Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Bernd Heinrich, Dennis Bock - Страница 323
I. Grundstrukturen der Erpressungstatbestände
Оглавление31
Das Bemerkenswerte am Erpressungstatbestand ist, dass auch mehr als siebzig Jahre nach dem Inkrafttreten der gegenwärtigen Fassung der Erpressung (1943) und mehr als hundertsechzig Jahre nach dem Erlass der Vorgängervorschrift (1851) in Lehre und Rechtsprechung keine Einigkeit über seine tatbestandliche Struktur besteht. Im Wesentlichen dreht sich der Streit um die Frage, welche Funktion die Erpressungstatbestände im Rahmen der übrigen Eigentums- und Vermögensdelikte einnehmen und wie sie gegenüber diesen, insbesondere zum Raub, abzugrenzen sind. Zwar ist es unstreitig, dass es sich beim Grundtatbestand der Erpressung im Kern um ein Vermögensdelikt handelt,[77] welches auf eine Vermögensverschiebung gerichtet ist. Umstritten ist jedoch, ob es sich dabei um ein Selbstschädigungsdelikt handelt, welches voraussetzt, dass das genötigte Opfer eine (mehr oder weniger freiwillige) Vermögensverfügung vornimmt, oder ob auch Fälle der vis absoluta, z.B. in Form der Wegnahme von Vermögensgegenständen erfasst sind. Auf der Grundlage der zuletzt genannten Ansicht ergäben sich insbesondere Überschneidungen zum Raub, die in der Forderung gipfeln, die Erpressung als Grundtatbestand des Raubes anzusehen.[78]
32
Der Grundtatbestand der (einfachen) Erpressung ist in § 253 StGB geregelt. Der Täter muss beim Opfer durch ein besonderes Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) einen Nötigungserfolg erzielen (Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung). Diese Elemente sind identisch mit denjenigen der (einfachen) Nötigung, § 240 StGB, weswegen in der vorliegenden Abhandlung auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.[79] Die dortigen Probleme – insbesondere die Frage der Weite des Gewaltbegriffs[80] – tauchen auch hier in gleicher Weise wieder auf. Im Gegensatz zur Nötigung erfordert der Erpressungstatbestand jedoch ein besonderes Nötigungsziel, nämlich einen speziellen Vermögensbezug: Erforderlich ist, dass durch die Nötigung dem Vermögen des Genötigten (oder eines anderen) ein Nachteil zugefügt wurde. Hier sind Parallelen zur Vermögensbeschädigung beim Betrug, § 263 StGB, und dem Nachteil bei der Untreue, § 266 StGB, erkennbar. Da es sich bei der Erpressung jedoch um ein Vermögensverschiebungsdelikt handelt, ist die bloße Nachteilszufügung, wie bei § 266 StGB, nicht ausreichend. Der Täter muss vielmehr handeln, „um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern“. Die angestrebte Bereicherung ist also für die Vollendung der Tat nicht erforderlich, sie muss nur das Tatziel sein, es handelt sich insoweit um ein sog. „kupiertes Erfolgsdelikt“.
33
Die räuberische Erpressung, § 255 StGB, unterscheidet sich von der (einfachen) Erpressung, § 253 StGB, durch eine Verschärfung des Nötigungsmittels. Statt „Gewalt“ muss der Täter „Gewalt gegen eine Person“ anwenden bzw. statt „mit einem empfindlichen Übel“ muss der Täter „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ drohen. Diese Nötigungsmittel sind nun ihrerseits identisch mit denen des Raubes, § 249 StGB, weshalb sich gerade in dieser Konstellation die Abgrenzungsfrage von Raub und (räuberischer) Erpressung stellt. Flankierend existieren mit dem erpresserischen Menschenraub, § 239a StGB, und dem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer, § 316a StGB, noch zwei weitere Spezialtatbestände, die erpresserische Elemente enthalten, ebenfalls auf eine Vermögensverschiebung abzielen, aber an anderer Stelle näher erörtert werden.[81]