Читать книгу Geocaching - Tödliche Weihnacht in Oberstdorf (NEUFASSUNG) - Dieter Krampe - Страница 7

Kapitel 1 - Café Gundlach 19.12., nachmittags

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Sonne, keine Wolke, 12 Uhr Mittag, das Thermometer zeigt 31°C. Wenn die Bergwelt um den Marktflecken nicht von glitzernder Schneepracht bedeckt wäre, könnte man sich in den Tropen wähnen.

Der pensionierte Hauptkommissar Robert Schibulsky hat es sich nach dem Frühstück auf dem Balkon seiner Ferienwohnung im MONTANA Haus an der Trettachstraße gemütlich gemacht und die warmen Sonnenstrahlen genossen. Weihnachten muss er immer in den Bergen sein, das bedeutete seit fünfzehn Jahren: Oberstdorf – ich komme.

Oberstdorf, das ist der südlichste Ort Deutschlands, dem im Jahre 1495 Kaiser Maximilian auf Wunsch des Fürstbischofs Friedrich von Augsburg die Marktrechte verlieh.

Vom nahen Kirchturm der Katholischen Pfarrkirche St. Johannes Baptist schlägt es drei. Die Sonne geht so langsam hinter dem Söllereck im Südwesten unter. Sprungartig meldet sich der Winter zurück, die Kälte brennt sofort auf Roberts Haut, und er verzieht sich nach drinnen.

Schibulsky war fast vierzig Jahre bei der Kripo in Bielefeld und hatte mehrere Abteilungen durchlaufen. Zuletzt war er bei der Mordkommission und brachte viele Täter vor den Kadi. 87% Erfolgsquote, ein Mann mit Spürnase eben.

Seinen Diabetes mellitus hatte er fahrlässig unterschätzt. Das kostete ihn vor fünf Jahren drei Zehen seines rechten Fußes. Seither bekam er nur noch ein paar neue Schuhe pro Jahr, allerdings konnte er diese stolz „orthopädisch“ nennen. Solche Überheblichkeit kostet dann schon mal schlappe 1800 €.

Nach mehreren Operationen und einem Jahr Pause stieg Schibulsky als Schwerbehinderter mit 70% wieder bei der Kripo Bielefeld ein. Seine Kollegen waren nett und hatten ihn noch nicht vergessen. Sie machten sich auch große Sorgen, dass er überbelastet werden könnte. So blieb für ihn plötzlich nur noch Schriftkram und Aktenarbeit.

Ein Klumpfuß ist sprichwörtlich wirklich ein Klotz am Bein. Und mit dem fühlte er sich sehr bald als besserer Hausmeister. Noch wurde er auf der Dienststelle geduldet. Doch so konnte es nicht weiter gehen. Und er ergriff vor gut drei Jahren die nächste und gleichzeitig letzte Möglichkeit, der Arbeitswelt frühzeitig „ade“ zu sagen. Schwerbehinderte bis Geburtsjahr 1951 konnten noch mit 63 Jahren in Rente. Folglich reichte er den Antrag auf Pensionierung zum 60. Geburtstag ein und nahm somit eine Kürzung seines Ruhegehalts von 10,8% in Kauf. Sein Engagement wurde ihm daraufhin per Urkunde bestätigt. Am letzten Arbeitstag gab es noch den obligatorischen Strauß Blumen. Seine Bürotür zierte aber schon ein neuer Name: PHK Rigobert Zurgeißel.

Aus den Augen, aus dem Sinn.

In den letzten zwei Jahren war Schibulsky sehr oft auf Reisen, vornehmlich Kreuzfahrten. Mallorca wurde seine zweite Heimat. Mal reiste er mit, mal ohne Kerstin. „Ich fahre, solange ich das mit meinem Fuß noch kann!“

Kerstin ist erst 58 und seit fast vierzig Jahren seine Frau. Zwar plagen sie zuletzt immer häufiger Schmerzen hier und Schmerzen da. Während ihrer letzten Island-Kreuzfahrt mit der AIDA dachte sie sogar laut darüber nach, ob und wie sie vielleicht auch vorzeitig in Rente gehen könnte. Sie geht aber noch zu sehr in ihrem Beruf als Erzieherin in einem Kinderheim auf. Zudem ist sie auch abends meist unterwegs: Frauenturnen, Osteoporose-Gruppen bei der VHS und was man noch so seinem Mann angeben kann. Ruhestand kommt für sie noch nicht in Frage.

