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3.3 Erziehungsprobleme

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Der Wahrnehmung kommt innerhalb der Erziehung eine besondere Rolle zu. Tausch/Tausch haben anhand zahlreicher empirischer Untersuchungen nachgewiesen, dass sich Kinder entsprechend der ihnen entgegengebrachten und von ihnen wahrgenommenen Haltung entwickeln.

Eltern haben eine Vorbildfunktion. So wie das Verhalten der Eltern im Umgang mit ihnen und anderen wahrgenommen wird, wird es von Kindern auch internalisiert. „Viele Verhaltenselemente Verhaltensauffälliger sind über Identifikations- und Nachahmungsprozesse übernommen worden.“ (FENGLER/JANSEN, 195)

Dies ist ein automatisch und völlig unbewusst ablaufender Prozess. Wenn Eltern z. B. Ausländern mit Achtung und Respekt gegenübertreten und Bedürftigen hilfreich zur Seite stehen, werden diese Umgangsformen (zunächst, bevor der Einfluss anderer hinzukommt) als normal empfunden und in das Verhaltensrepertoire der Kinder aufgenommen. Ihnen wird prosoziales Verhalten vorgelebt, mit dem ihnen implizit vermittelt wird, dass die Würde eines Menschen nicht von seiner Nationalität oder seinen Fertigkeiten abhängt.

Lerntheoretisch kann man die Eltern auch als Modell bezeichnen, von denen die Kinder wesentliche Verhaltensweisen, aber auch Verhaltensstörungen, lernen.

„Auf der Basis konstitutioneller Gegebenheiten, deren Bedeutung nicht übersehen wird, führen Lernvorgänge in allen Altersphasen hauptsächlich nach den Prinzipien des klassischen Konditionierens, des operanten Konditionierens und des Imitations- oder Modell-Lernens zum Aufhau [Aufbau; die Verf.] und zur Modifikation von Verhaltensweisen.“ (MYSCHKER 1999, 157)

Eltern und/oder Erzieher, die im Umgang mit Kindern sehr bzw. zu streng sind, restriktiv durchgreifen und z. B. Schläge regelmäßig als pädagogisches Mittel einsetzen, suggerieren dem Kind:

1 Schlagen ist ein legitimes Instrument, um sich durchzusetzen.

2 Kinder sind weniger wert, denn sie dürfen - im Gegensatz zu Erwachsenen - geschlagen werden.

3 Kinder sind schlecht und unzulänglich, denn sie brauchen Schläge.

4 Alternative Problemlösungsstrategien gibt es nicht.

Durch amerikanische und deutsche Untersuchungen hat sich gezeigt, dass „Kinder und Jugendliche auf emotionale Kälte und Abneigung mit Angst, verminderter Selbstachtung, einer Beeinträchtigung des Selbstkonzeptes und verzögerter seelischer Reifung reagieren.“ (MYSCHKER 1999, 164) Liebe, Achtung, Verständnis, Einfühlungsvermögen sind in diesem Fall für die Kinder Lippenbekenntnisse der Eltern und bleiben Worte ohne Inhalt.

So kann man feststellen: „Erwachsene selbst sind häufig ... eine nicht versiegende Quelle des Lernens von unerwünschten aggressivem Verhalten für Kinder und Jugendliche.“ (TAUSCH/TAUSCH, 40) Dieser Tatsache sind sich viele Erwachsene offenbar nicht ausreichend bewusst.

Exkurs: Bei der permanent steigenden Anzahl von massiven Verhaltensauffälligkeiten fällt es zunehmend schwerer, von rein familiär begründeten Problemen zu sprechen.

„Man muss nämlich fragen, wessen Verhalten da im Grunde gestört ist und ob denn auffälliges Verhalten eines solchen Kindes nicht gerade ein gutes Zeichen dafür ist, dass das Kind eben noch nicht ganz aufgegeben hat, sondern sich noch dagegen wehrt, wie man mit ihm umgeht oder umgegangen ist.“ (MEHRINGER, 11)

Es muss deshalb vielmehr geprüft werden, ob es sich nicht um ein zentrales und gesellschaftlich bedingtes Phänomen handelt. Leistungsorientierung, Konsumgesellschaft, steigende Individualisierung und Emanzipation oder veränderte Familienstrukturen sind einige Schlagworte, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnten. Dies an dieser Stelle zu vertiefen, würde aber zu weit führen.

Festzuhalten bleibt jedoch: „Das Erleben und Verhalten von Personen wird bedeutsam beeinflusst und ändert sich dadurch, dass sie das Verhalten anderer Personen wahrnehmen.“ (TAUSCH/TAUSCH, 31) Dieses lässt drei wichtige Schlüsse für den Umgang und die pädagogische Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern zu:

1 Es wird deutlich, dass Kinder große Teile ihres Verhaltensrepertoires von ihren Bezugspersonen gelernt bzw. übernommen haben und Verhalten nicht ausschließlich genetisch bedingt ist. Daraus ergibt sich, dass auch verhaltensauffällige Kinder erziehungsfähig und im ganz besonderen Maße erziehungsbedürftig sind.

2 Es besteht die Möglichkeit, wünschenswerte Verhaltensmuster zu vermitteln, wenn der Pädagoge selbst eine Vorbild- oder Modellfunktion für das verhaltensauffällige Kind übernehmen kann. Allerdings setzt dies eine tragfähige Beziehung zwischen dem Pädagogen und dem Kind voraus.

3 Die Wahrnehmung des Kindes ist von zentraler Bedeutung. Nur die Wahrnehmung und Erfahrung neuer, alternativer Verhaltensstrategien kann das Kind befähigen, sein Verhaltensrepertoire angemessen zu erweitern. Allerdings muss hierbei berücksichtigt werden, dass die Wahrnehmung des Kindes selektiv ist, von seiner Persönlichkeit und seinem Selbstkonzept abhängt. Es kann nur das wahrnehmen, was es bisher gelernt hat. Zuneigung, Akzeptanz und Anerkennung von Erwachsenen sind ihm jedoch meist fremd und dadurch nicht annehmbar.

Diesen Teufelskreis zu unterbrechen, ist die wichtigste Aufgabe im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern. Deshalb kommt der Beziehungsarbeit bei der pädagogischen Förderung Verhaltensauffälliger große Bedeutung zu, ist aber, aufgrund der psychischen Situation der Betroffenen, ausgesprochen schwierig. Die Beziehungsgestaltung und -qualität (vgl. Kap. 5.2.3) stellt den zentralen Ansatzpunkt für die Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern dar.

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