Читать книгу Die Insel - Daniel Sternberg - Страница 13

V

Оглавление

Ausserhalb des Dorfes erstreckten sich weitläufige, saftiggrüne Wiesen, die den felsigen Grund fast vollständig bedeckten. Der Wind strich über die Gräser und wogte sie sanft hin und her, da und dort wuchsen Büsche und niedrige Bäume, die sich zu kleinen Gehölzen formierten. Leon folgte dem Pfad, der entlang eines Baches führte, in Richtung des Berges. Er war hellwach, obwohl er nicht gut geschlafen hatte. Sein Kopf fühlte sich ungewöhnlich klar an, gerade so, als wären die Windungen seines Gehirns während der Nacht von einer unsichtbaren Hand gereinigt worden. Vielleicht lag es daran, dass er wieder vollkommen nüchtern war, vielleicht lag es an der Luft, die ungewöhnlich scharf in seine Nase stieg. Auf jeden Fall hielt er sich nicht lange darüber auf, denn er sah zahlreiche Hasen und sogar ein paar Rehe, die unweit des Pfades, an etwas erhöhter Stelle, auf der Wiese grasten. Die Rehe hoben den Kopf, schauten zu ihm her, hielten die Nase in den Wind und grasten weiter, als wäre nichts geschehen. Leon blieb stehen und betrachtete die seltsamen Geschöpfe, denn es war das erste Mal, dass er ein so grosses Tier in freier Wildbahn erlebte. Als er sich näher heranschleichen wollte, trabten die Rehe gemächlich davon und liessen sich auf der nächsten Anhöhe nieder. Er schaute ihnen noch eine Weile zu, wandte sich ab und setzte seinen Weg fort, der jetzt über sanft ansteigende Hügel führte. Die Bäume wurden zahlreicher und höher, bis sie sich zu einem Wald verdichteten. Die Baumkronen über ihm schlossen sich zu einem undurchdringlichen Blätterdach, so dass nur noch wenig Licht bis auf den Grund des Waldes drang. Der Boden wurde von weitläufigen, rötlichen Moosteppichen überwuchert, da und dort wuchsen hohe, ausladende Farne. Das Moos bedeckte zudem einen grossen Teil der Baumstämme, zwischen denen sich der Pfad hindurchschlängelte. Eichhörnchen kletterten um die Wette, und in den Baumkronen, die hoch über seinem Kopf schwebten, zwitscherten unsichtbare Vögel. Gelegentlich verliess er den Pfad und ging zum Bach hinüber, der noch immer in der Nähe des Pfades verlief, um zu trinken. Am Ufer des Baches wuchsen zahlreiche Brombeersträucher, so dass er beschloss, ein bescheidenes Frühstück einzunehmen. Als er sich die erste Beere in den Mund steckte, knackte ganz in der Nähe ein Ast, und dann noch einer. Vorsichtig schob er die Zweige des Strauches beiseite und entdeckte ein Wildschwein, das nur ein paar Armlängen von ihm entfernt im Gebüsch stand und ihn mit seinen kleinen, gläsernen Augen anstarrte. Er schluckte, und sein Herz begann, schneller zu schlagen. Er wagte es nicht, sich zu rühren, denn das Tier war ungewöhnlich gross, seine Hauer lang und scharf. In jenem Sommer, in dem er auf den Feldern vor der Stadt gearbeitet hatte, waren gelegentlich Wildschweine aufgetaucht und hatten den Boden umgepflügt, so dass die Arbeiter vor dem angriffslustigen Verhalten, das diese Tiere an den Tag legen konnten, gewarnt worden waren. Damals war er nie einem solchen Tier begegnet, während des ganzen Sommers nicht, aber jetzt war die Stunde gekommen. Er stand wie angewurzelt auf dem moosigen Grund des Waldes und hielt den Atem an, und auch das Tier rührte sich nicht von der Stelle. Sie standen einander einfach nur gegenüber und sahen sich in die Augen. Leons Nacken versteifte sich, die Muskeln in seinen Beinen begannen, zu brennen, so dass er heilfroh war, als das Wildschwein auf einmal das Interesse verlor, einen Grunzer ausstiess, sich von ihm abwandte und im Gebüsch verschwand. Er atmete durch, wartete, bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte, beendete sein Frühstück und machte sich wieder auf den Weg. Nach einer guten Stunde lichtete sich der Wald. Das Blätterdach öffnete sich und gab den Blick frei auf den Berg, der aus der Nähe betrachtet noch viel höher erschien. Leon war ziemlich beeindruckt. Er hielt inne, legte den Kopf in den Nacken und schaute auf. Der Berg besass in der Tat eine fast vollkommene Kegelform und war gänzlich unbewachsen. Der nackte Fels schimmerte matt glänzend in der Sonne, die Oberfläche war von langen, tiefen Furchen durchzogen. Ganz oben verliefen die Furchen senkrecht nebeneinander, gegen unten verzweigten sie sich immer häufiger und gingen ineinander über - gerade so, als hätte der Berg einst bittere Tränen geweint.

Die Insel

Подняться наверх