Читать книгу Freeport - Dankmar H. Isleib - Страница 10
VI
ОглавлениеDASS die beiden Bodyguards in Schwarz nichts sagten, ging mir allmählich auf den Keks. Alles, was ich hier sah, passte irgendwie nicht zusammen. Der ‚Schwebende‘ schickte mich „sofort“ nach Taipeh, von dort weiter nach Singapur. Das Dossier, das mir die beiden Stummen nach dem Besteigen der Maschine überreichten, bestätigte mich in meiner Annahme, dass mich der kleine Große mit irgendwelchen Kunsttransaktionen in Verbindung bringen wollte. Ominös, denn ich bin kein Experte dafür. Und jetzt, gerade im ›Le Freeport‹ angekommen, führte man mir die Leiche eines einst lebendigen Mannes vor, der nicht länger als ein, zwei Stunden tot sein konnte. Die Körperstarre hatte noch nicht eingesetzt. Fragen über Fragen:
– Wusste Folgmann, als er mich beauftragte, dass es hier eine Leiche geben wird? Seit unserem Zusammentreffen und meiner Ankunft im ›Le Freeport‹ waren rund vierzig Stunden vergangen!
– Wie kann ein Toter dort liegen, ohne dass man das im modernen Fort Knox, dem bestbewachten Tresor der Welt, nicht mitbekommt!? Millisekunden nach dem Ereignis hätten Hundertschaften von …
– Wo waren die Security-Leute des Freeports? Wer hat die Elektronik abgeschaltet. Es gab doch mindestens ein halbes Dutzend ausgeklügelter miteinander agierender Sicherheitssysteme?!
– Wie konnte der Mord also unbemerkt geblieben sein!?
– Die Tötung durch ‚Pfählen‘ war ein eindeutiger Ritualmord der Mafia! Welcher!? Es gibt unzählige mafiöse Gesellschaften auf der Erde! Mir war das Pfählen auf diese Art bisher nur von der albanischen Mafia bekannt!
– Wer wollte wem ein Zeichen geben?
– War das Zufall, dass wir hier den Toten fanden?
– Auch für die Schweigsamen neben mir!?
– Arbeiteten die nur für den ‚Schwebenden‘?
– Was wollte Folgmann wirklich von mir!?
Fragen über Fragen … Worauf hatte ich mich eingelassen? War meine Geldgier auch schon größer als mein Verstand? Doktor, du solltest höllisch aufpassen. Lass hier alles stehen und liegen, schnapp dir deine fünf Sachen und flieg wieder nach Hause. Gib dem Folgmann seine Kohle zurück und sag ihm ins Gesicht, dass er ein riesiges Arschloch ist! Anna und Fanny werden es dir danken.
…
»So, Freunde. Des Schweigens genug! Jetzt sollten wir mal eure Zungen lockern, was haltet ihr davon?«
Viel zu lange hatte ich mich auf das Spiel der beiden Asiaten eingelassen. Erstaunt blickten sie in zwei kleine, schwarze, übereinanderliegende Löcher meiner Derringer Double Tap. Das ist eine geniale flache, doppelschüssige Pistole im gewohnten Derringer-Style. Tatsächlich ist die Double Tap ein sehr leichtes Schießeisen. Sie besteht ganz aus Titanium, Kaliber 9 mm. Ich hatte die Waffe problemlos in meinem Gepäck mit nach Asien gebracht. Im Griffstück befinden sich zur Reserve zwei weitere Patronen, aber ich war mir sicher, dass ich die nicht brauchen würde. Reine Vorsichtsmaßnahme. Dachte ich noch bis vor wenigen Sekunden. Mit meiner Attacke hatte ich die beiden Profis – Angestellte des Freeports oder Folgmanns, der Mafia oder für wen auch immer sie arbeiten mochten – ins Schleudern gebracht. Sie starrten auf die kleine Derringer, als wäre sie ein schon schön funkelnder Rohdiamant, den sie gerne hätten. Klar, mit Teilen davon konnte ich dienen, auch wenn die Diamanten sich als Kugeln entpuppen würden – auf einen Toten mehr oder weniger kam es in dieser Situation auch nicht mehr an. Vermutlich würde in wenigen Minuten trotz des nicht automatisch ausgelösten Alarms die bestens ausgebildete und ihren Verstand benutzende Singapur-Police hier eintrudeln, mich festnehmen und dann hätte ich höchstens ein paar Wochen Zeit, mich auf die Vollstreckung des Todesurteils wegen Mordes an einem mir eigentlich unbekannten britischen Anwalt vorzubereiten.
Der eine Stumme, der Blonde mit dem kurzgeschorenen Irokesenschnitt, machte eine dumme Bewegung. Während ich meine Waffe auf seinen schwarzhaarigen Kollegen gerichtet hatte, ließ er sich blitzschnell auf die linke Seite fallen und rollte ab. Eine Bewegung, die jeder Profi sofort erkennt und richtig deutet. Während des Fallens zog er dabei eine SIG Sauer P320 X-FIVE und begann sofort auf mich zu schießen. Ich hatte mich mit einem Hechtsprung hinter einen Teil der übergroßen Metallskulptur gerettet. Bevor ich dort ankam, hatte sich rein versehentlich aus meiner Double Tap ein Schuss gelöst und dem Schwarzhaarigen ein unschönes Loch in seinen asiatischen Schädel gebohrt. Ich zählte. 18 oder 21 Schuss? Shit, die SIG hat zwei unterschiedliche Magazine! Ich hatte bei dem Blondschopf bessere Schießqualitäten erwartet. Als ich glaubte, sein Magazin wäre leer, kam ich leider zu früh aus meiner Deckung hervor. Verzählt. Die Skulptur bekam eine neue Gravur, ich einen Tinnitus – Metall auf Metall macht Lärm, wenn es nur Millimeter neben deinem Ohr mit hoher Geschwindigkeit einschlägt – und der Blonde mischte sein Blond mit Rot.
Mir war klar, dass ich nur sehr wenig Zeit haben würde, den Raum der Kunst zu verlassen. Wetten, dass mindestens einhundert Kameras die Szenerie, spätestens seit der erste Schuss fiel, eingefangen hatten? Automatismen, die einsetzen, selbst wenn die beiden Asiaten vor unserem Betreten des geheimnisvollen Raumes die Überwachung lahmgelegt haben sollten, was ohnehin für mich ein Mysterium war, das zu lösen ich nicht bereit war. Ich zerrte dem Blonden den Schlüssel des Tesla aus seiner Jacke und saß auch schon in dem E-Mobil. Die lautlose Power beförderte mich in wenigen Sekunden zu der Maschine. Den vor sich hindösenden Piloten überraschte ich mit den Worten:
»Los. Starten. Sofort. Holen Sie sich die Freigabe vom Tower!«
Er war folgsam und keine zwei Minuten später hatten wir die Starterlaubnis und rollten auf die Startbahn. Aus ungefähr 400 Meter Höhe konnte ich beim Überfliegen des Freeports viele blaue, sich in Kreisform bewegende Lichter erkennen. Es war höchste Zeit, Singapur den Rücken zu kehren …