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II

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FORT Knox war gestern, ging es mir durch den Kopf, als ich das futuristische Foyer des ›Le Freeport‹ in Singapur betrat. Die Lasernetze, die das Gebäude von innen nach innen, von innen nach außen und von außen nach innen, von oben nach unten, von unten nach oben bewachten, waren Sekunden vorher ausgeschaltet worden. Meine beiden Begleiter schienen Experten für den Freeport zu sein. Jedenfalls waren wir drin, schneller als man sich eine Zigarette anzündet.

Passcode und Fingerabdruck-Scan.

Wow!

Der Singapur Freeport ist eine riesige Schatzkammer mit dicken Stahlwänden und -türen. Vibrationsdetektoren machen das Ganze selbst für Meisterdiebe praktisch unknackbar. Gehörten meine Begleiter zum Team des Freeports? Wie kommt ein Mann wie der ‚Schwebende‘ an diese Typen? Eine sicher sauwertvolle auf Hochglanz polierte riesige Stahlskulptur dominiert die beeindruckende Lobby. „Käfig ohne Grenzen“ nennt der Künstler die etwa 40 Meter lange und 30 Tonnen schwere Wabenstruktur, eine spiegelnde Schleife, die sich durch den ganzen Raum zieht. Dahinter verbirgt sich der schönste Tresor der Welt …

Man hatte mich erst vor wenigen Stunden kontaktiert. Folgmann hatte mir sein Apartment in Taipeh zur Verfügung gestellt. Er wollte jedes Aufsehen vermeiden und lehnte ein Hotel für mich ab. Zwei Männer standen vor meiner Tür im 8. Stock eines eleganten Wohnpalastes in Wenshan, der bevorzugten Wohngegend der Wohlhabenden in der Hauptstadt Taiwans, sagten nichts und doch alles. Ich zog meinen Parka über, nahm meine – immer reisebereite – Segeltuchtasche im Vorübergehen im Flur des luxuriösen Apartments auf und ging mit ihnen.

Wortlos.

Die Motoren der Cessna Citation 750X liefen bereits, als wir – drei Männer in Schwarz – die Maschine, die auf dem internationalen Flughafen ›Taiwan Taoyuan‹ auf uns wartete, betraten. Fünf Stunden später – noch immer war zwischen den Männern und mir kein einziges Wort gefallen, nur Fotos gingen durch unsere Hände und die Asiaten warfen mir bedeutungsvolle Blicke zu – landeten wir auf dem ›Changi Airport‹ in Singapur. Eine ebenfalls schwarze Tesla-Limousine wartete an der Gangway. Man hatte es offensichtlich eilig. Ich warf mir meinen schmutzig-grünen Parka über die Schulter, die Reisetasche. Andere hätten bei 34° Lufttemperatur und 98 Prozent Luftfeuchtigkeit geschwitzt, aber mir machte das nichts aus. Das letzte halbe Jahr hatten wir, Anna, Fanny und ich, fast nur in den Tropen verbracht und uns zum Abschluss, damit wir uns wieder akklimatisieren konnten, auf Capri noch ein paar Tage in einem Wellness-Paradies gegönnt. Mein Body war fitter als der von Jessica Biel und Lucy Liu – okay, das sind tolle Frauen, mein Versehen, sorry –, ich meine Jake Gyllenhaal und Matthew McConaughey zusammen!

Noch immer unbeeindruckt saß ich im Fonds des lautlos agierenden Tesla. Es waren nur knapp 1.800 Meter bis zur 32 Changi North Crescent, denn der ›Le Freeport‹ steht in der Freihandelszone des Flughafens. Ein Hochsicherheitslager der Superlative für Kunst und Wertgegenstände jeglicher Art. Nachdem ich mich noch während des Fluges – in einer von Folgmann für mich gecharterten Maschine; man gönnt sich ja sonst nichts – von München nach Taipeh so gut es ging über meinen Auftraggeber und seine Vorlieben schlaugemacht hatte, ahnte ich schon in etwa, worum es sich bei seinem ominösen Auftrag handeln könnte. Allerdings war ich irritiert, dass er mir als Ziel der Reise Taipeh angab. Gab es dort ein Museum, eine Galerie von Weltrang, die ich nicht auf dem Schirm hatte?

Es konnte sich eigentlich nur um Kunst handeln. Die sammelte Folgmann wie blöd. Das war unter den Sammlern, die nicht auf ein Milliönchen mehr oder weniger achten müssen, weltweit bekannt.

Und nun das!

