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4. Die Erpressung in den Reformentwürfen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik
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Schon bald nach dem Inkrafttreten des StGB setzte im Kaiserreich eine rege Reformdiskussion ein, die auch die Vorschriften der Erpressung umfasste. Schon der erste große Reformentwurf, der E 1909, sah eine Neuregelung der Erpressung in § 275 vor. Diese sollte als eine dem Raub subsidiäre Nötigungsvorschrift ausgestaltet werden. Voraussetzung der Erfüllung des Tatbestands war das Abnötigen eines Vermögensnachteils mit Gewalt oder Drohung in der Absicht, einen „unrechtmäßigen Gewinn“ zu erzielen. Eine Qualifikation für Fälle der räuberischen Erpressung war im E 1909 nicht vorgesehen.[27] Bewusst verzichtet wurde auf eine nähere Eingrenzung der „Drohung“, insbesondere auf die Abgrenzung von erlaubten und unerlaubten Drohungen, denn man glaubte, mit dem Merkmal der „Absicht unrechtmäßigen Gewinns“ insoweit die nicht strafwürdigen Fälle ausscheiden zu können.[28] Die Probleme dieses Ansatzes legte Mittermaier bereits ein Jahr später dar[29] und schlug vor, die Erpressung unter den Vorbehalt zu stellen, dass bei einer „nicht an sich rechtswidrigen Drohung“ die „Vermögensaufwendung nicht mehr eine den Verhältnissen angemessene Gegenleistung für die Abwendung des Zwanges sein [darf]“.[30]
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Einen entgegengesetzten Standpunkt nahm der Gegenentwurf 1911 ein. Dieser verlangte in § 320 ausdrücklich einen „dem Recht zuwiderlaufenden Vorteil“, um Situationen auszuscheiden, in denen der Täter Druck ausübt, um einen Vermögensvorteil zu erlangen, auf den er zwar keinen Anspruch hat, der aber gleichwohl als sozialüblich erachtet wurde, so z.B. wenn der Beleidigte die Rücknahme seiner Privatklage von der Zahlung einer „Geldbuße an die Armenkasse“ abhängig macht.[31]
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Der E 1913, der kriegsbedingt erst 1920 veröffentlicht wurde, nahm die Kritik an der Weite des E 1909 teilweise auf und verlangte in § 365 für die Erpressung – in der Drohungsvariante – entweder die Drohung mit einem „anderen rechtswidrigen Verhalten“ oder eine „Drohung, die den Gewohnheiten des redlichen Verkehrs widerspricht“. Ähnlich restriktiv war die Fassung in § 370 des E 1919, der bei der Drohung allein die Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen oder einer Strafanzeige bzw. „anderen Nachteilen für Ehre oder guten Ruf“ genügen ließ. Dass der Tatbestand auf diese Weise auf Fälle der Gewalt und auf die Chantage eingeengt worden wäre, wurde von den Entwurfsverfassern gesehen, doch stellten sich diese auf den Standpunkt, dass eine zu enge Tatbestandsfassung einer zu weiten gegenüber vorzugswürdig sei.[32]
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Die weiteren Bemühungen um eine Totalreform des Reichsstrafgesetzbuches begannen mit dem Entwurf Radbruch, der im Zeichen einer liberalen Neuordnung des Strafrechts stand und u.a. auf die Todesstrafe und eine Vielzahl von Sittlichkeitsdelikten verzichtete. Dieser Entwurf übernahm die enumerative Technik des E 1919 und ließ in § 298 für die Erpressung das Merkmal der „gefährlichen Drohung“ ausreichen. Diese wiederum wurde in § 11 Nr. 7 StGB-E als „Drohung mit Gewalt, mit einem Verbrechen oder Vergehen, mit einer Strafanzeige oder der Offenbarung einer Tatsache, die geeignet ist, den Ruf zu gefährden“ legal definiert. Der vom Reichskabinett schließlich dem Reichsrat zur Beratung vorgelegte E 1925 verwässerte zwar in vielerlei Hinsicht den liberalen Impetus des Radbruchschen Reformentwurfs, ließ jedoch die Vorschriften zur Erpressung unverändert.[33] Auch die Beratungen im Reichsrat, die in der Reichstagsvorlage des E 1927 gipfelten, führten lediglich zu redaktionellen Änderungen. Bemerkenswert an diesem Reformvorschlag war einerseits die sehr enge tatbestandliche Begrenzung der Erpressung, die ausdrücklich unter Hinweis auf die als misslich empfundene Arbeitskampfrechtsprechung des Reichsgerichts gewählt wurde.[34] Andererseits fällt das völlige Fehlen einer Strafvorschrift zur räuberischen Erpressung auf. Letztere war in den Entwürfen gegenüber dem Verbrechen des Raubes insoweit deutlich privilegiert.