Читать книгу Geocaching - Tödliche Weihnacht in Oberstdorf (NEUFASSUNG) - Dieter Krampe - Страница 11

Kapitel 5 - Pfarrhof 20.12., mittags

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Schibulsky überlegt kurz, ob er für den Rückweg ins Dorf wieder den Bus nehmen soll. Der fährt allerdings nur halbstündlich und kommt erst in zwanzig Minuten. Deshalb macht er sich zu Fuß auf den Weg. Die Loretto- und anschließend die Prinzenstraße führen ihn direkt zum Ortszentrum: die katholische Kirche St. Johannes Baptist und das Oberstdorf Haus. Der Spaziergang in der frischen Luft tut ihm sichtlich gut, und er kann seine Gedanken sortieren. Doch ihm ist jetzt schon klar, sein Freund Toni hat Recht. Selbstmord ist wirklich äußerst unwahrscheinlich.

Aber wer sollte diesen liebenswürdigen und beliebten Kirchenmann umgebracht haben und vor allem warum? Roberts Interesse war durch das gestrige Gespräch im Café geweckt worden, jetzt hatte er sprichwörtlich Blut geleckt. Seine Kombinationskompetenz ist angesprochen, und er bekommt augenblicklich das kaum zu beschreibende Gefühl von Selbstsicherheit und Verantwortung zurück, das ihn früher bei seiner Polizeiarbeit stets begleitet hat.

Die Uhr der katholischen Kirche zeigt elf Uhr und die Glocke bestätigt die Zeit durch vier Viertelstundenschläge und nachfolgenden elf Stundenschläge auch akustisch.

„Vielleicht ist der Pfarrer daheim“, kommt es Robert plötzlich in den Sinn. „Der hat den Kaplan schließlich gefunden und kann vielleicht mehr Klarheit in dieser nebulösen Angelegenheit bringen.“

Am Oberstdorf Haus angekommen nimmt Schibulsky den Weg durch den Kurpark zur Oststraße. Das Pfarramt liegt direkt hinter dem Chor der Kirche. Beide haben ihr heutiges Aussehen nach dem Wiederaufbau der Pfarrkirche und des Pfarrhofes nach dem großen Brand von 1865 erhalten, dem zwei Drittel des Ortes zum Opfer gefallen waren.

Schibulsky drückt zweimal die Türschelle. Da auch nach dreißig Sekunden nichts von innen zu hören ist, wendet er sich zum Gehen und steigt die drei Treppenstufen hinab. Er hat sich schon einige Schritte entfernt, da öffnet sich langsam die Haustür des Pfarramts. Eine gebrechliche, nach vorn gebeugte alte Frau fragt ihn mit leiser Fistelstimme: „Sie wünschen?“

„Entschuldigen Sie die Störung, Frau ….“

„Eva-Maria Brutscher. Ich bin hier die Haushälterin, seit fast fünfzig Jahren.“

„Ich will mich nur erkundigen, ob der Herr Pfarrer wohl zu sprechen ist.“

„Dr. Altmayer? Er sitzt bei dem Wetter draußen im Gärtchen und bereitet den Weihnachtsgottesdienst vor. Ob ich ihn dabei stören kann, muss ich erst mal sehen.“

„Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Frau …“

„Brutscher.“ Sie schlurft durch den Flur davon. Ihre Flüsterstimme kann er noch hören: „So jung, und schon so vergesslich.“

Schibulsky schaut sich im Flur um. Nichts deutet auf einen Trauerfall in diesem Haus hin. Kein Bild des verstorbenen Kaplans, obwohl dessen Beerdigung erst eine Woche zurückliegt. Die 71-jährige Alte kommt zurück, bittet ihn herein und führt ihn durch ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer auf die Terrasse. Dort klappt der vollschlanke Pfarrer von St. Johannes Baptist gerade seinen Laptop zusammen.

Als er den Gast erkennt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht.