Mir kam es wieder in den Sinn: Vor etwa zwei Jahren hatte ich zufällig im österreichischen Fernsehen einen interessanten Bericht über die wenigen Freeports mit der Spezialisierung auf Einlagerungen in Richtung teurer Kunstartikel gesehen. Es sind weltweit nur ein paar Logistikanlagen, die eine fachgerechte Lagerung und Verwahrung von Kunstwerken jeder Art und anderen extrem wertvollen Objekten in hochmodernen, biometrisch gesicherten Räumen und Stahlkammern bieten. Das, was dahinter steckt, hatten sich die Erfinder der Freeports sehr clever ausgedacht. Für die Dauer der Nutzung eines ‚Lagers‘ in den Freeports fallen keine Mehrwertsteuer, keine Zollgebühren an. Zudem sind alle darin erbrachten Dienstleistungen steuerfrei. Die Kunstgegenstände werden an einem quasi neutralen Ort eingesperrt, aber nicht weggesperrt. Sie verstehen? Ominöse Firmen, die meist in Steueroasen angesiedelt sind, mieten ‚Lagerraum‘ an, die diese ominösen Firmen – also Briefkastenfirmen – dann an die eigentlichen Mieter untervermieten. Verträge, die keiner einsehen kann. Freeports dieser Gattung sind letztlich Museen im Niemandsland. Die Museumsbesucher? Anwälte, Treuhänder, Superreiche. Die Kunstwerke können in den Freeports komplett zoll- und steuerfrei gehandelt werden, aber auch an private und staatliche Museen weltweit ausgeliehen und ausgestellt werden, ohne dass die Eigentümer die steuer- und zolltechnischen Vorteile einbüßen. Genf, Singapur, Peking, London und Luxemburg. Da stehen die Dinger und ich nun mitten in einem. Wow!

Die Freeports sind aufregender als Schatzinseln und die tollsten Frauen der Welt zusammen.

Wenn man denn auf Kunst und Kohle steht.

In der Dokumentation im TV sagte der Professor, der das alles bis ins letzte Detail recherchiert hatte, dass diese Freeports die cleverste Erfindung seit der des Wagenrads, der Glühlampe und der einarmigen Banditen wären: Cargo Crime und organisierte Kriminalität – das sei die eigentliche Bedeutung derartiger Logistikzentren. Eben steuerfreie Luxusoasen für die Kunstschätze von Superreichen. So sicher wie Fort Knox. Hier lagern on top Gold, Diamanten, edle Weine. Alles anonym, versteht sich. Es gibt für die Nutzung der Safes in den Freeports ein Werk von Codes und Regelwerken. Kryptographie und Datensicherheit – das gewährleisten die IT-Gurus der Bluechip-Sammler, die in grauer Vorzeit mal ihr Vermögen als Investment-Banker gemacht hatten und nun im Handel von Kunst ihre Ultima Ratio sehen. Für Außenstehende und eventuelle Kontrolleure von Finanzbehörden undurchschaubar.

Das heutige Wirtschaftsleben wird von globalen Lieferketten geprägt. Waren werden weltweit gehandelt, transportiert und gelagert, täglich und rund um die Uhr, ohne Pause: Kunstwerke für Museen, Galerien, Auktionshäuser oder Sammler, Edelmetalle, Uhren, Schmuck, Diamanten, Dokumente und andere Luxuswaren. Sammler, Kunsthändler, doch mehr noch Investoren, Museen, Banken, Vermögensverwalter und Investmentfonds, nutzen die Freeports für ihre undurchsichtigen, um nicht zu sagen blitzblanksauberschmutzigen Geschäfte …

Was ich jetzt zu sehen bekam, war selbst für mich ein heftiger Anblick, so dass mir der Atem stockte und ich sehr, sehr tief durchatmen musste, ohne dass meine stillen Begleiter das bemerkten: Auf dem stark glänzenden, anthrazitfarbenen Marmorboden lag der mir – durch die während des Fluges gezeigten Fotos und das kurze Dossier – nun auch namentlich bekannte Anwalt. Dunkelblauer Maßanzug, Savile Row, London, hoch geknöpfte Weste, ehemals blütenweißes Hemd, orangefarbene Hermes-Seidenkrawatte, leicht gelockert, die Anzughose bis zu den Knöcheln heruntergezogen. Man hatte ihm einen angespitzten, circa dreißig Zentimeter dicken und etwa einen halben Meter langen Holzpfahl in den Hintern geschoben. Nein, deutlicher: mit einem Vorschlaghammer in den Arsch getrieben. Bis sein Becken zerplatzt war.

Peng.

Unfein.

Scheiße. Pisse, Blut, Knochensplitter und die Reste einer vermutlich ehemals blütenweißen Unterhose.

