handelsbeziehungen im nationalen und internationalen Maßstab erweiterte – eigentlich unsere Abhängigkeit von den materiellen Bedingungen unserer Existenz sowie denen der anderen Lebewesen bedenken müsste. Eine Ökonomie, die diese als Handelsgüter betrachtet, hat nicht nur auf ökologischer und sozialer Ebene zerstörerische Wirkung, sie verrät sich auch selbst, weil sie verkennt, was „die Erde bewohnen“ heißt.

9Thierry Paquot, „Habiter pour exister pleinement“, in Thierry Paquot, Michel Lussault und Chris Younès (Hg.), Habiter, le propre de l’humain. Villes, territoires et philosophie, Paris, La Découverte „Armillaire“, 2007, S. 8–11.

10Ebd., S. 9. Der Autor bezieht sich hier auf Max Sorre, Les Fondements de la géographie humaine, Paris, Armand Colin, 1948.

11Hicham-Stéphane Afeissa, Nouveaux fronts écologiques. Essais d’éthique environnementale et de philosophie animale, Paris, Vrin „Pour demain“, 2012, S. 24.

12Aldo, Leopold, Ein Jahr im Sand County, Berlin, Matthes & Seitz, 2019, S. 114.

13Cornelius Castoriadis, „La force révolutionnaire de l’écologie“, Une société à la dérive. Entretiens et débats (1974–1997), Paris, Seuil „La couleur des idées“, 2005, S. 314.

14Im französischen Original wird stets der Plural (nourritures) verwendet. Das verweist darauf, dass „Nahrung“ hier nicht nur im engeren Sinne als Lebensmittel zu verstehen ist, sondern im weiteren Sinne all das bezeichnet, wovon wir uns nähren – sowohl in körperlicher als auch in geistiger, emotionaler, etc. Hinsicht. Die Verwendung im Plural drückt das großzügige Wesen der Welt aus, das, was unsere Vorstellung übersteigt, über sie hinausgeht und nur mit den Sinnen erfahrbar ist. Der Begriff taucht bereits bei Levinas in Totalität und Unendlichkeit auf und verweist auf die Verwendung des Begriffs in André Gides Werk Uns nährt die Erde (Les Nourritures terrestres).

15Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, Freiburg/ München, Karl Alber, 2014, S. 154.

16Ebd., S. 207.

17Ebd. Siehe auch Emmanuel Levinas, Vom Sein zum Seienden, übers. v. Anna Maria Krewani und Wolfgang Nikolaus Krewani, Freiburg, Alber, 2008, S. 53.

18Emmanuel Levinas, Les Enseignements, OEuvres, Bd. II, Paris, Grasset, 2011, S. 192.

19Ebd., S. 183–184. Siehe zu diesem Thema auch Corine Pelluchon, „Le monde des nourritures chez Levinas: de la jouissance à la justice“, in Emmanuel Housset und Rodolphe Calin (Hg.), Levinas: au-delà du visible. Études sur les inédits de Levinas, des Carnets de captivité à Totalité et infini, Caen, PUC, 2012, S. 283–302.

20„Die materiellen Bedürfnisse meines Nächsten sind spirituell für mich.“ (Levinas, Emmanuel, Vom Sakralen zum Heiligen. Fünf neue Talmud-Lesungen, übers. v. Frank Miething, Frankfurt a. M., Neue Kritik, 1998, S. 20). Levinas zitiert den Rabbiner Israël Salanter, wenn er die Verpflichtung Abrahams gegenüber dem anderen anspricht.

21Emmanuel Levinas, Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die Betroffenheit von Transzendenz, übers. v. Thomas Wiemer, Freiburg, Karl Alber, 1999, S. 250.

22J. Baird Callicott, „Les implications métaphysiques de l’écologie“, Éthique de la terre, hg. v. B. Lanaspeze, Paris, Wildproject „Domaine sauvage“, 2010, S. 104.

23Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, 2014, S. 182.

24Emmanuel Levinas, Difficile liberté. Essais sur le judaïsme, Paris, LGF „Biblio Essais“, 2010, S. 16 und Vom Sakralen zum Heiligen. Fünf neue Talmud-Lesungen, S. 16.

25Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 152.

26Emmanuel Levinas, Vom Sein zum Seienden, S. 51–53, insbesondere S. 52.

27Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 191.

28Fernand Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., Band 1, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1990, Vorwort, S. 20.

29Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 191. Siehe auch: Les Nourritures, OEuvres, Bd. II, Paris, Grasset, 2011, S. 151–172.

30Rodolphe Calin, „Le corps et la responsabilité : sensibilité, corporéité et subjectivité“, Études philosophiques, Nr. 3, Juli 2006, S. 297–316. Der Autor zitiert hier Emmanuel Levinas, Die Zeit und der Andere, übers. v. Ludwig Wenzler, Hamburg, Meiner, 1984, S. 31: „Folglich drückt die Materialität nicht den zufälligen Fall des Geistes in das Grab oder das Gefängnis eines Leibes aus. […] Den Leib so von der Materialität – dem konkreten Ereignis der Beziehung zwischen Ich und Sich – her begreifen heißt, ihn auf ein ontologisches Ereignis zurückführen.“

31Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 185. Das Elementale bezeichnet das „Nicht-Besitzbare[n], das umfaßt oder enthält, ohne enthalten oder umfaßt werden zu können“ – wie das Meer, die Erde, die Stadt, das Licht. Es ist zugleich das Element, in dem ich bade und das mir genügt, und das, was von nirgends herkommt und was ich zu übersteigen oder zu zähmen versuche – indem ich ein Haus baue, um meine Wahrnehmung von meinem Zuhause her zu organisieren, und indem ich arbeiten, um seine Fremdheit zu beherrschen und zu besitzen, was ich zum Leben brauche. Für einen allgemeinen Überblick, siehe auch das Kapitel „Innerlichkeit und Ökonomie“ in Totalität und Unendlichkeit., S. 150–266.

32Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechtes,

übers. v. Hermann Denhardt, Leipzig, Philipp Reclam jun., 1880, Buch II, Kapitel 12.

33Ebd., Buch IV, Kapitel 1.

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