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Die Teezeremonie

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Wenn man vom Weg des Tees spricht (chado), von dem im Buch vom Tee von Okakura Kakuzo die Rede ist, ist es ein Missverständnis, diesen Weg als Ästhetisierung der Existenz aufzufassen. Sicherlich ist die Teezeremonie (cha-yo-nu) eine Kunst des Auf-der-Welt-Seins oder vielmehr des Mit-den-Dingen oder Mit-den-anderen-Seins. Und indem sie dazu einlädt, beim anderen die Größe der kleinen Dinge zu erkennen – von der man nur dann überzeugt sein kann, wenn man in sich die Kleinheit der großen Dinge spürt –, führt die Weisheit, die sich in der Zeremonie ausdrückt, auch zu einer Relativierung dessen, was Pascal die Stellung der Großen nannte.92 Auch ist mit ihr ein echter demokratischer Geist verbunden, der damit zusammenhängt, dass allen Teilnehmern gleichermaßen die Fähigkeit zugestanden wird, Aristokraten des Geschmacks zu werden sowie den einzigartigen Wert jedes Augenblicks wertzuschätzen.

Alle unsere Handlungen, ob sie sich auf Unseresgleichen, auf die anderen Lebewesen oder auf die Umwelt beziehen, sind wichtig. Darum ist der Weg des Tees untrennbar mit der Beachtung der drei moralischen Grundsätze verbunden: der Ernsthaftigkeit, die sich auf alle Gebiete unseres Lebens und auf alle uns in ihm begegnenden Akteure erstreckt, wie die Blumen, die Bäume und die Tiere; die Reinheit, die die Reinigung des Ortes, aber auch des Herzens und des Geistes voraussetzt; schließlich die Ausgeglichenheit, die es dank der Disziplin im Rahmen der Zeremonie jedem ermöglicht, wieder zu sich zu finden.

Es wäre also falsch, den cha-no-yu als Zeichen eines elitären Lebensstils zu bewerten, als ob Raffinement und Lebenskunst der Kunst des Auftretens und des Sich-Vergleichens mit ihrer Schaffung von Distinktionskriterien untergeordnet wären. Eine solche Auffassung vom Weg des Tees ignoriert vollkommen, dass die Philosophie der Immanenz seinen Geist ausmacht und fest mit der Bekräftigung der Gleichheit aller Individuen verbunden ist, sowie mit dem Bewusstsein unserer Kleinheit und der Lehre der Demut.93 Mitleid, Genügsamkeit und Bescheidenheit gehören in diesem Denken, das nicht ausschließlich den Anhängern des Taoismus vorbehalten ist, sondern eine universale Dimension enthält, zusammen – selbst wenn der Akzent auf der Unvollkommenheit und der Asymmetrie, damit kontrastiert, wie die Abendländer den Fortschritt und die Schönheit auffassen.94

Auch wenn der Weg des Tees, wie die im Teezimmer herrschende Gleichheit bezeugt, ein demokratisches Ideal vertritt, bedeutet diese Harmonie nicht, dass es keine Regeln gäbe, wovon man sich überzeugen kann, wenn man sieht, welche Aufmerksamkeit noch den geringsten Details zuteilwird, die diese Zeremonie strukturieren – von der Öffnung der Eingangstür, die von jedem, selbst dem Reichsten, eine Neigung des Kopfs verlangt, über den Platz, den jeder Teilnehmer einnimmt, bis zur Auswahl und der Anordnung der Blumen, die den Jahreszeiten entsprechen müssen. Die Zubereitung des Tees selbst folgt genauen Regeln, die verlangen, dass man sich auf den gegenwärtigen Augenblick konzentriert – ohne Überstürzung und ohne dass man an anderes denkt als an das, was hier und jetzt geschieht. Die Rituale legen einen Rahmen und einen Zeitraum fest, die erlauben, dem zu huldigen, was die Menschen als das Wesentliche ihres Lebens anerkennen: den gegenwärtigen Augenblick, die Harmonie und die Aufmerksamkeit für alle Gesten des Austauschs. So verschaffen uns die Disziplin und die Anordnung der Gäste, die sorgfältig im Voraus festgelegt sind, wie auch der Platz und die jeweilige Rolle des Ehrengasts und der anderen Teilnehmer, „eine authentische Freiheit – nämlich die, uns auf einer vollkommen menschlichen Ebene wiederzufinden und den Verdruss der Welt hinter uns zu lassen“.95

Natürlich ist es schwierig, die Teezeremonie in anderen Ländern einzuführen. Überdies ist der Exotismus keine Garantie für ein respektvolleres Verhalten gegenüber unserem Körper, gegenüber den Dingen der Welt und den anderen, und nichts, worum wir die anderen Zivilisationen, einschließlich der so genannten primitiven Völker, die niemals vergessen, die Tiere zu ehren, die sie essen wollen, beneiden müssten.96 Dennoch können wir von diesem Nachdenken über den Weg des Tees profitieren, denn er lässt uns ermessen, welcher Abstand zwischen dem besteht, was eine Kunst des Mit-den-Dingen- und Mit-den-anderen-Lebens sein könnte, und unseren gewöhnlichen Verhaltensweisen, insbesondere hinsichtlich der Nahrung.

