Читать книгу Wovon wir leben - Corine Pelluchon - Страница 15
Der Geschmack
ОглавлениеDer Mund ist der Mittelpunkt eines vielfältigen und dynamischen Netzes von Beziehungen und Austausch zwischen Körper und Welt, Subjekt und Gesellschaft, mir und den anderen, Individuum und Natur, Mensch und Tier. Man kann ihn weder auf eine einzige Funktion beschränken, noch den Akt des Essens auf die Nahrungszufuhr reduzieren, als ob es sich einfach um ein Absorbieren von Lebensmitteln handelte, das es dem Individuum erlaubt, zu wachsen, und durch die es „sich entwickelt, sich ernährt und alle durch die Ausscheidungen verursachten Verluste ersetzt“70, wie sich Jean Anthelme Brillat-Savarin ausdrückt. Die Tatsache, dass wir Nahrung aussuchen, die unserem Organismus zuträglich ist, weist genauer gesagt selbst auf ein komplexes Phänomen hin. Denn: „Der Geschmack ist derjenige Sinn, welcher uns mittelst einer eigenthümlichen Empfindung, die in dem Organe erregt wird, zu den schmeckenden Körpern in Beziehung setzt.“71 Daher kann man diesen Sinn weder auf das Verkosten noch auf die Nahrungssuche oder -zubereitung beschränken.
Der Geschmackssinn ist im physischen Menschen „das Organ, mittelst dessen die schmeckenden Gegenstände geprüft werden.“72 Weit entfernt davon, aus dem Geschmack einen Sinn zu machen, der von den anderen zu trennen wäre, wird durch diese Definition sofort die zentrale Rolle des Geschmacks bestätigt und die Verbindung betont, die zwischen seiner physiologischen und seiner zerebralen, aber auch intellektuellen, kulturellen, ja künstlerischen Dimension besteht. Beim Verkosten sind alle Sinne gefordert – das beweist die Bedeutung der olfaktorischen, retronasalen, somästhetischen und visuellen Eindrücke, aber auch der Textur der Lebensmittel und selbst des Geräusches, das entsteht, wenn man mit den Zähnen in sie hineinbeißt.
Es ist, mehr noch, unmöglich, den physischen Aspekt des Geschmacks zu berücksichtigen, ohne sofort auf seine moralischen oder kognitiven Aspekte einzugehen. Auch ist der Geschmack zugleich das, was uns durch Vergnügen dazu anregt, uns am Leben zu erhalten, und das, was „uns bei der Wahl unserer Nahrungsmittel aus denjenigen Gegenständen, welche die Natur uns bietet“73, hilft. Sicherlich wird der Geschmack von Hunger und Durst angeregt, aber die Erinnerung an das Vergnügen beim Kosten gewisser Speisen spielen ebenso wie die Suche nach diesem Vergnügen eine wichtige Rolle, genauso wie das Bemühen, es zu intensivieren, delikater zu machen, ja, es durch Dekorationen oder Rituale noch zu verdoppeln. Das kennzeichnet den Übergang von der Freude am Essen zur Tafelfreude und zum Mahl.74
Es ist also schwierig, sich den Appetit ohne die Gourmandise, also das genussvolle Schwelgen, vorzustellen. Der Appetit ist der „Warner“, die „erste Empfindung des Bedürfnisses nach Nahrung“, das sich, noch bevor der Hunger das Individuum bedrängt, „durch etwas Mattigkeit im Magen und ein leises Gefühl der Müdigkeit“ ankündigt.75 Unsere gewöhnliche Erfahrung, wenn der Hunger bei uns einsetzt und wir im Begriff sind, zu essen, ist jedoch die des Begehrens. Wir wollen uns nicht einfach den Magen füllen oder die für unseren Organismus notwendigen Nährstoffe beschaffen, sondern wir wollen eine Nahrung, die uns Vergnügen bereitet. Darum unterscheidet Brillat-Savarin die Gourmandise von der Völlerei oder der Gefräßigkeit.76
Wer zu viel isst, die Nahrung hinunterschlingt, bis ihm schlecht wird, oder sich betrinkt, kann weder richtig essen noch richtig trinken. Er genießt die Nahrung nicht, er verschlingt sie. Er nimmt sich nicht die Zeit, sie zu kosten, ihr elementales Wesen aufblühen zu lassen, indem er die Rundheit der Kirsche bewundert, die Farbe des Weins wertschätzt, die Harmonie der Farben in einer Essenskreation wahrnimmt und sich das Fleisch des Seitan auf der Zunge zergehen lässt, nachdem er es zerkleinert hat. Genauso wenig weiß er, wie wichtig bei einer Mahlzeit die Atmosphäre ist, die Stimmung, die durch die Anwesenheit der Tischgenossen geschaffen wird, die per definitionem diejenigen sind, mit denen man isst. Wenn es jedoch einen Sinn hat, die Gourmandise zur Tugend zu erheben, dann, weil sie das Vergnügen am Geschmack mit der Geselligkeit verbindet.77 Die Mahlzeit drückt dieses Teilen der Nahrung aus, das nicht einfach ein Teilen von Gütern ist, sondern eine Verbundenheit ausdrückt: Frauen und Männer versammeln sich um denselben Tisch, um mit den anderen ihre Beziehung zur Welt in dem zu erfahren, was an ihr zugleich das Ursprünglichste und das Raffinierteste ist, diesen ganz besonderen Moment, der alle Arten von Intrigen oder Geschäften ebenso begünstigt wie die Verführung.
