Читать книгу Geocaching - Tödliche Weihnacht in Oberstdorf (NEUFASSUNG) - Dieter Krampe - Страница 17

Kapitel 12 - Jauchen 21.12., mittags

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Vom Polizeigebäude geht Schibulsky durch die Bahnhofshalle, die vor rund 12 Jahren das alte baufällige Gebäude ersetzte und als bester Kleinstadtbahnhof 2006 ausgezeichnet wurde. Stolz sind die Oberallgäuer auch darauf, dass die Feriengäste den südlichsten deutschen Bahnhof schon seit 1888 mit der Eisenbahn erreichen konnten.

Westlich der Halle ist der kleine Busbahnhof der Gemeinde gelegen. Robert stellt sich geduldig am Ende der wie immer langen Schlange am grünen Walserbus an. Ständig transportiert dieser Unmassen an Ski- und Snowboard-Fahrern hoch zum Söllereck oder noch weiter ins Kleinwalsertal. Eingezwängt in auf dem Rücken getragene Rucksäcke und kreuz und quer gehaltene Skibretter bzw. Stöcke warten alle, bis auch das letzte Quäntchen Platz im Bus besetzt ist. Robert hasst diesen kostenlosen Service für die Skifahrer, besonders wenn diese auf der Rückfahrt mit ihren nassen Schneeanzügen und Schneeresten von ihrer letzten Abfahrt die anderen zumeist Wandertouristen im wahrsten Sinne des Wortes „nass“ machen.

Mit fünf Minuten Verspätung startet der Bus. Nach der Durchfahrt durch den westlichen Teil der Marktgemeinde führt der Weg steil hinauf zur B 19, dann in leichten Kurven weiter hinauf zur Grenze nach Österreich.

Schibulsky steigt aber schon an der Haltestelle „Jauchen“ aus, nachdem er sich durch den Skifahrerwust gequetscht hat. Zu Fuß erklimmt er den kleinen Hügel und folgt der Straße „In der Leite“. Drei Minuten später steht er vor der Haustür der Sozialarbeiterin Dorothea Schneider, der Bekannten des Kaplans.

Er schellt zweimal. Zu seiner Überraschung erkennt er sie sofort, als sie die Tür öffnet. „Guten Tag, Frau Schneider, das ist ja irre“, – ein Wort, das Robert nur ganz selten gebraucht – „Sie sind doch diese Radweltmeisterin, nicht wahr?“

„Es stimmt, dass ich beim Mountainbike einigermaßen erfolgreich bin. Aber bis jetzt hat es nur zur Vizeeuropameisterschaft gereicht.“

„Entschuldigen Sie, Frau Schneider, ich muss mich Ihnen zunächst mal vorstellen. Mein Name ist Robert Schibulsky. Ich bin seit Jahren hier Feriengast und bis vor zwei Jahren noch Hauptkommissar bei der Mordkommission der Kripo in Bielefeld gewesen.“

Dorothea unterbricht ihn und bittet ihn in ihre Wohnung, die nur aus Küche, Bad, kleinem Flur und einem größeren Wohn-Schlafraum besteht. Schibulsky ist überwältigt von dem Ausblick, der sich durch die hohen Fensterscheiben auftut. Ganz Oberstdorf liegt ihm zu Füßen, wie eine kleine Puppenstadt, sogar die Wattebäuschchen aus den Schornsteinen fehlen nicht.

„Da haben Sie ja einen wunderbaren Panoramablick“, begeistert sich der Oberstdorf-Liebhaber.

„Das stimmt schon, aber von hier sind alle Wege weit und anstrengend.“

Schibulsky vervollständigt seine Vorstellung: „Mein guter Freund, der alte Dorfpolizist Toni Endras erzählte mir, dass Sie mit dem toten Kaplan von St. Johannes Baptist gut befreundet waren.“

„Ja, das stimmt. Ich habe dem Marc Teuffel beim Aufbau seiner Computer-AG geholfen.“ Dorothea Schneider beginnt zu schluchzen. Eine Träne macht sich auf den Weg von ihrem rechten Auge am Nasenflügel vorbei über ihre blasse Wange. Sie wischt die Träne mit der rechten Hand ab.