Ebenfalls von der Savile Row.

Ein Ritualmord.

Das macht die Camorra mit ihren schwulen Freunden. Also mit denen, die sie verraten. Die nennt man auf Sizilien „schwul“. Aber auch in feineren Kreisen in der Schweiz war das Pfählen in diesem Bereich des menschlichen Körpers ein Zeichen besonderer Liebe, wie auch die Japaner der Sub-Organisationen der Yakuza nicht abgeneigt waren und sind, ihren allerliebsten Feinden den besonderen Beweis ihrer Zuneigung auf diese Weise zuteilwerden zu lassen. Ich war damit zum ersten und – bis heute – einzigen Mal konfrontiert worden, als ich noch für das Münchener LKA arbeitete und wir einen Fall internationaler Kriminalität – Geldwäsche, was sonst – zu bearbeiten hatten. Undercover beobachtete ich über Monate einen Münchener Anwalt, der auffällig viele Kontakte zu einem Kollegen Abogado in Spanien hatte. Der war ein ganz übler Typ. Völlig unauffällig, zart, sanft, leise in seinem Auftreten, schütteres Haar, korrekte Manieren, überaus höflich und zuvorkommend. Ein Mensch, von dem man glaubte, dass der keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Für seinen Job angeblich angemessen, aber letztlich doch zu aufgedonnert gekleidet, um seriös zu sein. Manikürte Finger- und Fußnägel, schweres Parfüm und auf mich total durch den Wind und zerfahren, dauernervös und eigentlich unsicher wirkend. Dabei war er ein wahnsinnig raffinierter Geldverschieber. Kein Wunder: Gibraltar ist von Marbella, dem Hot-Spot der Schönen und manchmal auch wirklich Reichen, nicht weit entfernt. Briefkastenfirmen gibt es in Gibraltar mehr als Tauben, die ständig die Straßen vollkacken, und Berberaffen, die den Touristen die Handtaschen aus der Hand reißen, um Fressbares zu ergattern. Der spanische Jung-Abogado verstand sein Handwerk. Bis wir ihn eines Morgens in seinem Haus in Nueva Andalucia, einem eleganten Stadtteil von Marbella, fanden, meine spanischen Kollegen und ich. Herr Abogado hatte sich mit den Falschen angelegt. Albanische Mafia. Der Señor Abogado sah damals identisch aus wie der Herr im feinen Zwirn eines Londoner Maßschneiders …

Gefickt.

Eine Warnung. An wen? Für wen, gegen wen?

Mein Auftraggeber? War er …? Was lief da ab? Das Gespräch in München-Grünwald verlief schon recht merkwürdig.

Ja, er kam in den Salon geschwebt. Das Schweben war auch notwendig, denn rein körperlich betrachtet ist der Typ kaum etwas höher als mein guter Fanny. Ohne sein lächerliches, arrogantes Schweben wären Fanny und er sich glatt auf Augenhöhe begegnet.

Fast …

Fanny hatte ich bewusst mitgeschleppt, obwohl der gedanklich nicht ganz bei der Sache war … Lady Lola lockte laufend …

Seine Majestät, ‚Professor‘ Dr. Folgmann der Einzigartige, übersah den Kampfhund geflissentlich, obwohl …

»Fliegen Sie sofort, und ich meine sofort, nach Taipeh. Hier ist die Adresse, zu der Sie dort fahren. Warten Sie in der Wohnung. Sie werden abgeholt. Das organisiere ich alles. Ich muss wissen, und ich meine, ich muss wissen, was dort gelaufen ist! Man wird Ihnen die notwendigen Informationen zukommen lassen. Schätze, mit dem Vorschuss sind Sie zufrieden.«

Herablassend.

Selbst Fanny bemerkte das und ließ seinerseits seine Lefzen mindestens ebenso herablassend hängen und zudem einen feinen, nicht hörbaren Furz in dem Wohnmuseum stehen, als die nicht mal eine Minute dauernde Audienz durch das ängstliche Davonschweben des ‚Schwebenden‘ abrupt beendet wurde.

Angst vor Fanny oder vor der Sache, über die er mir nichts sagte?

Das war es dann mit meinem für mich unbefriedigenden Kurzbesuch beim König der deutschen Werbeagenturen.