Die Gourmandise, die im Englischen, Deutschen oder Lateinischen keine echte Entsprechung hat – man darf sie nicht mit dem verwechseln, was man unter gluttony, Völlerei oder gula versteht – und die, wie Brillat-Savarin sich rühmte, wie die Koketterie französischen Ursprungs zu sein scheint,78 ist eine Lebenskunst und also auch eine Kunst, mit den anderen zu leben. Sie ist eine „leidenschaftliche, überlegte und gewohnheitsgemässe Vorliebe für die Gegenstände, welche dem Geschmack schmeicheln“.79 Wir müssen essen, aber wir wollen auch gut essen, also den Speisen Geschmack verleihen. Man muss essen, aber das Gute und das Böse werden auch gegessen.80 Denn man darf die anderen Menschen und die anderen Lebewesen nicht zu einem elenden Leben verdammen. Wir werden das sehen, wenn wir auf die politischen Konsequenzen zu sprechen kommen, die unser Lebensstil und unsere Ernährungsgewohnheiten haben, und wenn wir den ethischen Sinn aufdecken, der dem Akt des Sich-Nährens innewohnt. Denn die Ethik ist keine eigenständige Disziplin, die zum Alltagsleben, zur Ökonomie und zur Kultur hinzukäme und diesen eine Seele verleihen oder ihnen als Alibi dienen würde. Vielmehr ist sie ins Herz einer Ontologie eingeschrieben, die im Verlauf der Ausarbeitung dieser Phänomenologie der Nahrung deutlich werden wird. Wir beginnen damit, den Geschmack der Nahrung zu erkunden, indem wir ihn der Fadheit gegenüberstellen.
Die Menschen, schreibt Lévi-Strauss, mussten in ihrer Existenz als nahrungsbedürftige Wesen zwei Gefahren begegnen: „dem Mangel an Nahrung und deren Fadheit. Denn es reicht nicht, genug zu essen. Man darf, wie das französische Sprichwort so schön sagt, ‚nicht den Geschmack am Brot verlieren – il faut ne pas perdre le goût du pain’.“81 Das Kochen ist die Kunst, vollständige Gerichte zu komponieren, die unserem Körper liefern, was er braucht, und auch unser Verlangen stillen, das im Vergnügen besteht, unsere Lust am Leben wachzuhalten und anzuregen. Es wäre also nicht übertrieben, aus der Gastronomie eine Wissenschaft zu machen – wie Brillat-Savarin es wollte.82
Dieser gibt seinem Hauptwerk den eloquenten Untertitel Physiologische Anleitung zum Studium der Tafelgenüsse und betrachtet Gastérea als die zehnte Muse.83 Das Kochen ist eine Technik, ein Know-how, eine Wissenschaft, die Kenntnisse sowohl in Chemie wie in Diätetik verlangt – und zugleich eine Kunst, die sich auf Formen versteht, auf sinnliche Eigenschaften, auf die aisthesis, von der sich das Wort Ästhetik ableitet. Die Trennung zwischen den minderen Künsten, zu denen wir gewöhnlich das Kochen zählen, und den schönen Künsten ist hinfällig, wenn wir verstanden haben, was der Geschmack ist: Weil er auf unsere Sinneswahrnehmungen verweist und an all unsere Sinne in ihrer Totalität appelliert, ist er es, in dem sich der Übergang vom Physiologischen zum Mentalen, vom Biologischen zum Sozialen, vom egoistischen Selbsterhaltungsbedürfnis zur Geselligkeit, ja zum Eros vollzieht.