„Im Ort wird gemunkelt, dass Herr Teuffel sich selbst umgebracht hat. Können Sie sich das vorstellen?“

„Nein,“ antwortet Dorothea hastig und überzeugend. Aber ich habe das Gerücht natürlich auch gehört.“

„Ich glaube übrigens auch nicht an Suizid, also an Selbstmord.“

„Ich verstehe schon. Ich bin Sozialarbeiterin bei der Gemeinde Oberstdorf. Da gehören Suizid oder Suizidversuche bedauerlicherweise schon fast zum Tagesgeschäft.“

„Kommt das tatsächlich in dieser friedlichen Landschaft häufiger vor? Ich dachte immer, das sind die Auswirkungen von unseren unpersönlichen Großstädten.“

„Irrtum, Herr Schibulsky. Ich glaube, wir hatten hier 2013 bis jetzt schon mehr als zehn Todesfälle, und das bei ungefähr 8.000 Einwohnern.“

Überrascht schaut Robert Frau Schneider mit leicht zusammen gekniffenen Augen an: „ Aber warum sind Sie so sicher, dass der Kaplan nicht dazu gehört?“

„Ich war am Dienstagnachmittag vor zwei Wochen noch im Clubhaus. Wir hatten damals diskutiert, wie wir das Jubiläum unseres GEOCACHING-Clubs auch für die Kiddies als etwas Besonderes feiern können. Marc war ziemlich sauer, dass er bei der Gestaltung der Schatzsuche im Vorstand überstimmt worden war. Auch sein Pfarrer Dr. Altmayer stimmte dem Vorhaben des neuen Vorsitzenden Nico Winterscheid zu. Eine Charity mit hohem Antrittsbeitrag sollte richtig Geld in die Kassen spülen. Natürlich für einen guten Zweck. Nico hatte auch schon einen Sponsor für die Veranstaltung. Ein Pharmakonzern aus Berlin würde ca. 50.000 Euro geben, wenn sein heimischer GEOCACHING-Verein bei uns mitmachen kann und das Meeting bundesweit ausgeschrieben wird.“

„Nico Winterscheid, den Namen hab ich schon mal gehört.“

„Ja, das ist der Sohn vom Chef von EUROMIX TECHNOLOGY, Elektronikhandel im Internet. Die machen sich unheimlich breit im Ort. Ich glaube, sie wohnen am Bodensee. Der Sohn hat zehn teure nagelneue GPS-Empfänger für die Gruppe gespendet und wurde prompt zum Vorsitzenden gewählt. Der Vater ist jetzt Boss im heimischen Eishockeyclub. Beide sind totale Spinner und Angeber. Und beide versuchen alle Weiber der Umgebung anzumachen, die nicht bei drei auf den Bäumen sind.“

„Und der katholische Pfarrer hat dabei mitgemacht?“

„Ja, das hat Marc auch nicht verstanden, und ich habe das schon überhaupt nicht verstanden.“

„Gab es vielleicht Streit oder sogar mehr zwischen Pfarrer und Kaplan?“

„Da bin ich überfragt. Ich glaube aber aus Marcs Worten herausgelesen zu haben, dass er glaubte, Dr. Altmayer hätte irgendeinen Deal mit den Winterscheids oder mit diesem Pharmakonzern. Auf jeden Fall wollte er sich nicht so einfach ausbooten lassen und auf jeden Fall eine Jubiläums-Schatzsuche kostenlos nur für unsere Kiddies organisieren.“

„Frau Schneider, zum Schluss habe ich noch eine große Bitte. Aber ich habe große Zweifel, ob ich Ihnen damit nicht zu viel zumute.“ Er zieht die Fotokopie aus seiner Lodenjacke.

„Ich habe hier ein Foto aus der Appachkapelle vom 3. Dezember, auf dem man Herrn Teuffel nach der Tat sieht. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen darauf etwas auffällt.“

Dorothea schaut den alten Kommissar ängstlich und erschrocken an, nickt dann aber. Schibulsky reicht ihr die Kopie hinüber. Darauf sitzt der tote Kaplan auf einem Holzstuhl, den Kopf mit offenem Mund nach hinten gekippt, eine Pistole in der Hand, in der anderen Hand ein Stück Papier. Auf dem Foto kann man in all den Grautönen nicht wirklich viel erkennen. Ansonsten hätte der alte Kommissar das Foto bestimmt nicht herausgeholt.

Dorothea betrachtet das Bild eingehend. Aus beiden Augenwinkeln fließen jetzt lautlose Tränen. Aber sie betrachtet das Bild immer weiter. Plötzlich bricht sie die Stille: „Herr Schibulsky, wie würden sie denn eine Pistole halten, wenn Sie sich in den Mund schießen wollen?“

Darüber hat er noch nie nachgedacht. Aber jetzt versucht er es. Er bildet mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand eine „Pistole“ und zeigt auf seinen Kopf. Dann öffnet er leicht den Mund.

Ihre nassen Augen blitzen plötzlich auf, ihr Mund formt sich zu einem angedeuteten Lächeln. „Und Sie sind natürlich Rechtshänder, oder?“, fragt Dorothea und ahmt Schibulskys Handbewegungen nach.

„Ja, ganz recht.“

Dorothea gibt Schibulsky die Kopie zurück. Er hat ihre letzte Bemerkung zwar gehört, aber nicht verstanden. Er betrachtet das Bild noch einmal nachdenklich.

