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2. Die abweichende Ansicht in der Literatur

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Die in der Literatur (wohl) herrschende und im Ergebnis zutreffende Lehre verlangt hingegen bereits für den Grundtatbestand der (einfachen) Erpressung, § 253 StGB (und insoweit konsequent auch für die räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB), eine Vermögensverfügung des Genötigten.[98] Die Folge ist ein Exklusivitätsverhältnis von Raub und (räuberischer) Erpressung. Im Taxifahrerfall[99] verbleibt es, da hier eine Vermögensverfügung des Opfers nicht feststellbar ist, bei einer Strafbarkeit wegen Nötigung (und möglicherweise wegen Körperverletzungsdelikten).

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Hierfür sprechen in erster Linie systematische Gründe. Nur durch das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung kann nämlich eine überzeugende Abgrenzung zwischen Diebstahl und Raub (als Fremdschädigungsdelikte) einerseits und Erpressung und räuberischer Erpressung (als Selbstschädigungsdelikte) andererseits gefunden werden. Ohne diese tatbestandliche Eingrenzung verlöre die Erpressung jede tatbestandliche Struktur. Verlangt man für die (räuberische) Erpressung keine Vermögensverfügung würde sie gerade kein Selbstschädigungsdelikt darstellen. Vergleicht man aber die tatbestandliche Struktur der Erpressung mit derjenigen des Betruges, der nahezu ausnahmslos als Selbstschädigungsdelikt anerkannt ist, wird deutlich, dass diese Einordnung auch für die Erpressung angezeigt ist.[100] Beide Delikte fordern den Eintritt eines Vermögensnachteils und eine entsprechende Bereicherungsabsicht des Täters. Während dies beim Betrug durch einen täuschungsbedingten Irrtum des Opfers erreicht werden soll, steht bei der Erpressung die Nötigung mittels Gewalt oder Drohung im Mittelpunkt. Um aber den Betrug (als Selbstschädigungsdelikt) vom Diebstahl (als Fremdschädigungsdelikt) sauber abgrenzen zu können, verlangt man beim Betrug als Bindeglied zwischen dem Irrtum und dem Vermögensschaden die Vermögensverfügung (als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal). Eben diese ist auch für die (räuberische) Erpressung zu fordern, um ein Bindeglied zwischen der Nötigung und dem Vermögensnachteil herzustellen und eine entsprechend saubere Abgrenzung zum Raub zu gewährleisten. Das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung führt insoweit insgesamt zu einer sinnvollen und nachvollziehbaren Systematik der Eigentums- und Vermögensdelikte.[101]

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Als weiteres Argument gegen die Ansicht der Rechtsprechung kann angeführt werden, dass es bereits von der systematischen Stellung der Delikte her äußerst fraglich wäre, warum der Gesetzgeber den Spezialtatbestand (Raub) vor dem Grundtatbestand (Erpressung) regelt und bei den Rechtsfolgen des Grundtatbestandes auf den Spezialtatbestand verweist (denn über die Wendung „gleich einem Räuber zu bestrafen“ wird nicht nur auf den Strafrahmen des Raubes, sondern auch auf die Qualifikationen der §§ 250, 251 StGB verwiesen[102]). Da die Delikte auch denselben Strafrahmen aufweisen, wäre § 249 StGB zudem schlicht überflüssig.[103] Lediglich bei wertlosen Sachen, die von §§ 253, 255 StGB nicht erfasst werden, verbliebe dem § 249 StGB ein eigener Anwendungsbereich.[104] Gerade hieran sieht man aber, dass die Erpressung nicht Grundtatbestand des Raubes sein kann, denn von der Erpressung als Vermögensdelikt sind wertlose Sachen gerade nicht erfasst.

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Die fehlende Strafbarkeit nach §§ 249 ff. StGB in Fällen der vis absoluta, insbesondere bei der Wegnahme von Sachen, ist auch keine systemwidrige Zufälligkeit, sondern gerade eine Folge des gesetzgeberischen Konzepts, die reine Gebrauchsanmaßung ohne Zueignungsabsicht strafrechtlich zu privilegieren.[105] Daher respektiert nur diese Ansicht die Entscheidung des Gesetzgebers, der gerade fordert, eine gewaltsame Wegnahme ohne Zueignungsabsicht nicht der Raubstrafe zu unterwerfen.[106] Dem Gesetzgeber steht es aber frei, bestimmte Angriffe auf das Vermögen mit einer geringeren Strafe zu versehen oder straffrei zu lassen (dies folgt bereits aus dem Grundsatz des fragmentarischen Charakters des Strafrechts). Dagegen führt die Ansicht des BGH dazu, dass entgegen der Wertung des Gesetzgebers jede Vermögensschädigung, d.h. auch die grundsätzlich straflose Gebrauchsanmaßung (furtum usus) als (räuberische) Erpressung angesehen werden müsste, sofern sie mit (qualifizierten) Nötigungsmitteln herbeigeführt wird. Dadurch würden Tatbestände, wie der unbefugte Gebrauch eines Kraftfahrzeuges (§ 248b StGB) oder die Pfandkehr (§ 289 StGB) einen Großteil ihres Anwendungsbereiches verlieren,[107] was vom Gesetzgeber sicherlich nicht so gewollt sein kann. Schließlich würde jeder Diebstahl, der mit einfachen Nötigungsmitteln im Sinne der §§ 240, 253 StGB begangen würde, also gerade (noch) keinen Raub, § 249 StGB, darstellt, zugleich als Erpressung gewertet werden müssen, da der Täter das Opfer zur Duldung der Wegnahme nötigt. Dies aber würde zu vom Gesetzgeber kaum gewollten Divergenzen im Rahmen der Strafzumessung, z.B. bei gewerbsmäßigem Handeln führen, denn den gewerbsmäßig handelnden Dieb erwartet nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren, dem gewerbsmäßig handelnden Erpresser hingegen droht nach § 253 Abs. 4 StGB eine Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr.[108]

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Gegen das Argument, die vorliegend vertretene Ansicht würde zu einer vom Wortlaut her nicht angezeigten unterschiedlichen Auslegung der Nötigungsmittel in § 240 StGB einerseits und § 253 StGB andererseits führen und den mit vis absoluta handelnden Täter im Rahmen des § 253 StGB privilegieren, lässt sich einwenden, dass in den meisten Fällen der vis absoluta die Raubdelikte, §§ 249 ff. StGB, greifen und (in denjenigen wenigen Fällen, in denen dies nicht so ist) der Gesetzgeber diesbezüglich gerade eine bewusste Entscheidung in diese Richtung getroffen hat. Zudem ist es auch nicht zwingend, dass der mit vis absoluta vorgehende Täter die Rechtssphäre des Opfers in schwerwiegenderer Weise beeinträchtigt als der lediglich willensbeugende Täter.[109]

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