Folgmann hatte den ersten Laden mit 22 Angestellten von seinem Vater übernommen und binnen weniger Jahre mit dem Geld seines Alten und viel Cleverness weitere 17 Agenturen dazugekauft. Seit einer Dekade war er der Größte der Werbeindustrie, zumindest weltweit in Deutschland. Und auch sonst kannte man ihn. Seine primitiven, aber durchaus die Massen ansprechenden Slogans waren Kult geworden und er zum Milliardär. Inzwischen arbeiteten über 7.000 Fuzzis der Sprüche und der optischen wie akustischen Verblendungen für ihn. Worldwide in Bavaria und angrenzenden Gemeinden auf verschiedenen Kontinenten.

Klar, nicht nur mit Werbung, auch mit dem Handel von Grundstücken und dem Ankauf und Verkauf von Kunst scheffelte Jacob Folgmann Geld. Mit einem prall gefüllten Portemonnaie lassen sich mittelmäßige Gemälde günstig erwerben und mit sensationellen Gewinnen an Neureiche in aller Welt verscherbeln. Man muss nur für einen wahnsinnigen Hype sorgen. Geht, wenn man, ja, wenn man ein paar clevere Werbestrategen hat, die den durchschnittlichen Künstler zur außergewöhnlichen und bahnbrechenden Kunstfigur seiner Epoche hochstilisieren. Dazu gekaufte Gutachter und Galerien, die einen Run auf das eigentlich mittelmäßige oder minderwertige Zeugs auslösen und die bemalten Leinwände in Holzrahmen zu wahren Ikonen der Kunst werden lassen. Kunst als reines Anlageobjekt. Dann kaufen neureiche Russen, noch neureichere Chinesen, Koreaner, Inder, immerreiche Drogenbarone und andere ahnungslose Parvenus ‚große Kunst‘. Mit zweifelhaft erworbenem Reichtum nun noch reicher werden … Kunst ist neben Drogen zu einem der lukrativsten Geschäfte geworden. Drei Professoren angesagter Kunstakademien, die etwas Geheimnisvolles in das Gemälde „Zum Hinteren Vorhang“ hineingeheimnissen, eine Expertise von den führenden Kunstexperten des alten Europas – gegen gute Kohle auf die Schnelle angefertigt, der arme Herr Professor Dr. Dr. Kunst möchte ja auch ein Stück vom großen Kuchen abhaben – und schon hat man ein paar Millionen verdient. Ein riesiger Markt, was man so hört und liest. Der Kunstmarkt. Und große Museen helfen dabei. Denn wenn sie den ‚Künstler‘ B.E. Schiss ausstellen, dann verdreifachen sich die aufgerufenen Preise unverzüglich. Offizieller Umsatz: um die 60 Milliarden Dollar pro Jahr. Nimmt man den Schwarzmarkt, oh, Pardon, den inoffiziellen dazu, kommen noch mal 140 Milliarden dazu. Der Kunstmarkt …

Also die Kunst, überwiegend aus Scheiße Gold zu machen.

Die neuen Alchemisten …

Das war mir bekannt … Und auch, dass Folgmann diesem Erfolgsprinzip mannhaft folgsam folgen sollte. Günstig kaufen, mit hohem Gewinn weiterverkaufen. Kapitalismus pur.

Ging es darum?

Gesagt hatte er mir nichts.

Armleuchter bleibt Armleuchter.

Während seine Empfangsschönheit meinen Kampfhund ganz lässig übersehen hatte, als ich des ‚Schwebenden‘ Villa betrat, verhielt er sich so wie die deutsche Mutti, als sie Putin im Kreml besuchte und der seinen zahmen Dackel ganz nonchalant neben ihr sitzen ließ: von Furcht und Ekel angewidert. Mutti. Und nun auch der ‚Schwebende‘? Vielleicht war deshalb sein Statement so kurz und für meine von mir geforderte Recherche unbefriedigend ausgefallen …

„Ich muss wissen, und ich meine, ich muss wissen!, was dort gelaufen ist!“

Dass ich scheinbar so gelassen vor der auf besondere Weise geschändeten Leiche stand, verdankte ich meinem unerbittlichen Trainingspensum während der letzten Monate. Härte war mein Programm. Meine über alles geliebte Anna hatte einen gestählten Körper verdient, kein lasches Ei, so wie mein Auftraggeber es definitiv war. Und da ›Le Freeport‹ über eine hervorragende Klimaanlage verfügte, bildete sich nicht einmal der Ansatz einer Schweißperle auf meiner Stirn. … Talkin’ ‘bout hard times / Lord those hard times / Who knows better than I? … (Sie sprechen über harte Zeiten / Gott, diese harten Zeiten / Wer weiß das besser als ich …?)

Ray Charles wollte sich mit „Hard Times“ in ein paar graue Zellen von mir eingraben.

Zu spät.

Sie waren längst da.

Freeport

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