Читать книгу Wovon wir leben - Corine Pelluchon - Страница 7
Einleitung
Оглавление„Am Anfang war der Hunger“, schreibt Levinas in Les Carnets de captivité1. Der Körper ist der Ausgangspunkt unserer Erfahrung. Er verwirft die Anmaßung des Bewusstseins, am Ursprung allen Sinns zu stehen und impliziert, dass wir die Materialität unserer Existenz in Rechnung stellen müssen. Denn der ursprüngliche und primitive Charakter des Hungers bedeutet, dass die Existenz nicht wesentlich als ein Projekt verstanden wird. Wir sind in eine sinnliche Welt getaucht, und diese wird nicht ausschließlich von Menschen bewohnt, ja nicht einmal ausschließlich von ihnen geprägt.
Es geht hier nicht um den Unterschied zwischen den Menschen und den anderen Lebewesen. Es reicht, den bei Merleau-Ponty so wichtigen Begriff des Verhaltens zu erwähnen, um an die heute wohlbekannten Anstrengungen der damaligen Philosophie, den anderen Arten einen moralischen Status zu geben, der sich radikal von dem der Dinge unterscheidet, zu erinnern und die Tiere nicht einfach als Wesen, die leben, sondern als andere Existenzen zu denken.2 Das Leben hat nicht mehr die ontologische Armut, auf die es der Mechanismus und alle Philosophien reduzierten, die die Freiheit als einen absoluten Beginn und ein Sich-Losreißen von der Natur zu begreifen suchten. Mit dieser Neubewertung des Lebens ging eine Berücksichtigung der Sensibilität einher, die als Empfänglichkeit für Schmerz und Lust verstanden wird, sowie eine Rehabilitierung des Sinnlichen, das nicht mehr nur als eine unklare Vorstellung verstanden wird. Die Idee der Welt selbst ist durch diese Phänomenologie des Lebendigen und durch die Arbeiten der Ethologen, die die Grenzen zwischen Natur und Kultur, Freiheit und Instinkt verschieben, bereichert worden.
Das ist eine theoretische Errungenschaft, aus der wir in der Praxis nicht alle Konsequenzen ziehen, wie die Gewalt zeigt, die in unseren Beziehungen zu den Tieren noch so präsent ist. Dabei gibt es eine Dimension der menschlichen Freiheit und auch der Ethik, die nicht ausreichend befragt worden ist. Es geht darum, dass meine Freiheit nicht nur in einer Welt und an der Natur ausgeübt wird, sondern dass ich mich in einer Umwelt befinde, die zugleich natürlich und künstlich ist, und in dieser aus Luft, Licht, Nahrungsmitteln, Arbeit und kulturellen Veranstaltungen bestehenden Umwelt lebe – mich also von ihr nähre. Die Körperlichkeit des Subjekts anzuerkennen, das „lebt von […]“, bedeutet, dass man das Gewicht auf die biologischen, sozialen und umweltbedingten Voraussetzungen der Existenz legt und den Menschen nicht mehr von der Natur trennt sowie den Dualismus Natur/Kultur überwindet.