Читать книгу Die Insel - Daniel Sternberg - Страница 7

IV

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Der Mann hiess Immanuel und war Fischer von Beruf. Er stand reglos im hölzernen Aufbau seines Bootes und sagte kein einziges Wort. Ganz im Gegensatz zum vergangenen Abend, an dem er doch noch ein wenig aus sich herausgekommen war und aus seinem Leben erzählt hatte. Seine Frau war früh verstorben, seine Söhne hatten ihn bald darauf verlassen und waren in die Stadt gezogen. Dass sie ihn nur selten besuchten, war ihm nur recht, denn er hatte ihnen nie verziehen, dass sie ihn einfach im Stich gelassen hatten. Er hatte mehrmals betont, dass er selber sein Heimatdorf niemals verlassen würde, nicht einmal dann, wenn der letzte Fisch gefangen sei. Das sei er seinen Vorfahren schuldig, hatte er gesagt, eher würde er sterben, als auf einem der grossen Kutter anzuheuern, die von der Stadt aus ins Meer stachen und ihre industrielle Fischerei betrieben. Er hatte erzählt, dass er vor einigen Jahren einen Verein gegründet hatte, der sich für die Interessen der kleinen Fischer einsetzte und ihnen eine Stimme gab, wenn es galt, bei der jährlichen Konferenz die Fangquoten auszuhandeln, dass der Verein aber leider wenig erfolgreich war. Er hatte sich gehörig ereifert, und mit jedem Bier, das ihm Leon bezahlt hatte, war sein Ärger grösser und seine Stimme lauter geworden. Er war aufgestanden, hatte mit den Armen gefuchtelt und mit der Faust auf den Tisch geschlagen, und zwar so heftig, dass Leon die leeren Gläser festhalten musste. Und jetzt stand er mit zerkniffenem Gesicht am Steuerruder, richtete den Blick geradeaus und schien seinen neuen Gehilfen überhaupt nicht zu beachten. Doch Leon bekümmerte dies wenig. Er lag bäuchlings auf dem Bug des Bootes und sog die frische Meeresluft in seine Lunge, während er die Gischt betrachtete, die den Rumpf des Bootes umspülte. Er fühlte sich ein wenig unbehaglich, wenn er sich vorstellte, dass unter ihm nur noch Wasser war. Doch glücklicherweise war das Meer an jenem Tag so glatt wie ein Spiegel, so dass er sich schnell an die neuen Umstände gewöhnte. Links und rechts von ihnen fuhren weitere Boote hinaus, entfernten sich langsam und strebten ihren eigenen Fangplätzen zu. Etwas weiter weg schwebten ein paar kleine, felsige Inseln auf dem Wasser, am Horizont war ein Tanker zu sehen, der immer kleiner wurde und schon fast hinter der Krümmung des Erdballs verschwunden war. Leon schaute dem Tanker nach, während er sich fragte, wohin ihn sein eigener Weg führen würde. Er war an den westlichen Rand des Kontinents gestossen, weiter würde er nicht kommen. Zwar mochte er das Dorf, in dem er gelandet war, ganz gut, doch länger als ein paar Wochen würde er trotzdem nicht bleiben. Zum Einen würde er nicht genug verdienen, zum Anderen würde er sich sicher bald langweilen. Doch die Aussicht, in die Stadt zurückzukehren, reizte ihn auch nicht besonders. Er seufzte, lauschte dem eintönig knatternden Motor des Bootes, schloss die Augen und beschloss, erst einmal abzuwarten, was ihm das Schicksal brachte.

Gegen neun Uhr erreichte das Boot eine Stelle, die zwischen zwei kleinen, unbewohnten Inseln lag. Immanuel drückte so lange auf den rostroten Knopf neben dem Steuerruder, bis der Motor mit einem Husten erstarb. Er verliess den Aufbau, öffnete eine Luke und nahm einen Plastikeimer heraus, der mit Köderfischen gefüllt war. Er nahm eine Angelrute zur Hand - er besass insgesamt fünf -, drehte an der Rolle und überprüfte, ob die Schnur reibungslos durch die Führungsringe lief. Dann befestigte er einen der Fische am Haken, hielt die Rute mit beiden Händen fest, liess den Köder einige Male über seinem Kopf kreisen und schleuderte ihn in einem hohen Bogen ins Meer hinaus. Schliesslich steckte er die Rute in die eigens dafür gefertigte Halterung an der Reling, betrachtete eine Weile den Punkt, an dem die Schnur ins Wasser tauchte, und schaute auf.

"Hast du mir zugeschaut?", fragte er und kniff seine Augen zusammen.

"Natürlich, ich..."

"Dann zeig, was du gelernt hast!"

Leon hob die zweite Angel auf, überprüfte sie, wie er es bei Immanuel gesehen hatte, befestigte den Köder am Haken, liess ihn über seinem Kopf kreisen und schleuderte ihn ins Meer hinaus. Der Köder flog sogar noch etwas weiter als derjenige, den Immanuel geworfen hatte.

"Zufrieden?", fragte er und schaute lächelnd auf den alten Fischer hinab.

