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2. Grundrechtsverzicht

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Ein Eingriff gleich welcher Art liegt nicht vor, wenn der Grundrechtsberechtigte im konkreten Fall wirksam auf sein Grundrecht verzichtet hat. Während früher angenommen wurde, auf Grundrechte könne nicht verzichtet werden, wird heute differenziert argumentiert, weil der Verzicht auf die Ausübung eines Grundrechts als eine besondere Form des Freiheitsgebrauchs angesehen werden kann.[46]

Beispiel

M hat ihre Zusage erhalten, Richterin in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu werden. Bevor sie zur Richterin auf Probe ernannt werden kann, muss sie sich beim Amtsarzt untersuchen lassen. Dazu gehört u.a. eine Blutentnahme. M erklärt sich gegenüber dem Amtsarzt ausdrücklich einverstanden.

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Ob ein wirksamer Grundrechtsverzicht vorliegt, prüfen Sie in zwei Schritten: Im ersten Schritt prüfen Sie, ob der Grundrechtsberechtigte zur Disposition über das jeweilige Grundrecht befugt ist. Dabei ist zu differenzieren: Einige Grundrechte sind bereits nach ihrem Wortlaut ausdrücklich vom Willen des Grundrechtsberechtigten abhängig. Diese Grundrechte sind verzichtbar. So ergibt z.B. ein Umkehrschluss aus Art. 6 Abs. 3 GG, dass Kinder mit dem Willen der Erziehungsberechtigten von der Familie getrennt werden dürfen. Bei anderen Grundrechten bringt der Verfassungstext dagegen zum Ausdruck, dass ein Verzicht ausgeschlossen ist. Diese Grundrechte sind für den Berechtigten nicht disponibel. So sind gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG Abreden, die die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG einschränken oder zu behindern suchen, nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig. Im Übrigen müssen Sie bei jedem einzelnen Grundrecht prüfen, ob ein Verzicht auf die Ausübung des Grundrechts in Betracht kommt. Um dies herauszufinden, untersuchen Sie die Funktion des jeweiligen Grundrechts. In unserem Beispiel oben (Rn. 129) steht das Grundrecht der M auf körperliche Unversehrtheit in Rede. Bei ihm handelt es sich seiner Funktion nach um ein primär klassisches Freiheitsrecht, das auf die Abwehr staatlicher Eingriffe gerichtet und auf dessen Gewährleistung verzichtet werden kann.

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Eine generelle Grenze für die Abgabe eines wirksamen Grundrechtsverzichts ist stets dann erreicht, wenn der Menschenwürdegehalt des Berechtigten betroffen ist, weil die Menschenwürde nicht zur Disposition des Einzelnen steht (s.u. Rn. 182).

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Wenn und soweit der Grundrechtsberechtigte zur Disposition über das jeweilige Grundrecht befugt ist, gehen Sie im zweiten Schritt der Frage nach, ob eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung des Grundrechtsberechtigten vorliegt. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Auf jeden Fall muss eine eindeutige Erklärung vorliegen.[47] In unserem Beispiel oben (oben Rn. 129) hat sich M ausdrücklich mit der Blutentnahme einverstanden erklärt. Dies stellt eine eindeutige Erklärung dar; demnach liegt eine Verzichtserklärung vor. Die Verzichtserklärung muss außerdem wirksam abgegeben werden. Dies ist der Fall, wenn sie freiwillig erfolgt.[48] Daran fehlt es, wenn ohne den Verzicht gewichtige Nachteile entstehen.[49] In unserem Beispiel hat sich M freiwillig in diesem Sinne mit der Blutentnahme einverstanden erklärt. Der Freiwilligkeit steht nicht entgegen, dass vom (positiven) Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung die Ernennung der M als Richterin auf Probe abhängt. Durch die Pflicht, sich vor der Ernennung amtsärztlich untersuchen zu lassen, entsteht bei M kein faktischer Zwang, den Verzicht erklären zu müssen. Zweifel an der Freiwilligkeit des Verzichts wären daher unbegründet. Sollte die Ausübung eines Grundrechts mehreren Personen zustehen (z.B. denkbar bei Art. 13 GG), setzt eine wirksame Verzichtserklärung nach herrschender Meinung voraus, dass die Verzichtserklärung von allen Grundrechtsberechtigten abgegeben wird.[50]

JURIQ-Klausurtipp

Verwechseln Sie den Grundrechtsverzicht nicht mit einem Nichtgebrauch von Grundrechten. Ein Nichtgebrauch liegt vor, wenn der Berechtigte sein Grundrecht tatsächlich nicht ausübt. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Einzelner davon absieht, einem privatrechtlichen Verein beizutreten.

2. Teil GrundlagenB. Grundrechte als Freiheitsrechte in der Fallbearbeitung › IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Grundrechte

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