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IX

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DER clevere und ausgesprochen smarte Baron Edward Landress fasste sich als Erster. Er erhob sich aus seinem Chesterfield-Bürostuhl. Identisch mit dem, der seit 1909 im Oval Office des Weißen Hauses in Washington steht und speziell für Präsident Taft designt worden war. Landress Stuhl hingegen kam von der britischen Traditionsfirma von Wilmowsky. Baron Landress Entscheidung für einen Chesterfield-Bürostuhl fiel an dem Tag, als sein Onkel ihn in die Kanzlei holte. Dieser besondere Stuhl bietet einen tiefen, ergonomischen Sitz, strahlt Vertrauen und Macht aus, stärkt das Selbstvertrauen und schafft ein positives Arbeitsklima. Da ihre viktorianische Villa einen Anstrich wie das Weiße Haus hatte und er sich präsidial fühlte, musste es genau dieser Stuhl sein. Er zog das dunkelblaue Jackett wieder über, betrachtete sich im Spiegel, rückte das seidene Einstecktüchlein zurecht, die weiß gepunktete übergroße schwarze Seidenfliege – sein Markenzeichen, ohne die ging er vermutlich nicht mal ins Bett! –, fuhr sich noch einmal durch das gegelte Haar. Dann ging er schnellen Schrittes, was seine Wichtigkeit betonen sollte, zu seinem Onkel Earl Byron-Blake Ashtenholm ins Büro:

»Komm mit. Wir sollten reden. Es hilft nichts. Vielleicht fällt uns was ein.«

Gemeinsam gingen sie zu Lady Abigail-Annabelle, die inzwischen die auf einem Sideboard stehenden drei Fernseher eingeschaltet hatte. Klar, sie waren in der kleinen, aber bedeutenden Kanzlei weltweit TV-technisch erstklassig vernetzt. Wenn man Geschäfte betreibt wie die ihren, musste man das sein. Und Abigail-Annabelle war in ihrem Team für die Kommunikation mit den Klienten zuständig. Auf einem der drei riesigen Bildschirme lief BBC-News. Auf dem zweiten hatte sie das staatliche TV-Programm von Singapur eingeschaltet, auf dem dritten Gerät lief CNN-News. Lady Abigail-Annabelle sah total verheult aus. Rot geränderte Augen, das dunkle, etwas zu auffällige Make-up, das ihre schwarzen Augen noch mehr betonte, komplett verwischt. Ein bizarres Clownsgesicht. Total traurig. Die junge Frau, keine Schönheit im klassischen Sinne, aber aufregend, interessant und dank ihrer überdurchschnittlichen Größe von 1,85 Meter optisch etwas Besonderes, schaute auf die unterschiedlichen Bilder der Bildschirme, ohne eigentlich etwas zu sehen.

»Nein, lasst mich in Ruhe. Ich kann nicht!«, kreischte Abigail die beiden Männer harsch an, als sie wortlos ihr Büro betraten. »Ich will auch nicht! Es muss etwas Schreckliches geschehen sein! Sowas! Wer macht sowas?!«

Der nächste Heulkrampf schüttelte ihren schlanken, wohlgeformten Körper. Das lindgrüne Kostüm war völlig derangiert, der ohnehin etwas zu kurze Rock bis zur Hüfte hochgerutscht. Ihr Schreibtisch war überfüllt von zerknüllten Papiertaschentüchern. Wie das futuristische Muster eines jungen Wilden, der auf der Art Basel Aufmerksamkeit erregen wollte, zierten diese ihren ansonsten leeren, übergroßen hellblauen Schreibtisch. Wölkchen am Anwaltshimmel? Ein jämmerlicher Anblick. Abigail-Annabelle …

Der Geschniegelte zupfte nervös an seiner übergroßen Fliege. Er stand auf seine Cousine, war sich jedoch bewusst, dass die familiären Verhältnisse Distanz erforderten. Sie tat ihm leid. Mehr oder minder, denn echte Gefühle konnte Edward nicht entwickeln. Irgendwie verstand er Abigail schon. Wenn auch vermutlich aus anderen Gründen. Der Anblick ihres Vaters mit dem riesigen Holzpflock im Hintern des zerplatzten Beckens hatte alle zu sehr geschockt. Und ihm ging der ‚Arsch auf Grundeis‘, wie man selbst in feinen Londoner Kreisen zu sagen pflegte, wenn etwas nicht so läuft, wie erhofft …

»Ich mache uns einen Tee, Annabelle. Okay?«

Earl Byron-Blake Ashtenholm war der Einzige in der Familie, der Annabelle zu Abigail-Annabelle sagte. Er drehte sich um, verließ das in Lindgrün gehaltene Büro seiner Nichte. Er kämpfte selbst noch immer mit dem Gedanken, dass ihn ein ähnliches Schicksal ereilen könnte, sah den Forstarbeiter vor sich, der den Baum schlug, dann den Baumstamm absägte und zuspitzte, der für ihn bestimmt sein würde … und konnte seinerseits den Anblick von Abigail-Annabelle nicht ertragen.