"Nicht schlecht fürs Erste", brummte dieser und bückte sich nach der nächsten Angel, "aber der schwierige Teil kommt noch."

Immanuel sollte recht behalten. Nachdem sie eine Weile schweigend gewartet hatten, bog sich eine der Ruten nach unten. Immanuel sprang auf, packte die Rute und begann, an der Rolle zu kurbeln. Abwechlungsweise holte er Schnur ein und gab wieder etwas nach, während die Adern an seinem Hals deutlich hervortraten. Die Muskeln an seinen dünnen, sehnigen Armen spannten sich an, sein Kiefer bewegte sich verbissen hin und her. Überhaupt wirkte er auf einmal wie verwandelt, gerade so, als sei er erst jetzt so richtig erwacht. Als er den Fisch nahe genug an das Boot herangezogen hatte, rief er nach Leon und wies ihn an, ihm zu helfen. Leon packte die Stange, an deren Ende ein Haken befestigt war, und versuchte, den Fisch heranzuholen. Aber der Fisch leistete erbitterten Widerstand, so dass es ihm erst nach zahlreichen, vergeblichen Versuchen gelang, den Haken in dessen Flanke zu schlagen und ihn - zusammen mit Immanuel - an Bord zu ziehen. Immanuel nahm eine Keule zur Hand und schlug dem Fisch mit einem gezielten Schlag auf den Kopf, so dass sich dieser nicht mehr bewegte. Er öffnete eine Luke, unter der sich eine mit Eis gefüllte Kiste befand, schleifte den Fisch über das Deck und liess ihn in die Kiste plumpsen. Dann schloss er die Luke, wischte sich den Schweiss von der Stirn, setzte sich auf eine Kiste, brachte eine Flasche zum Vorschein und nahm einen grossen Schluck.

"Den hätte ich alleine nicht geschafft!", keuchte er und reichte Leon die Flasche, während er einen prüfenden Blick auf die anderen Ruten warf. Leon setzte sich zu ihm hin, nahm die Flasche dankbar entgegen und kostete den durchsichtigen Inhalt. Der Schnaps war so scharf, dass er nicht darum herum kam, das Gesicht zu verziehen, doch trank er jedesmal mit, wenn ihm Immanuel die Flasche reichte - einerseits wollte er den alten Mann nicht verärgern, andererseits genoss er die beruhigende Wirkung, die sich schon bald in seinem Körper ausbreitete. Und auch Immanuel taute zusehends auf. Seine Gesichtszüge entspannten sich, seine Augen wurden klarer und seine Zunge leichter. Er erzählte von seiner Kindheit, vom Dorf mit der stolzen Fischerflotte, vom Markt, der weit herum bekannt gewesen war, von den Frauen, die das Dorf bewohnt hatten und von der einen mit den lieblichen, roten Wangen, die er geheiratet hatte. Er schien es richtiggehend zu geniessen, dass ihm jemand zuhörte, doch hielt seine Hochstimmung nicht sehr lange an. Je weiter die Sonne in den Himmel stieg, desto kürzer wurden seine Geschichten. Je länger sie auf den nächsten Fang warten mussten, desto geringer wurde seine Begeisterung, und als er den mächtigen Kutter entdeckte, der gar nicht so weit entfernt an ihnen vorüberfuhr, war seine gute Laune endgültig verflogen.

"Diese verdammten Schweine!", zischte er, erhob sich von seiner Kiste und stellte sich an die Reling. "Sie haben ihre Arbeit erledigt. Ihre Kisten sind gefüllt, ihre Gier ist befriedigt. Wenn sie so weitermachen, gibt es hier bald nichts mehr zu fangen, dann müssen wir sehen, wo wir bleiben." Er krallte sich an der Reling fest, während er dem Kutter mit zornigen Augen hinterherschaute. "Und das Schlimmste ist, dass sie nicht auf uns hören! Es ist jedes Jahr dasselbe. Wir bringen unsere Anliegen vor und sie tun so, als ob sie uns verstünden. Sie versprechen, nächstes Jahr weniger zu fangen, aber am Ende verändert sich doch nichts. Am Ende sind wir doch wieder auf uns alleine gestellt, und die Fischereibehörde schaut dem Treiben tatenlos zu."

Leon sass etwas beschämt auf seiner Kiste, und da ihm auf die Worte des alten Mannes keine Erwiderung einfiel, zündete er sich eine Zigarette an. Immanuel nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche, die sich bereits zu zwei Dritteln geleert hatte, stellte sie wieder an die Reling und blickte zum Horizont, über dem ein paar Wolken erschienen waren. Die Unterseite der Wolken war flach und ihre Oberseite sah aus wie Blumenkohl, der langsam, aber stetig in den Himmel wuchs.

"So sind sie, diese verdammten Schweine", sagte er verächtlich und ohne den Blick von den Wolken zu lösen, "sie wollen immer alles haben, und wenn sie haben, was sie wollten, wollen sie noch mehr." Er musste husten, würgte irgendetwas hervor, spuckte ins Meer und fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung über den Mund. "Ich hoffe, dass sie eines Tages an ihrer eigenen Gier ersticken!"

Die Insel

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