Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Bernd Heinrich, Dennis Bock - Страница 216

1. Entwicklung vor 1945

Оглавление

13

Die Entstehung des § 316a StGB geht auf einen der prominentesten Kriminalfälle des Dritten Reichs zurück. Dabei handelt es sich um eine Serie von Raubtaten gegen Kraftfahrer, die zwischen November 1934 und März 1938 von den Brüdern Max und Walter Götze auf den (Fern-)Straßen um Berlin verübt wurden. Während sich die Überfälle anfangs gegen die Insassen parkender Fahrzeuge richteten, nahmen die Brüder ab Mitte Juli 1935 auch fahrende Autos ins Visier, indem sie die Fahrer mittels Autofallen zum Stehenbleiben zwangen und ausraubten. Als Straßenhindernisse fungierten unter anderem abgeschlagene Bäume und quer über die Fahrbahn gespannte Drahtseile. Dieses neuartige Vorgehen sorgte auch auf politischer Führungsebene für große Empörung und Unbehagen.[64] Insbesondere der Autobahn kam nicht nur als nationalsozialistisches Prestigeprojekt,[65] sondern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten große Bedeutung zu. Die Motorisierung des Fahrzeugverkehrs war verbunden mit dem Vorhaben, die Autoindustrie als führenden Wirtschaftszweig zu etablieren und für spätere Kriegszwecke zu nutzen.[66] Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit auf den Straßen erschien dafür unabdingbar. Die absichtliche Gefährdung des Verkehrs stellte aus nationalsozialistischer Perspektive nicht nur einen direkten Angriff auf das „Werk des Führers“[67] und die NS-Wirtschaftspolitik dar, sondern wurde auch als ein Vergehen an der Volksgemeinschaft[68] betrachtet. Dementsprechend stark war das Verlangen nach harter Strafe, nachdem die Brüder Götze im Frühjahr 1938 festgenommen werden konnten. Hitler ließ Reichsjustizminister Gürtner am 20. Juni 1938 mitteilen, „daß es seiner Erwartung entspreche, wenn in dem Prozeß […] gegen beide Beschuldigte auf die Todesstrafe erkannt“ werde.[69] Zu diesem Zeitpunkt war die Hauptverhandlung bereits im Gange und stand vier Tage vor ihrem Abschluss. Die Umsetzung der Führeranordnung stieß jedoch aus anderen Gründen auf praktische Hindernisse. Walter Götze hatte im Zuge der Raubüberfälle zwei Morde verübt,[70] wodurch die Todesstrafe nach dem geltenden Recht zu erwarten war. Als „problematisch“ aus Sicht der NS-Führung erwies sich der Fall von Max Götze. Dieser hatte selbst keinen Mord begangen, eine Strafbarkeit kam folglich „nur“ wegen Raubs und Erpressung (§§ 249 ff. RStGB) und nach dem „Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933“[71] in Frage.[72] Keiner der genannten Straftatbestände garantierte sicher die politisch gewünschte Verurteilung zum Tode.[73]

14

Der Reformentwurf eines künftigen neuen Strafgesetzbuches sah eine „Vorschrift gegen Straßenraub mittels Autofallen“ zwar vor, diese war allerdings noch nicht in Kraft.[74] Gürtner schilderte Hitler die Situation am 21. Juni 1938 in einem „eiligen Bericht“ und schlug vor, das Gesetz sofort und mit rückwirkender Kraft auf den Weg zu bringen. Den von Gürtner beigefügten Gesetzentwurf unterzeichnete Hitler sodann am 22. Juni 1938, während er noch in seiner Sommerresidenz in Berchtesgaden verweilte.[75] Das weitere Gesetzgebungsverfahren fand in beschleunigter Form statt,[76] sodass das „Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938“[77] (Autofallengesetz) bereits am Tag darauf nicht als Novelle zum Strafgesetzbuch, sondern als Nebengesetz[78] im Reichsgesetzblatt verkündet werden konnte. Auf eine amtliche Gesetzesbegründung wurde verzichtet,[79] da man diese im Hinblick auf den offenkundigen Anlass für die Einsetzung der Vorschrift für entbehrlich hielt.[80] Der Gesetzestext bestimmte knapp: „Wer in räuberischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1936 in Kraft.“ Damit war die notwendige Rechtsgrundlage geschaffen, um den Fall Götze mit dem gewünschten Ergebnis abzuschließen.[81] Die Entstehung des Autofallengesetzes ist neben der Einführung des Gesetzes gegen erpresserischen Kindesraub,[82] der auf den Fall Giese zurückgeht,[83] eines der bekanntesten Beispiele nationalsozialistischer ad hoc-Gesetzgebung, die mit dem Ziel erfolgte, die Verhängung der Todesstrafe für einen bestimmten Einzelfall zu ermöglichen.

