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Kapitel 1: Leben von

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Leben heißt leben von. Die Transitivität dieses Verbs bedeutet nicht nur, dass unsere Existenz untrennbar mit der Materialität verbunden ist, sondern sie bezeichnet auch den ursprünglichen Charakter des Fühlens: Wir leben in und mit den Dingen und dürfen das nicht mit einer bloßen Möglichkeit verwechseln. Die Sinneseindrücke dem Register der Erkenntnis zu entreißen, heißt jedoch nicht nur, sie zu rehabilitieren, indem man sich weigert, sie zu einer unklaren Idee zu machen. Stattdessen gibt man den sinnlichen Eigenschaften – den Farben des Himmels, den Düften der Blumen und dem Geschmack der Speisen – ihren eigenen Wert zurück, der darin besteht, uns die Welt, in der wir leben, zu offenbaren – und uns in ihr. Fühlen heißt, ganz grundlegend in Kontakt mit den Dingen zu sein und sich so zu fühlen, sich so zu erfahren, dass man die Veränderungen seiner Beziehung zur Welt lebt, ohne die eigenen, stets besonderen Empfindungen mit Ereignissen seines Bewusstseins oder sogar mit Wahrnehmungen gleichsetzen zu können, die sich per definitionem auf ein Objekt beziehen würden.34 Fühlen heißt, mit der Welt zu sein, heißt, sie anteilnehmend zu erfahren.35

Die condition humaine zu beschreiben und dabei unsere Körperlichkeit ernst zu nehmen, bedeutet, mit der Infragestellung der Repräsentation, die das Ziel der Phänomenologie seit Husserl ist,36 fortzufahren. Dennoch sind der „Ruin der Repräsentation“ und das von ihm bewirkte Ende der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Bewusstsein und Welt, niemals so deutlich, wie wenn ich die Welt als Nahrung ansehe. Wenn man den Nahrungscharakter der Welt behauptet, sagt man, dass sie sich nicht auf ein Noema reduzieren lässt, auf einen vom sinngebenden Akt eines Bewusstseins konstituierten Inhalt. Die Welt ist großzügiger, als meine utilitäre Bewertung es mich glauben lässt. Sie kann, genauer gesagt, nicht vollständig konstituiert sein, denn was sie an Nichtkonstituierbarem an sich hat, was der Objektivierung, der Wissenschaft ebenso wie der Wahrnehmung entgeht, offenbaren meine Sinneseindrücke in dem, was sie an ganz Besonderem und Beliebigem an sich haben; durch das in ihnen, was in keiner Hinsicht der Erkenntnis untergeordnet ist und weder auf eine praktische Funktion verweist, wie das Werkzeug bei Heidegger, noch auf das Bedürfnis, sondern auf das Vergnügen. Die Sinneseindrücke, die sich also von der Wahrnehmung unterscheiden, gehören zum Bereich des Genusses. Man begnügt sich also, anders gesagt, nicht damit, den Körper anstelle des Bewusstseins zu setzen, sondern es ist das Register der Konstitution, das vollkommen infrage gestellt wird.

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