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2. Die Nötigungsmittel
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Der Täter muss gegenüber dem Opfer ein besonderes Nötigungsmittel zum Einsatz bringen. Das Gesetz nennt dabei in § 253 StGB die Nötigungsmittel „Gewalt“ oder „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Diese Elemente sind identisch mit denjenigen der (einfachen) Nötigung, § 240 StGB, weswegen an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.[112]
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Insbesondere die bei der Nötigung diskutierten Probleme der Weite des Gewaltbegriffs[113] tauchen auch bei der Erpressung in gleicher Weise wieder auf. Wer allerdings, wie hier, für das Vorliegen einer Erpressung in Abgrenzung zum Raub eine (freiwillige) Vermögensverfügung des Opfers verlangt,[114] muss vis absoluta als Nötigungsmittel ausschließen.[115] Als Tatmittel der Gewalt kommt also nur vis compulsiva in Betracht. Diese Frage stellt sich allerdings bei der einfachen Erpressung nicht, da vis absoluta ohnehin nur gegenüber „Personen“ eingesetzt werden kann und in diesem Fall dann nur die räuberische Erpressung einschlägig sein könnte.[116] Bei der einfachen Erpressung, § 253 StGB, kann daher Gewalt stets nur in Form der vis compulsiva und auch nur derart ausgeübt werden, dass sie, wie z.B. durch die Einwirkung auf Sachen, mittelbar gegen den Körper des Opfers wirkt.[117] Denn ein Wesenselement der Gewalt ist die physische (und nicht nur rein psychische) Zwangswirkung auf das Opfer.[118] Beispiele sind das Abdrehen von Strom, Heizung und Wasser[119] bzw. das Ausräumen einer Wohnung,[120] um den Mieter zum Auszug zu bewegen.[121] Eine Gegenansicht sieht in einer solchen mittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers, die mit einer körperlichen Zwangswirkung verbunden ist, aber bereits eine Auswirkung von Gewalt gegen eine Person selbst, sodass eine Gewalt durch die Einwirkung auf Sachen nie tatbestandmäßig sein kann (und höchstens eine konkludente Drohung darstellt).[122] Eine solche konkludente Drohung (und keine Gewalt) kann aber auch in denjenigen Fällen angenommen werden, in denen es an der physischen Zwangswirkung fehlt, wie z.B. beim Zerkratzen des Autos oder der Tötung lieb gewonnener Haustiere.[123] Der Einsatz besonders schwerwiegender Nötigungsmittel (Gewalt gegen eine Person, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) kann dagegen zu § 255 StGB führen.[124] Eine konkludente Drohung kann ferner auch darin liegen, dass ein von einem Dritten bereits zugefügtes Übel lediglich erneut ausgenutzt wird.[125]
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Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende einen Einfluss zu haben vorgibt.[126] Dabei ist zu beachten, dass sich die Drohung bei der einfachen Erpressung nicht auf eine Gefahr gegen Leib oder Leben des Opfers beziehen darf (sonst läge eine räuberische Erpressung vor). Es müssen also andere Rechtsgüter oder Interessen betroffen sein, wie z.B. die Freiheit, die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Auch die Drohung mit dem Verlust der Arbeitsstelle fällt hierunter.[127] Ferner kann auch die Ankündigung, jemanden durch eine Presseveröffentlichung bloß zu stellen und dadurch dessen Ruf zu schädigen, ein empfindliches Übel darstellen.[128] Auch die Zufügung seelischen Leids kann ein empfindliches Übel bedeuten.[129] Die Drohung kann dabei sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen.[130] Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz nicht allgemein von einem „Übel“, sondern von einem „empfindlichen Übel“ spricht. „Empfindlich“ ist ein Übel nur dann, wenn der angedrohte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren.[131] Dies ist dann nicht der Fall, wenn von dem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.[132] Die Drohung muss also geeignet sein, einen besonnenen Menschen in der konkreten Situation zu dem vom Täter verlangten Verhalten zu bestimmen.[133] Dies wird insbesondere bei der „Bedrohung“ von staatlichen Repräsentanten häufig nicht der Fall sein, wie z.B. in dem Fall, in dem einem Staatsanwalt angedroht wird, Beweismittel in einem Strafverfahren nur gegen Entgelt herauszugeben.[134]