15

Dass ein singulärer Kriminalfall die Grundlage für die Verabschiedung des Autofallengesetzes war, änderte nichts an der Tatsache, dass der Tatbestand nach Art nationalsozialistischer Strafgesetzgebung gestaltet war.[84] In sprachlicher Hinsicht fällt diesbezüglich die knappe und wenig juristische Formulierung der Vorschrift auf. Nach zeitgenössischer Einschätzung war dies auf den Umstand zurückzuführen, dass „der Gesetzgeber in dem Gesetz nach einer eindrucksvollen Fassung gesucht hat, die in der Öffentlichkeit zu wirken geeignet sein sollte“.[85] Hierfür bediente man sich einer einfachen und prägnanten Sprache, die den volkstümlichen Charakter des Rechts unterstreichen sollte. Daneben gaben der sehr allgemein gehaltene Wortlaut der Norm sowie die Einführung des dem allgemeinen Sprachgebrauch unbekannten Begriffs der Autofalle dem Richter einen sehr weiten Auslegungsspielraum und machte es leicht, nach Maßgabe des „gesunden Volksempfindens“ zu entscheiden.[86] Die genannten Merkmale verkörperten das nationalsozialistische Verständnis einer neuen Rechtssprache. Dogmatisch lässt sich das Autofallengesetz dem Leitgedanken des Willensstrafrechts zuordnen,[87] wonach der „rechtsbrecherische schuldhafte Wille des Täters“[88] den Anknüpfungspunkt für dessen Strafbarkeit bildete. Gemäß dieser Vorstellung war der Täter „der Feind, den das Strafrecht zu bekämpfen und zu besiegen hatte.“[89] Kennzeichnend für das Willensstrafrecht war zudem die weite Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorfeld des eigentlichen Erfolgseintritts und eine zunehmende Aufhebung der Differenzierung zwischen Versuch und Vollendung.[90] So reichte es für eine Strafbarkeit nach dem Autofallengesetz aus, wenn die Autofalle gestellt war, unabhängig davon, ob es im Anschluss zum Raub kam oder nicht.[91] Deutlichstes Zeichen für die nationalsozialistische Prägung des Autofallengesetzes ist sicherlich die Missachtung des Rückwirkungsverbotes.[92]

16

In der Rspr. wurden vor allem die Auslegung des Begriffs der „Autofalle“ und die zeitliche Eingrenzung des Tatbestandes diskutiert.[93] Dabei wurde von den Gerichten einheitlich,[94] ganz i.S.d. offiziellen Vorstellungen, eine besonders weite Auslegung des Tatbestands vertreten.[95] Dies verdeutlicht auch die einzige Entscheidung des Reichsgerichts zum Autofallengesetz vom 3. Januar 1939,[96] nach der der Begriff der Autofalle auf nicht mechanische Hindernisse, das heißt Angriffe mittels List und Täuschung ausgedehnt wurde.[97] Die Frage nach dem Beginn der Strafbarkeit wurde ähnlich extensiv gehandhabt. Die Rspr. knüpfte hier, unabhängig von einer konkreten Gefährdung bereits an psychische Vorbereitungshandlungen an.[98]

Handbuch des Strafrechts

Подняться наверх