„Und wie hält Marc die Pistole?“

Schibulsky antwortet wie selbstverständlich: „Mit der rechten Hand.“

„Genau, aber Marc war hundertprozentig Linkshänder. Ich habe ihm stundenlang beim Einrichten unseres Clubhauses geholfen. Er macht alles mit links, er schreibt sogar mit links. Ich glaube, die rechte Hand hatte er nur wegen der Optik.“

Auf einmal beginnt Dorothea laut zu lachen. Es ist, als wäre eine schwere Last von ihr gefallen. In dem Moment erklingt die Schelle. Bevor Schibulsky etwas sagen kann, ist Dorothea schon zur Tür hinaus. Wenige Augenblicke später kommt sie mit einem jungen Mann herein.

„Gut, dass du kommst, Felix.“ Felix Buchwieser kommt gerade aus der Schule. Er besucht die Klasse 11b des Gertrud-von-le-Fort-Gymnasium im Dorf unten. Heute am Samstag hat sich die Redaktion der Schülerzeitung zu ihrer monatlichen Redaktionssitzung getroffen. Der 18-Jährige wohnt in Kornau und will Dorothea rasch noch ein paar Seiten für den GEOCACHING-Klub vorbei bringen und beginnt deshalb in seiner Schultasche herumzukramen.

Als er Schibulsky am Fenster stehen sieht, schließt er hastig die Tasche so als hätte er etwas zu verbergen. „Oh, du hast Besuch.“

„Felix, das ist ein Kommissar, der beweisen möchte, dass Marc ermordet worden ist.“

„Moment“, wirft Schibulsky ein, „zunächst sammele ich noch die Fakten.“ Er geht auf den Schüler zu und gibt ihm die Hand.

„Ich war Kommissar. Heute bin ich nur noch Rentner und mache gerade Urlaub hier in Oberstdorf.“

„Ich heiße Felix Buchwieser und wohne oben in Kornau.“

„Und du kennst den Kaplan am besten von uns allen“, meldet sich Dorothea. An Schibulsky gewandt erklärt sie: „Felix hat von Anfang an bei der Computer-AG im Pfarrhof mitgemacht. Und als der Marc in die Gemeinde kam, war er im neuen GEOCACHING-Klub praktisch Marcs rechte Hand.“

„Ja, das stimmt“, stimmt Felix zu.

„Und sag´ dem Kommissar, mit welcher Hand hat Marc alles gemacht?“

Felix ist ob dieser Frage etwas überrascht und versteht den Sinn nicht. Da er aber nichts Ungewöhnliches dabei finden kann, antwortet er: „Ja, das weiß eigentlich jeder, der mal ein paar Minuten mit Marc zu tun hatte, er hat alles, aber wirklich alles mit der linken Hand gemacht.“

Dorothea nickt zufrieden. „Hören Sie, Herr Schibulsky? Genau, wie ich es Ihnen gesagt habe.“

„Danke, damit hast du mir sehr geholfen,“ erlaubt sich Schibulsky den Jungen zu duzen. Er geht an ihm vorbei und klopft ihm anerkennend auf die Schulter. Bevor er sich von den beiden verabschiedet, hebt er in Colombo-Manier seinen rechten Arm. Das hatte er schon immer am Kommissar der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie bewundert.

„Eine Frage habe ich noch vergessen. Wer könnte dem Kaplan das angetan haben? Hatte er vor irgendjemandem vielleicht sogar Angst?“

Sowohl die Sozialarbeiterin wie auch der Schüler schüttelten synchron die Köpfe. Dorothea äußert sich zuerst: „Mir ist nur aufgefallen, dass Marc etwas hektisch geworden ist, aber das hatte wohl mit dem Stress vor Weihnachten und der Jubiläumsfeier der „ALLGÄU-Piraten“ zu tun. Ja, und vom Pfarrer fühlte er sich wirklich verraten, da der auch dem Nico zustimmte, der diese Riesen-Charity veranstalten will.“

„Ja, aber er hat auch mit Nico und dessen Vater gestritten. Er warf ihnen vor, sie wollten sich selbst zu sehr in den Vordergrund stellen und ewig in der Presse stehen.“

Schibulsky dreht sich um und greift nach der Türklinke.

In Gedanken spricht Felix weiter: „Und Stress, weiß ich nicht. Gestört hat ihn eigentlich nur, dass er zusätzlich zu seinen Diensten auch noch ein Brautgespräch vom Pfarrer übernehmen musste. Ich weiß das, weil Marc an dem Abend mit unserer Jugendgruppe eigentlich ins Kino gehen wollte.“

„Das ist interessant, weißt du in ungefähr, wann dieses Gespräch stattgefunden hat?“, möchte Schibulsky jetzt doch noch wissen.

Der Gymnasiast überlegt: „Es war Ende November, Am letzten Dienstag im November. Es war ja Kinotag.“

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