Wenn man feststellt, dass Kinder nicht mehr wissen, dass die Vanille eine Schote ist, dass sie ein Viereck zeichnen, wenn sie einen Fisch malen sollen, sagt man sich, dass etwas Wesentliches verlorengegangen ist, das weder mit dem intellektuellen Niveau, noch mit der technischen Geschicklichkeit zu tun hat. Und zieht man Bilanz aus der landwirtschaftlichen Industrialisierung, sieht man in den Supermärkten alle von der Agroindustrie hergestellten Gerichte, alle mit Herbiziden vollgepumpten Früchte und Gemüse, deren Mitverantwortung für das verstärkte Auftreten gewisser Arten von Krebs inzwischen erwiesen ist, dann scheint die Vorstellung einleuchtend, dass man seinen Körper nicht achtet, wenn man der Art und Weise, wie man isst, keinen Respekt entgegenbringt.

Schließlich sind die Leiden, die man den Tieren zufügt, die in der industriellen Tierhaltung „Nutztiere“ genannt werden und ihre ganze kurze und elende Existenz unter abscheulichen Bedingungen fristen, ebenso wie der auf die Züchter ausgeübte Druck, immer mehr Fleisch oder Milch zu immer niedrigeren Preisen zu produzieren, nicht nur Symptom eines erschöpften und kontraproduktiven Entwicklungsmodells. Sie beweisen auch ein totales Fehlen von Respekt vor den Tieren und den Menschen, die diese Lebensmittel herstellen. Neujahr zu feiern und dabei Foie gras zu essen, also eine kranke, durch mehrere Wochen Stopfen erzielte Leber zu sich zu nehmen, heißt, sich dieses Leiden und diese Qual einzuverleiben. Der Gegensatz zu dem Respekt, der Anteilnahme und der Genügsamkeit, die den Geist der Teezeremonie ausmachen, ist erschütternd, ebenso wie der zu den Riten der Tsimshian-Indianer, die, wenn sie ein Tier getötet haben, es ehren und vermeiden wollen, dass der „gedemütigte“ Fisch nicht wiederkehrt.

Wenn wir uns jedoch darauf beschränken, die aberwitzigen Verhältnisse in der industriellen Tierhaltung anzuprangern und eine Landwirtschaft zu tadeln, die zur Geisel der Pflanzenschutzmittel vermarktenden Firmen geworden ist, werden wir uns der Sackgasse, in die wir geraten sind, nicht bewusst. Man muss auch sagen, dass die Krise unseres Entwicklungsmodells – die die Nahrungsmittelkrise in besonders scharfem Licht erscheinen lässt – eine Krise des Geschmacks ist. Wir sehen sie im Zusammenhang mit der Amputation der Sinne, die uns unfähig macht zu verstehen, dass Hedonismus nichts Anstößiges sein muss.

Der Hedonismus besteht darin, dass man die Existenz genießt, indem man mit jemand anderem kommuniziert – über seine archaischsten und komplexesten Sinneseindrücke. Er ist also untrennbar verbunden mit dem Respekt, den man vor sich selbst, den anderen und der Umwelt hat. Wie die gute Laune, die Höflichkeit und all die kleinen Tugenden, die das Mit-den-anderen- und Mit-der-Welt-Sein angenehmer und harmonischer machen, ist der Hedonismus unverständlich ohne die Wertschätzung, die zu erkennen verlangt, „was du bist, wer du bist und wie du bist“, und die bei einem selbst beginnen muss, damit man auf die Welt zugehen kann – ohne zu vergessen, dass man ganz nackt aus dem Schoß seiner Mutter gekrochen ist.97 Eine Menschheit, die den Geschmackssinn verloren hat, sieht das Böse, das sie anrichtet, nicht mehr. Sie sieht die Verunstaltung der Welt nicht mehr, duldet die Zerstörung der Landschaften und das Verschwinden der Arten und fördert eine Ausbeutung der Ressourcen, die von der Ausbeutung der Menschen nicht zu trennen ist und die zu Hungersnot und Krieg führt. Eine Menschheit, die den Geschmackssinn kultiviert, indem sie zuallererst einmal Respekt hat vor denen, die die Nahrung zubereiten, vor den Bauern, die den Boden bearbeiten, und vor den Tieren, eine Menschheit, die ihre Kinder schon sehr früh lehrt, zu kochen und Gäste zu empfangen, ist eine Menschheit, die ihr Gleichgewicht wiederfindet. Ethik und Gerechtigkeit sind ohne diesen Ausgangspunkt undenkbar.

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