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Fraglich ist, ob das angedrohte Übel auch in einem Unterlassen bestehen kann. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn den Betreffenden eine Verpflichtung zum Tun trifft.[135] Dies ist z.B. dann der Fall, wenn dem Opfer angedroht wird, eine Sache, zu deren Herausgabe man verpflichtet ist, nur gegen Bezahlung herauszugeben oder einen Strafprozess nur gegen Bezahlung eines überhöhten Honorars weiterzuführen, andernfalls aber zur Unzeit zu kündigen. Darüber hinaus ist umstritten, ob die Drohung mit einem Unterlassen auch dann zu einer Erpressung führen kann, wenn keine Pflicht zum Tätigwerden besteht (zu denken wäre z.B. an eine Drohung des Personalleiters, eine bestimmte Person nicht einzustellen, wenn sie ihm nicht „unter dem Tisch“ ein paar Geldscheine zuschiebe).[136] Dies wird teilweise mit dem Argument bejaht, bei der Erpressung käme es nicht darauf an, was man tun oder unterlassen, sondern mit was man drohen dürfe.[137] Entscheidend sei also allein die negative Wirkung der Drohung auf das Opfer.[138] So wurde eine (versuchte) Erpressung in einem Fall bejaht, in dem der Richter dem Angeklagten in einem Strafprozess mit der (rechtmäßigen!) Fortsetzung der lange dauernden und für den Angeklagten wirtschaftlich sehr belastenden strafrechtlichen Ermittlungen gedroht hatte, wenn der Angeklagte ihm nicht eine bestimmte Summe Geldes zahle. In diesem Fall würde er, der Richter, eine Einstellung des Verfahrens bewirken können, da er mit der zuständigen Staatsanwältin verheiratet sei und daher einen gewissen Einfluss ausüben könne.[139] Zwar sei die Fortsetzung der strafrechtlichen Ermittlungen zulässig bzw. der Richter zu einer Einstellung des Verfahrens nicht verpflichtet gewesen, das Verfahren hätte aber dennoch für den Angeklagten ein empfindliches Übel dargestellt. Dies ist zutreffend, wobei jedoch zu beachten ist, dass in vielen dieser Fälle des Androhens eines Unterlassens der Vermögensschaden[140] oder die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausscheiden dürfte.[141]
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Dies ergibt sich auch aus der Überlegung, dass in vielen Fällen eine sinnvolle Abgrenzung der Drohung mit einem Tun und der Drohung mit einem Unterlassen nicht getroffen werden kann. So ist es unstreitig, dass der Täter damit drohen kann, ein ihm an sich erlaubtes Handeln, das für das Opfer ein empfindliches Übel darstellen würde, vorzunehmen, wenn ihm das Opfer nicht gewisse Leistungen oder Dienste zukommen lässt, auf die der Täter keinen Anspruch hat.[142] Denkbar ist z.B. der Fall, dass das Opfer einer Straftat dem Täter „androht“, eine (wahrheitsgemäße) Strafanzeige oder einen Strafantrag zu stellen, wenn der Täter ihm nicht einen bestimmten Betrag bezahle.[143] Hier ist das Opfer zur Vornahme der entsprechenden Handlung (= Erstattung der Strafanzeige bzw. Stellung des Strafantrages) grundsätzlich berechtigt (aber nicht verpflichtet). In gleicher Weise wie bei § 240 StGB kann aber auch hier in der Drohung mit einer an sich erlaubten Handlung ein empfindliches Übel liegen, welches dann zu einer Strafbarkeit führen kann, wenn die Zweck-Mittel-Relation verwerflich ist.