Statt jedoch den Weg eines Lobs der Küche und ihrer Muse, der Gastronomie, weiter zu gehen – der Gastronomie, die „die Genüsse des Geschmackes“ pflegt und die „die Weltherrschaft beanspruchen“ könnte, „denn die Welt ist nichts ohne das Leben und alles was lebt, nährt sich“ – wollen wir die Analyse des Geschmacks vertiefen und darauf beharren, dass er die gelebte Erfahrung in ihrer Gesamtheit widerspiegelt.84 Diese allumfassende Bedeutung des Geschmacks, die auch die enge Verbindung zwischen dem Appetit und dem Wunsch zu leben zeigt, manifestiert sich nicht zuletzt darin, wie wir uns ausdrücken: Es wimmelt von kulinarischen Metaphern, wenn wir gestehen, dass das Leben fade ist, dass man eine Beziehung würzen muss, dass das Salz des Lebens dessen ganzen Zauber ausmacht und eine Strafe bitter ist.85 Ein weiterer Grund also, vom Kochen als der kulinarischen Kunst zu sprechen.86
Gut essen heißt gut leben, und es braucht Kunstfertigkeit, um es so weit zu bringen. Das ist es, was man das Savoir-vivre nennt. Dennoch verweisen die Künste der Tafel nicht nur auf die Kunst des Savoir-vivre, die oft mit einem elitären Hintergedanken verbunden ist.87 Dieser ist denen gegenüber diskriminierend, die keine guten Manieren beherrschen, die also nicht die Manieren der herrschenden Klasse haben, die die Kriterien des Geschmacks festlegt. Lässt man diese soziologischen Erwägungen im Hintergrund und berücksichtigt stattdessen das Verhältnis zur Welt der Nahrung, zur aisthesis, das die erste, intime oder archaische Ebene darstellt, auf die sich unsere Tischmanieren beziehen, dann zeugt das Essverhalten nicht mehr (nur) von einer Zweiteilung des sozialen Lebens in Bourgeoisie und einfaches Volk.
Gewiss bringen das Bestehen auf Qualität, die Gastrosophie und die Ästhetisierung der Existenz einerseits und die Präferenz für gehaltvolle Nahrung sowie die Vorliebe für Quantität andererseits eine Trennlinie hervor, entlang derer sich die in intellektuellen Berufen tätigen Angehörigen der oberen Mittelschicht einerseits und die ganze Palette der unteren Schichten andererseits verorten lassen.88 Der Geschmack kann sich, wie Pierre Bourdieu gezeigt hat, „gegenüber den übrigen Dimensionen des umfassenden Verhältnisses zur Welt nicht verselbstständigen, zu den anderen Menschen wie zum eigenen Körper, worin sich die einer jeden Klasse spezifische praktische Philosophie erfüllt“.89 Desgleichen ist auch das Benehmen, das sich auf die Tischmanieren, auf die Körperpflege und auf die Kleidung erstreckt, ein „soziales Produkt“, das Gewohnheiten formt, die ebenfalls auf eine Art Einverleibung verweisen, durch die Kultur zu Natur geworden ist.90 Das ändert jedoch nichts daran, dass sich unter dieser sozialen Schicht oder durch sie auch die Beziehung eines jeden zum Leben oder vielmehr zur Lust am Leben ausdrückt.
Savoir vivre, zu leben verstehen, heißt auch, Lust haben, zu leben, heißt, zu leben und daran Vergnügen zu finden. Und zwar ohne dass der Zugang zum Genuss durch Bedürftigkeit oder durch eine Art Amputation der Sinne versperrt wäre, die diese auf die lebensnotwendigen Vitalfunktionen beschränkt oder ihnen eine künstliche Ordnung aufzwingt, die vom Imperativ der Schlankheit, der Arbeit oder den vielen Verpflichtungen eines Lebens, in dem man niemals Zeit hat, reglementiert wird. Das Gut-Leben spiegelt sich mit Sicherheit im Gut-Essen.