„Ja, grüß Gott, lieber Kommissar.“ Er umarmt ihn. „Sind Sie wieder bei uns im Ort? Wie geht es Ihnen und Ihrer lieben Frau?“

Schibulsky ist überrascht, dass sich Dr. Georg Altmayer mit seinen 64 Jahren so gut an das Touristenpaar aus Bielefeld erinnern kann. „Meine Frau hat noch in ihrem Heim mit den Weihnachtsvorbereitungen zu tun. Aber sie wird dann am 1. Weihnachtstag nach Oberstdorf nachkommen. Ich bin ja schon seit vorgestern im Ort. – Dass Sie sich noch an mich erinnern können, Herr Pfarrer.“

„Aber, aber, Herr Kommissar, ich werde doch nicht den Mann vergessen, der uns unseren geliebten „Auferstehungschristus“ gerettet hat.“ Der Pfarrer schwärmt weiter: „Wie Sie den Kunsträuber überlistet und überführt haben, einfach toll.“

Schibulsky errötet leicht. „Vielleicht kann ich Ihrer Kirche noch einmal helfen. Ich habe vom Tod Ihres Kaplans gehört. Sie kennen meinen Freund und Ex-Kollegen Endras aus Reute. Der sprach von Selbstmord und dass er sich das bei dem lebenstüchtigen Marc Teuffel überhaupt nicht vorstellen kann.“

Dr. Altmayers Miene verdüstert sich mit jedem Wort. „Das konnte ich auch nicht, aber lieber Kommissar, ich habe es selber gesehen.“

„Und genau deshalb bin ich bei Ihnen. Ich würde gerne hören, was Sie gesehen haben.“

Altmayer bittet Schibulsky, Platz am Gartentisch zu nehmen. Er schaut, ob seine Haushälterin in der Nähe ist. Dann setzt auch er sich und beginnt:

„Marc, ich meine Kaplan Teuffel, hat für mich den Gottesdienst am Dienstagabend vor zwei Wochen draußen in Loretto übernommen. Ich hatte kurzfristig ein Treffen mit unserem Bürgermeister. Ich habe ihn abends nicht mehr gesehen. Als er aber am nächsten Morgen nicht zur Frühmesse hier in St. Johannes Baptist erschien, habe ich in seiner Wohnung nebenan im Pfarrheim nachgeschaut. Sein Bett war allerdings nicht angerührt. Ich machte mir deshalb Sorgen und bin nach der Frühmesse mit dem Pkw zur Lorettokapelle gefahren. Sein postgelber Uralt-Käfer Baujahr 1980 stand tatsächlich noch auf dem Parkplatz in der Nähe der drei Kapellen. Aber Marc war weder in der Sakristei, noch in der Marienkapelle zu finden, in der stets der Gottesdienst abgehalten wird. Ich schaute anschließend noch in die Appachkapelle. Hier war er aber auch nicht. Als ich die Kapelle wieder verlassen wollte, fiel mir auf, dass der rechte der drei Tannenbäume, die hinter den drei Krippentafeln standen, nach links gekippt war. Ich trat ganz dicht an die Bilder heran, sah einen riesengroßen Blutfleck an der weißen Kapellenwand. Und dann sah ich ihn. Ich versuchte das rechte Bild beiseite zu schieben, um nach hinten an ihn herankommen zu können. Mit etwas Kraft ließ sich das Gemälde nach vorne umklappen.“

Schibulsky hört dem Pfarrer aufmerksam zu. Jetzt unterbricht er ihn. „Dr. Altmayer, stand das Bild ein wenig vor, oder war der Durchgang total versperrt? Versuchen Sie sich genau zu erinnern.“

Der Pfarrer besinnt sich einen Augenblick. Man sieht, dass er angespannt denkt. „Nein, Kommissar, weil Sie mich jetzt fragen,“ er zögert noch einmal, „aber da bin ich mir jetzt absolut sicher, das Bild war bis an die Wand herangezogen und dahinter stand sofort ein Holztisch, an dem das Bild befestigt war.“

„Und glauben Sie, Dr. Altmayer, dass der Kaplan das Bild von hinten hätte wieder zuziehen können?“

Der Pfarrer lässt sich erneut Zeit: „Wenn ich es recht überlege, eigentlich nicht.“

„Sehen Sie, das ist mir auch aufgefallen, als ich in der Appachkapelle war. – Aber ich habe Sie unterbrochen, Entschuldigung.“