Vor zwei Jahren hat Kerstin eine Wohnung im MONTANA Haus gegenüber der Klinik Oberstdorf gekauft. Nach dem Oberstdorfer Modell teilen sich dort elf verschiedene Besitzer eine Wohnung. Als eine betagte Dame aus Köln ihren Anteil vom 15. Dezember bis zum 15. Januar verkaufen wollte, schlug Kerstin zu. Neben der Wohnung im 2. Stock kann sie jetzt auch ein Schwimmbecken, eine Sauna, einen Fitnessraum und eine Kneippanlage im Keller des Hauses nutzen.

Robert wollte in diesem Jahr die gesamte Belegungszeit ausnutzen. Daher reiste er gestern schon vor Weihnachten mit dem Zug an. Über zehn Stunden ging es quer durch Deutschland.

Nach dem Sonnenbad hat er sich nun telefonisch mit seinem alten Freund verabredet. Toni Endras war bis vor fünf Jahren der Dorfpolizist hier in Oberstdorf gewesen. Der 70-jährige wohnt seit seiner Geburt im Ortsteil Reute an der Bundesstraße B19 zum Kleinwalsertal.

Die beiden hatten sich während Roberts REHA-Zeit kennengelernt. Seitdem treffen sie sich regelmäßig im Café Gundlach in der Metzgerstraße oder zu Wanderungen in einem der Täler.

Als Robert im Café eintrifft, diskutiert Toni schon angeregt mit dem Konditormeister Josef Gundlach, der den 1957 gegründeten Betrieb nun in dritter Generation übernommen hat. Zur Erinnerung ziert den Gastbereich im 1. Stock das riesige Schwarz-Weiß-Foto des Heimatortes aus genau diesem Gründungsjahr.

„Ich sag dir, mit dem Selbstmord vom Kaplan stimmt was nicht“, ereifert sich der Toni.

„Mach´ mal halb lang, Toni. Du siehst doch schon wieder Gespenster.“ Der Konditor drückt seine Hände beruhigend auf Tonis Schulter. Der nimmt in diesem Augenblick Robert wahr und wendet sich rasch dem erwarteten Freund zu. Die beiden ausrangierten Gesetzeshüter umarmen sich herzlich.

„Na, Toni, wie geht´s dir? Gut schaust du aus.“ Der Alte muss sich eine winzige Träne verkneifen.

„Schön, Robert, dich zu sehen.“ Toni betrachtet Robert anerkennend und mit einem breiten Grinsen. „Wie immer: typisch Urlauber, braun gebrannt und ganz entspannt. Dich haben sie auch zu früh aus dem Dienst gelassen.“ Toni zeigt deutlich seine Missachtung, schüttelt aber, um nicht missverstanden zu werden, lächelnd den Kopf.

Die beiden lassen den Konditor unbeachtet links stehen und gehen zu ihrem Stammtisch.

„Du sagtest am Telefon, dass du allein gekommen bist. Was ist denn mit der Kerstin?“

„Alles in Ordnung. Zuerst wollte sie ja auch gleich am 15. Dezember mitfahren. Aber dann hat sie ihr Heimleiter doch wie immer so lange bequatscht, dass sie jetzt doch wieder die Weihnachtsfeier und die Messe für die Heimkinder gestaltet. Sie kommt am 1. Weihnachtstag mit unserem Twingo nach.“

„Ach, habt ihr jetzt auch einen Hund? Du wolltest doch nie einen.“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Na, Twingo ist doch bestimmt ein Hundename, bestimmt so ein putziges Schoßhündchen, oder? So wie unser Bingo.“

„Scherzbold, das ist doch unser Wagen. Echte französische Wertarbeit, mit Schiebedach.“

„Und deshalb bist du gestern mit der Bahn gekommen?“

„Genau, alte Spürnase. Nachdem klar war, dass Kerstin nicht vor Heiligabend fährt, habe ich mir im Internet schnell noch ein Sparticket für 29 Euro besorgen können. Und so bin ich schon hier und bleibe fast vier Wochen.“

Die beiden tauschen danach ihre Krankheitsgeschichten aus und genießen ihre Marzipantorte. Als Diabetiker hat Robert schon in weiser Voraussicht ein paar Einheiten Insulin mehr gespritzt.