Eine solche Behauptung lässt nicht nur diejenigen glaubwürdig erscheinen, die das Kochen in den Rang einer Kunst erheben wollen. Jenseits der Versuchung eines elitären Hedonismus – bei dem man sich, wie Brillat-Savarin empfiehlt, „der gastronomischen Probirschüsseln“ bedient, um die Bonvivants, die man gerne als Freunden haben möchte, von den Langweilern, den Traurigen und den Mageren zu unterscheiden – fordert diese Verbindung zwischen dem Appetit und dem Geschmack am Leben, zwischen dem Essverhalten und dem Savoir-vivre im Sinne eines Zu-genießen-Wissens, dazu auf, sich über den Stellenwert des Geschmacks in der Erziehung und der Kultur Gedanken zu machen.91 Wie bei Bourdieu bleiben wir auf dem Gebiet des Sozialen, bevor wir uns mit den am eigenen Leib erfahrenen Störungen des Essverhaltens, wie der Anorexie oder der Bulimie, befassen. Es ist jedoch weniger der soziale Determinismus als die Beziehung der Menschen zu ihrem Körper, zu den anderen und zur Welt, die wir zu beschreiben versuchen, indem wir das Essverhalten analysieren. Wir wollen das existenzielle und ontologische Unbehagen verstehen, das der in unserer Zeit auftretenden Tendenz zugrunde liegt, das Essen auf Nahrungszufuhr zu reduzieren.
Keiner wird bestreiten, dass zu essen – gut zu essen –, wenn man Appetit und Muße hat, eine gute Mahlzeit mit seinen Freunden zu teilen, ohne befürchten zu müssen, dass man zu kurz kommt oder zu dick wird, bereits der Beweis für ein gutes Leben ist. Das Individuum erfreut sich dann eines Gleichgewichts und einer Gesundheit, die keineswegs die Regel sind, wenn man an die etwa drei Milliarden unter Hunger oder Mangelernährung leidenden Menschen denkt oder daran, dass immer mehr Bewohner reicher Länder übergewichtig sind, wenn sie nicht zu jener nicht unbeträchtlichen Minderheit von Personen gehören, die ständig eine Diät befolgen oder unter Störungen ihres Essverhaltens leiden. Ein ausgeglichenes Verhältnis zur Nahrung ist so selten, dass man durchaus nach dem Verhältnis zu sich selbst und zur Welt fragen kann, welches in all diesen Störungen zum Ausdruck kommt.
Warum sind das Mittag- und das Abendessen – mit Ausnahme der besonderen Anlässe, dem Restaurantbesuch oder der Bankette, auf denen man ein Ereignis feiert – selten anderes als eine Nahrungsaufnahme, als ob die Mahlzeit nur mit etwas Besonderem zum Fest würde und nicht an sich schon ein Fest sein müsste? Ist eine solche Verstümmelung des Essensakts, wenn man vor dem Fernsehapparat knabbert oder im Büro ein Sandwich hinunterschlingt, symptomatisch für eine Amputation des Geschmacks, der auf seine rein physiologische Dimension reduziert wird?
Weit davon entfernt, das elementare Wesen der Dinge wachzurufen, hätten sich unsere Sinneswahrnehmungen dann selbst aus der Kategorie des Genusses herausgelöst und wären zur simplen Befriedigung eines Bedürfnisses geschrumpft, das als Leere oder als zu behebender Mangel empfunden wird. Essen würde bedeuten, eine Lücke zu füllen, ein Loch zu stopfen, das umso größer wird, als die Befriedigung lust- und freudlos bleibt und man unablässig etwas in sich hineinschaufeln muss, um Sättigung zu empfinden. Oder man würde die Nahrung wie einen Feind behandeln und sich des Essens enthalten. Es wäre ein Bedürfnis, das befriedigt werden müsste, aber es ließe uns Zeit verlieren, es wäre eine Falle, eine Notwendigkeit, die man leugnete, um stattdessen den Triumph eines Willens zu feiern, der imstande wäre, einen Körper, den man um seiner selbst willen nicht lieben kann, der aber, abgezehrt wie er ist, vor der Welt als Tadel und Mahnung ausgestellt wird, perfekt zu beherrschen. Essen hieße, seinen Hunger zu befriedigen oder zu überlisten, ohne Glücksgefühle und ohne den anderen. Was haben wir im Zuge dieses problematischen Verhältnisses, das wir in den reichen Ländern zur Nahrung unterhalten, verloren?
