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Als sie der Küste entgegenfuhren - sie hatten vergeblich auf einen weiteren Fang gewartet -, begann sich das Wasser im aufkommenden Wind zu kräuseln. Die Wolken erhoben sich rasch zu hohen Türmen, aus der Ferne rollten die ersten Donner heran. Immanuel war erneut in tiefes Schweigen versunken und stand wie versteinert am Steuerruder. Leon sass im Heck des Bootes und schaute gebannt auf die Wolken, die immer weiter in den Himmel stiegen. Als er noch klein war, hatte er die Gewitter geliebt, die in regelmässigen Abständen über die Stadt gefegt waren. Er hatte stundenlang am Fenster gesessen und beobachtet, wie die Blitze durch den Himmel gezuckt waren. Aber jetzt, auf hoher See, wurde ihm doch etwas mulmig zumute - zumal das Licht seine Schärfe verloren hatte und die Welt in ein unbestimmtes Grau hüllte. Die Wolken schoben sich über das Boot, während die ersten, schweren Regentropfen auf das Deck klatschten. Leon gesellte sich zu Immanuel in den Aufbau, bald darauf goss es wie aus Kübeln. In der Ferne zuckten Blitze durch das Dämmerlicht, die Wellen wurden höher und schlugen mit zunehmender Wucht gegen den Rumpf des Bootes.

"Ich muss die Sturmlampe einschalten!", rief Immanuel unvermittelt, "kannst du das Ruder für einen Moment übernehmen?"

"Die Sturmlampe?", rief Leon zurück.

"Die Sturmlampe!", bestätigte Immanuel und deutete nach oben, worauf ihm Leon verwundert in die Augen sah.

"Du willst aufs Dach klettern?"

"Mir bleibt wohl nichts anderes übrig!"

"Lass mich das machen!", rief Leon und wartete Immanuels Einwand gar nicht erst ab. Obwohl das Boot bedrohlich hin- und herwankte, gelang es ihm, auf das Dach des Aufbaus zu klettern. Er fand die Lampe, die an einem kurzen Mast befestigt war, betätigte den Schalter und schaute zu, wie das Licht aufglomm. Dann ging alles sehr schnell. Er hörte ein Rauschen, schaute sich um und sah eine gischtspeiende Wand, die auf ihn zurollte. Er wollte sich ducken, um sich festzuhalten, aber die Welle hatte das Boot erreicht, bevor er das Gerüst des Daches zu fassen bekam. Er wurde mitgerissen, ins Meer gespült und nach unten gezogen. Er schluckte Wasser, tauchte wieder auf und schlug verzweifelt mit den Armen, während er immer wieder nach Immanuel rief. Er sah das Boot, das auf den Wellen tanzte und sich rasch von ihm entfernte, und er sah Immanuel, der vergeblich versuchte, das Boot in seine Richtung zu lenken. Er sah sein erschrockenes Gesicht und seine Lippen, die sich bewegten, aber er hörte nicht, was er ihm zurief. Es gelang ihm, sich auf eine Planke zu schieben, die neben ihm hertrieb, bevor eine weitere Welle über ihm zusammenbrach und ihn mitsamt der Planke nach unten drückte. Er tauchte auf, spuckte das Wasser aus, das er geschluckt hatte und krallte sich mit aller Kraft an die Planke. Das Boot entfernte sich immer weiter, schon bald war es aus seinem Sichtfeld verschwunden. Er starrte entsetzt auf die Stelle, an der er es zuletzt gesehen hatte, während die Wellen mit unverminderter Heftigkeit über ihm zusammenbrachen. Immer wieder rief er Immanuels Namen, doch seine Rufe blieben unbeantwortet, so dass er sich irgendwann darauf konzentrierte, sich über Wasser zu halten. Er trieb hilflos dahin, wurde hin- und hergeworfen, tauchte unter und wieder auf, unter und wieder auf. Ihm war kalt. Er zitterte am ganzen Körper, während er sich verzweifelt an seiner Planke festhielt. Die Zeit rann dahin, ohne dass die Heftigkeit der Wellen nachliess, so dass er irgendwann überhaupt nicht mehr daran glaubte, dass der Sturm jemals ein Ende fände. Dennoch riss er sich zusammen und kämpfte weiter, aber er merkte, dass ihn seine Kräfte allmählich verliessen. Er fühlte, dass er schwächer wurde, grub seine Fingerkuppen in die Oberfläche der Planke und sandte stumme Gebete in den Himmel. Er glaubte zwar nicht an Gott, aber immerhin halfen ihm diese Gebete, seine Gedanken einigermassen beisammenzuhalten. Irgendwann sah er ein Fass, das gleich darauf von den Fluten verschluckt wurde, und im nächsten Moment war er sich nicht mehr sicher, ob er das Fass tatsächlich gesehen oder ob er sich nur eingebildet hatte, es zu sehen. Die Wellen um ihn herum verschwammen zu einem einzigen, tosenden Wirbel, während ihm die Kälte, die seinen Körper erfasst hatte, immer häufiger den Atem nahm. Seine Sinne begannen, zu schwinden, und die letzte Empfindung, an die er sich später erinnern sollte, war der salzige Geschmack, der seinen Mund ausfüllte.

Die Insel

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