Jetzt kreist ihm aber immer wieder das Gespräch im Kopf herum, das sein Freund mit dem Cafébesitzer bei seiner Ankunft geführt hatte. Bei seinem zweiten Bissen platzt es deshalb aus ihm heraus, nicht ohne einen Teil der Torte dabei auf das Tischtuch zu spucken:

„Geh´, Toni, hast du vorhin …. „Entschuldigung!“ Er wischt den Kuchenspritzer mit der rechten Hand vom Tisch und schaut seinen Freund mit verkniffenen Augen an.

„Dafür ist der Kuchen aber zu teuer, um ihn auszuspeien“, freut sich Toni.

„Hast du vorhin über den jungen Kaplan hier aus Oberstdorf gesprochen, der bei Pfarrer Altmayer angefangen hat, als ich vor fünf Jahren hier zur REHA war?“

„Über genau den?“

„Wie hieß der gleich noch mal.“

„Teuffel, Marc Teuffel, der war gerade mal 30 Jahre.“

„Und der soll Selbstmord begangen haben?“

„Pst, Robert, leise, leise.“ Toni schaut sich dabei vorsichtig im Raum um, ob einer der Gäste etwas mitbekommen hat. Er flüstert weiter: „Hier im Dorf weiß eigentlich noch keiner, woran der Teuffel gestorben ist.“

Robert nickt verständnisvoll und flüstert zurück: „Ich erinnere mich, dass er aus Weißrussland stammte, oder irre ich mich?“

„Der Altmayer will die Geschichte möglichst unter der Decke halten. Und der Kommissar aus Kempten geht genauso wie mein Sohn Peter von Selbstmord aus.“

„Ja, aber der Kaplan war doch ein äußerst lebenslustiger Mensch mit offen zur Schau gestellter Lebensfreude.“

„Siehst du, Robert, dasselbe sag´ ich ja auch. Zumal ich ihn noch kurz vor seinem Tod gesehen habe. Teuffel hielt vor zwei Wochen die Messe in der Kapelle St. Maria Loretto. Ich war dabei. Mit strahlenden Augen hatte der Kaplan in seiner kurzen Predigt die Besucher zu mehr Toleranz gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern aufgerufen. Und zwei Stunden später war er dann tot. – Am nächsten Morgen wurde er natürlich im Pfarrhaus vermisst, und gegen Mittag haben sie den toten Kaplan hinter der Krippenwand in der kleinen Appachkapelle gefunden. Mit einem Pistolenschuss in den Mund saß er wohl auf einem Stuhl neben dem Holzkreuz, mit der Pistole in der rechten und einem Abschiedsbrief in der linken Hand.“

Robert wundert sich: „Verdorri nochmal, Toni, woher weißt du das denn alles? Warst du etwa dabei?“

„Von meinem Sohn halt, mein Peter ist doch Polizeiobermeister hier im Ort.“

Robert denkt an seine positiven Begegnungen mit dem Kirchenmann und schüttelt den Kopf. Er sieht den Kaplan leiblich vor sich stehen, wie er gerade die Kinder und Jugendlichen der Gemeinde begeistert und aktiviert hat. Sie kamen zu seinen Jugendtreffs, insbesondere zum kostenlosen Internet-Café, das der Kaplan schon sofort nach seinem Amtsantritt in der Pfarrei eingerichtet und mit den Jugendlichen selbst aufgebaut hatte. Marc Teuffel machte allen Blödsinn mit den Kindern mit, spielte sogar Fußball mit ihnen oder ging mit zum Jogging.

„Aber du hast Zweifel, dass es sich um Selbstmord handelt?“ Robert studiert dabei den Gesichtsausdruck seines Freundes.

„Ich bin mir sicher, dass da was nicht stimmt. Das sagt mir mein Gefühl, und das hat mich ein Leben lang nur ganz selten betrogen.“ Toni erhebt zaghaft die rechte Hand mit drei gestreckten Fingern, wie zu einem Schwur, und schaut seinem Freund ebenso tief in die Augen.

Robert merkt sofort, dass er sein Versprechen, das er seiner Frau Kerstin gegeben hatte, auch bei diesem Urlaub nicht einhalten wird. So verspricht er Toni Endras, sich einmal die Lorettokapellen näher anzuschauen.

Geocaching - Tödliche Weihnacht in Oberstdorf (NEUFASSUNG)

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