Dr. Altmayer versucht, den Faden seiner Erinnerung wieder aufzunehmen. „Ich habe sofort erkannt, dass niemand mehr Marc helfen konnte. Er saß auf einem Holzstuhl, den ich dort noch nie gesehen habe. Zusammengesackt. Mit offenem Mund, den Kopf leicht nach rechts gebeugt und mit einem großen Loch im Hinterkopf. In seiner rechten Hand hielt er eine Pistole, die zum geöffneten Mund gerichtet war. In der linken Hand war ein Stück Papier.“

„Sagen Sie, Herr Pfarrer, haben Sie gesehen, ob etwas auf dem Zettel stand?“

„Ja, natürlich, ich konnte Buchstaben erkennen. Aber nach einer Schrecksekunde bin ich sofort aus der Kapelle gerannt und habe unsere Polizeistation hier im Ort angerufen. Wachtmeister Endras.“

Schibulsky blickte den Pfarrer plötzlich erstaunt an. Aber der fährt beruhigend fort: „Nein, nicht Ihr Freund, sondern sein Sohn, der war auch schon zehn Minuten später in Loretto. Er schaute sich den Ort des Geschehens nur kurz an und nahm den Zettel, nachdem er sich Gummihandschuhe angezogen hatte. Er las und sagte mir, dass es sich um einen Abschiedsbrief handele und wollte ihn mir geben. Aber das wollte ich nicht. Ich bat den Wachtmeister, mir eine Kopie davon zu machen.“

Dr. Altmayer macht eine Pause. Schibulsky lässt ihm einige Sekunden. „Und wurde die Kapelle und der Platz, an dem der Kaplan saß, gründlich untersucht?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe gehört, dass Endras die Kriminalpolizei in Kempten angerufen hat. Er sagte mir, dass er das machen müsste, auch wenn die Todesursache so klar wie Kloßbrühe sei wie in diesem Falle. Ich bin jedenfalls dann sofort zurück zum Pfarrhof gefahren.“

„Danke, Herr Pfarrer, für Ihre detaillierte Schilderung. Zwei Dinge noch: Haben Sie die Kopie des Briefes bekommen?“

Dr. Altmayer nickt. „Können Sie mir eine Kopie davon machen?“

„Natürlich, Herr Kommissar, aber sie muss bei Ihnen bleiben. Ich möchte keine unnötige Unruhe in der Gemeinde.“

„Das ist hoch und heilig versprochen.“

Dr. Altmayer nimmt ein Blatt aus seinem Sekretär und kopiert es auf dem Fotokopierer, der neben seinem Schreibtisch steht. Dann gibt er dem Kommissar die Kopie. Der verbeugt sich höflich, fast ehrerbietig.

„Danke, Herr Pfarrer, und zweitens möchte ich einen Blick in das Zimmer des Kaplans werfen.“

Der Pfarrer steht auf, Schibulsky folgt ihm, durch den Flur, zur Haustür und nach draußen. Sie gehen zum Nachbargebäude, dem Johannisheim im Haus Nr. 2a. Altmayer schließt die Haustür auf, deutet auf die nächste Tür, geht aber nicht mit hinein, sondern bleibt auf der Türschwelle stehen.

Robert Schibulsky betritt den kleinen Raum, der neben einem Bett und einem alten verzierten Holzschrank als Möbel nur noch einen großen Schreibtisch mit einem aufgeklappten Laptop aufweist, samt modernem Bürostuhl. Er registriert, dass der Kaplan computertechnisch auf dem neuesten Stand gewesen zu sein scheint. Internetanschluss, Drucker, Scanner, Kamera, alles da. Spartanisch wirkt dagegen das schmale Bücherregal, auf dem gerade mal zwanzig Bücher Platz finden.

Im Papierkorb findet Schibulsky ein zusammengeknülltes, handgeschriebenes Notizblatt. Marc Teuffel hat wohl zuletzt an seiner nächsten Predigt gearbeitet. Seine erste Fassung hat ihm anscheinend nicht so gut gefallen. Schibulsky steckt sich die Notiz ein.

Geocaching - Tödliche Weihnacht in Oberstdorf (NEUFASSUNG)

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