Als sie am Morgen in die Kanzlei kamen – sie ließen sich gemeinsam vom letzten Chauffeur des Großvaters, der auch schon seit gefühlten Jahrzehnten auf die Siebzig zuging, in dem betagten Rolls Royce Phantom II von ihrem Landsitz in die Stadt chauffieren – und ihre Computer anschalteten, hatten sie alle nur ein und dasselbe über den gesamten Bildschirm sich ausbreitende Foto: Duke Adam-Archie Ashtenholm III. mit heruntergelassener Hose und jeder Menge Holz im adligen Allerwertesten … Ein zerplatztes Becken, Blut, Exkremente, Erbrochenes. Und ein bis zur Unkenntlichkeit schmerzverzerrtes Gesicht. Dennoch – unverkennbar Duke Ashtenholm III. Seinen Bruder so zu sehen, wie die ihnen anonym zugespielte Aufnahme ihn zeigte, war auch für den Earl unerträglich. Bilder, die die drei nicht mehr aus ihren geldgierigen, verdorbenen, überheblichen Aristokraten-Schädeln bekommen würden.

Byron-Blake verließ Annabelles Büro und ging in die Teeküche. Kaum dort, musste auch er sich übergeben. So heftig, dass die halbe Küche seinen grün-braunen Auswurf ertragen musste. Kotze stinkt erbärmlich. Die Teezeremonie hatte zu warten. Gift und Galle. Das schlechte Gewissen! Die übergroße Angst … Jetzt fehlte ihm der Butler, der die Küche von dem Gestank befreite …

Der Earl raffte sich schließlich auf. Öffnete das Fenster, überlegte, ob er gleich rausspringen solle. Verwarf den Gedanken, da die Küche im Hochparterre lag und rund vier Meter bis zum Londoner Pflaster nicht ausreichen würden, um seinem Leben ein ihm angemessenes Ende zu setzen. Er wischte das Erbrochene mit einem Leinentuch soweit zur Seite, dass er den versprochenen Tee zubereiten konnte. Die britische Upperclass und ihr Tee. Katharina von Braganza hatte den Tee nach England gebracht. Queen Anne war es, die die noch heute von den Briten geschätzte Art des Teetrinkens eingeführt haben soll, und schon 1700 gab es in England rund 500 Teehäuser.

Byron-Blake gab ein paar lose Teeblätter in die vorgewärmte Kanne und übergoss die Blätter mit siedendem Wasser. Der Adel – wie auch das gemeine Volk in England – trinkt seinen Tee mit Milch, denn dadurch wird er milder. Die Frage, ob zuerst der Tee eingegossen wird oder die Milch, ist im Königreich eine Streitfrage zwischen den jeweiligen Anhängern der Prinzipien Milk-in-first (Mif) und Tea-in-first (Tif). Die Ashtenholms bevorzugten Mif, wie auch Queen Elisabeth II. Er stellte drei Sets auf das silberne Tablett, die silberne Kanne, die vorgewärmte Milch im silbernen Kännchen, die silbernen Teelöffel mit dem Wappen der Ashtenholms und ging gemessenen Schrittes wieder zu Annabelle in ihr Büro. Es waren zwanzig Minuten vergangen.

Als er die Tür öffnete, hätte er fast das Tablett fallenlassen. Annabelle hing in den Armen von Edward, der die Gunst der Stunde, ihren Kummer über den für sie völlig unverständlichen Verlust des Vaters, für sich ausgenutzt hatte. Beide seiner Hände hatten sich in eindeutiger Haltung in ihrem wundervollen, aber völlig entblößten Hintern quasi eingegraben. Byron-Blake hielt das in Anbetracht der Situation für völlig unangemessen, konnte aber auch Verständnis dafür aufbringen, denn Annabelle war ein interessantes Objekt, wenn, ja wenn nicht die direkte Verwandtschaft zu ihr wäre.

»Wir müssen reden, Annabelle, Edward. Es war dein Vorschlag, Neffe!« Mit einem lauten Geklirre ließ er das Tablett eher fallen, als dass er es auf dem edlen Pedestal-Schreibtisch mit Mahagoni und Satinholz abstellte. Dann goss er den Tee ein, Mif, und Annabelle erweiterte ihr Kunstwerk um ein weiteres zusammengeknülltes Papiertaschentuch auf dem blauen Gemäldeuntergrund.

»Was gibt es da zu reden, Byron! Mein Vater ist tot! Tot! Und so widerwärtig hingerichtet, dass mich der Gedanke daran erschaudern lässt, was er für Qualen erlitten haben muss! Dieses Bild werde ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen, niemals, versteht ihr mich überhaupt? Sagt ihr es mir: Was könnte der Grund dafür sein, dass ihn jemand dermaßen hasst, dass derjenige zu so einer Schandtat fähig ist?! Mein Vater war der tollste, der liebevollste und ehrlichste Mensch, den ich kenne … kannte! Und wie bringen wir es der Duchess bei … ?«

Byron-Blake und Edward sahen sich kurz in die Augen und dachten in dem Moment ziemlich das Gleiche:

Wenn die wüsste! Der Ausrutscher meines Bruders mit einer Bürgerlichen aus den Londoner Slums! Das hätte mir mit der Schlampe genauso passieren können. Ist es aber nicht. Nobel, dass er sie aufgenommen hat, ‚Lady Abigail‘ … Nur weil ihre Mutter auch Abigail heißt, muss man einen Bankert nicht gleich so nennen …

… Und dann noch die Duchess. Herrje, wie konnte das nur passieren, mein Bruder muss ein Vollidiot gewesen sein, obwohl, clever ist sie schon, die arrogante Ziege! Hat die auch das Foto, na ja, ich werde es ihr schicken…

Ach herrje! Dass ich nicht lache. Aber gut so. Die geile Abigail ist unser Aushängeschild. Und ich werde sie doch noch beglücken, gerade jetzt, wo sie ziemlich durch den Wind ist, braucht sie meine schützenden Hände – und nicht nur die! Sie hat einfach einen wundervollen …

Freeport

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