[144] Auch ein Schaden liegt in diesem Fall vor, da das Unterlassen der Strafanzeige keinen saldierungsfähigen Vermögensvorteil für das Opfer darstellt, wenn die Verknüpfung des Unterlassens mit der Forderung nach Geld die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation begründet. Wenn man nun aber davon ausginge, die Drohung mit dem Unterlassen einer Handlung, zu der der Täter nicht verpflichtet ist, müsse zur Straflosigkeit führen, während die Drohung mit einem Handeln, zu dem der Täter an sich berechtigt ist, eine Strafbarkeit zur Folge haben könne, wird übersehen, wie nahe oft Tun und Unterlassen beisammen liegen können. Man stelle sich im genannten Strafantrags-Fall nur vor, dass das Opfer dem Täter damit droht, einen Strafantrag zu stellen, wenn dieser ihm nicht einen bestimmten Betrag bezahle (= strafbare Drohung mit einem Tun), oder ihm damit droht, einen bereits gestellten Strafantrag nicht zurückzunehmen, wenn der entsprechende Betrag nicht bezahlt wird (= straflose Drohung mit einem Unterlassen). Für das Erpressungsopfer dürfte dies letztlich aber auf dasselbe hinauslaufen.[145] Insoweit schränkte der BGH[146] den Grundsatz der Straflosigkeit der Androhung eines rechtlich möglichen Unterlassens auch in einem Fall ein, in dem der Vorgesetzte eines Privatdetektives, der gerade dabei war, eine Strafanzeige wegen Ladendiebstahls zu verfassen, an den Dieb herantritt und diesem „anbietet“, seinen Einfluss gegenüber seinem Privatdetektiven dahingehend geltend zu machen, dass dieser die Strafanzeige nicht der Polizei weiterleite. Auch hier wird mit dem Unterlassen einer Handlung gedroht, zu der der Erpressungstäter zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist (= Einflussnahme auf den die Anzeige fertigenden Detektiv im Rahmen seines Ermessens als Vorgesetzter). Nach den genannten Grundsätzen müsste dies zu einer Straflosigkeit führen, was der BGH aber zutreffend ablehnt. Eine generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtmäßigen Verhaltens würde bei verwerflichem Verhalten somit zu einer unzulässigen Privilegierung des Drohenden führen. Auch diese Fälle sind daher in die Zweck-Mittel-Relation einzustellen und können dann zu einer Strafbarkeit führen, wenn das „angedrohte“ Unterlassen den Handlungsspielraum des Opfers nicht „erweitert“ (wie bei einem angebotenen Vertragsschluss[147]), sondern sich dieses bereits in einer Notsituation befindet, sodass von ihm nicht mehr erwartet werden kann, dass es „der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält“.[148] Insoweit droht auch derjenige mit einem empfindlichen Übel, der als Kaufhausdetektiv dem überführten Dieb „anbietet“, die Weiterleitung der Anzeige an die Polizei zu unterlassen.[149]
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Nicht entscheidend ist, ob der Täter tatsächlich Einfluss auf den Eintritt des Übels hat, mit welchem er droht, er muss dies nur vorgeben.[150] Ferner ist hier – wie auch bei § 240 StGB – die Drohung abzugrenzen von der bloßen Warnung.[151] Es reicht also nicht aus, wenn der Täter dem Opfer mitteilt, dass Dritte ihm ein Übel zufügen werden. Erforderlich ist, dass er vorgibt, er selbst könne diese Übelszufügung durch Dritte bei Nichterfüllung seiner Forderungen veranlassen, und dass er dies auch wolle.[152] Keine Drohung (insoweit: mit einem Unterlassen) liegt hingegen vor, wenn der Täter dem Opfer von einer bevorstehenden Übelszufügung durch Dritte berichtet und vorgibt, diese Übelszufügung stoppen zu können, wenn das Opfer auf seine Forderungen eingeht.[153]
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Normalerweise verknüpft der Erpresser seine Drohung damit, dass sich das Opfer durch die Erfüllung seiner Forderungen „freikaufen“ kann. Geht dagegen ausnahmsweise einmal die Initiative vom Opfer aus, etwa wenn das Opfer eine Zahlung anbietet, um so einer bedrohlichen Situation zu entgehen, scheidet § 253 StGB aus.[154]