Auf diese Frage zu antworten, dass wir den Geschmack verloren haben, setzt voraus, dass wir uns daran erinnern, was über seine zentrale Stellung gesagt wurde: Nämlich, dass er die gelebte Erfahrung in ihrer Gesamtheit ausdrückt. Wir haben den Geschmack in den Alltagstätigkeiten verloren, weil wir den Kontakt mit der Welt als Nahrung verloren haben. Wir haben vergessen, dass die Welt Nahrung ist, weil wir uns vom Fühlen abgeschnitten haben und uns die Objekte der Welt vorstellen, indem wir sie handhaben, sie objektivieren. Wir vertrauen unseren Wahrnehmungen nicht mehr, sondern glauben, dass der Kopf der Ausgangspunkt unserer Erfahrung ist. Das ist die Bedeutung dieser oben erwähnten Amputation der Sinne.
Es geht nicht darum, den zügellosen Genuss zu propagieren, die ständige Ekstase, sondern darum, in seinen Körper hinabzusteigen, zum Berührungspunkt von Ich und Welt, um dieses Mit-den-Dingen-Sein zu erfassen, das, wie wir mit Blick auf das pathische Moments des Fühlens konstatiert haben, ein Mit-den-anderen-Sein ist. Dieser Weltverlust ist auch ein Verlust des Geschmacks der Welt und jener Würze, die die Existenz in allen alltäglichen Handlungen haben kann, die wir im Hier und Jetzt ausführen. Er schleudert uns aus uns hinaus und lässt uns in einem Gefühl von Verlassenheit zurück, das, im Gegensatz dazu, die Kunst oder die Betrachtung einer Landschaft abmildern können. Das heißt nicht, dass die Kunst ein Trost wäre, aber indem sie uns in die Immanenz zurückbringt, dorthin, wo wir die elementare Essenz der Welt befreien und uns lebendig fühlen können, gibt uns das Kunstwerk, wenn es unser Mit-der-Welt-Sein ausdrückt, etwas zurück, was die meiste Zeit fehlt, obwohl es sich um unsere tiefste Wirklichkeit handelt.
So von der Kunst zu sprechen und den existenziellen Charakter der Ästhetik zu betonen – die sich nicht wie bei Hegel auf eine Disziplin bezieht, sondern auf die Erforschung der Formen oder der sinnlichen Eigenschaften, von denen unsere Sinne sich nähren – heißt nicht, sie zu einer vom Leben abgeschnittenen Aktivität zu machen, die den sonntäglichen Zerstreuungen sowie snobistischen Gesprächen, die das kulturelle Niveau der anderen testen sollen, vorbehalten bleibt. Von der Kunst zu sprechen, indem man auf ihrer Wahrheit und dem Rang besteht, den sie in unserer Existenz einnimmt, heißt auch, darauf hinzudeuten, dass es keine abrupte Trennung zwischen Kunst und Leben und a forteriori auch nicht zwischen den minderen und den schönen Künsten gibt.
Nicht jedes hingeschmierte Gemälde ist ein Kunstwerk, wenn es nicht die Fähigkeit hat, durch Kommunikation auf der Ebene der aisthesis eine Welt entstehen zu lassen, die die anderen betrifft oder ihnen etwas Wesentliches offenbart. Umgekehrt geht es nicht darum, zu behaupten, dass die Malerei dasselbe ist wie die Kochkunst. Vielmehr sage ich, dass Malerei, Kochkunst und Schmuck insofern zur Kunst gehören, als sie, auf verschiedene Weise und auf der Ebene unserer elementaren Sinneswahrnehmungen, die Präsenz von Dingen mitteilen, deren Bewertung weniger eine Bewegung bezeichnet, die der Intentionalität entgeht, als eine neue Form von Intentionalität.
So, wie sich in der Ernährung die Umkehrbarkeit der Intentionalität ausdrückt, das Umschlagen von Konstituiertem in Konstituierendes, so „nährt“ mich das Kunstwerk derartig, dass der Individuationsakt, in dem ich das Gemälde entdecke und seine Schönheit beurteile, nur durch das Spiel der Formen entsteht. Diese wenden sich an mein Fühlen – in dem, was es an Persönlichstem, Intimsten und zugleich Universellstem hat – und führen zur Kommunikation und zur Mitteilung von Gefühlen, die sich in Worten ausdrücken, aber nicht erschöpfen können, das heißt zu einer Verbundenheit. Dieser im Geschmack bestehende doppelte Bezug auf den Körper und den Geist, den Gaumen und die Urteilskraft erklärt, dass man von irdischer und geistiger Nahrung sprechen kann. Mehr noch, er rechtfertigt die Annäherung der Kunst an die Kunst der Tafel, die vielleicht nie so gut konzipiert worden ist wie in der Teezeremonie.