Читать книгу Geocaching - Tödliche Weihnacht in Oberstdorf (NEUFASSUNG) - Dieter Krampe - Страница 21
Kapitel 16 - Lindau 22.12., mittags
ОглавлениеNach dem Besuch bei Dr. Georg Altmayer und dem Frühstück hat Robert seine bisherigen Ermittlungsnotizen auf dem Wohnzimmertisch in seiner Wohnung im MONTANA Haus ausgebreitet. Dann ließ er allerdings alles liegen. Zunächst wollte er das inzwischen wieder sonnige Wetter noch einmal für sich genießen.
Bevor seine Frau nachreiste, hatte er sich schon vor seinem Fahrtantritt vorgenommen, das in Angriff zu nehmen, das er schon seit Jahren immer wieder verschoben hatte: Er wollte endlich einmal an den Bodensee fahren. Als Neunjähriger durfte er aus Anlass seiner Kinderkommunion mit seiner Tante für drei Wochen zu Besuch zu seiner Großtante nach Heiterbach im Schwarzwald fahren. Während dieser Sommertage machten sie einen Tagesausflug nach Konstanz und zur Insel Mainau.
Jetzt als Pensionär mit Behindertenausweis kann er schnell mit der Deutschen Bahn über Immenstadt nach Lindau reisen. Robert steigt aus dem Regionalzug aus. Die große Bahnhofsuhr zeigt 13:50 Uhr an. Er verlässt die große Bahnhofsvorhalle. Dabei muss er gerade an einen Fernsehbericht des Allgäu-TV denken, die über einen Giftalarm am Lindauer Bahnhof berichteten, der nach rätselhaften Erkrankungen von Chef und Mitarbeitern eines benachbarten Betriebes ausgelöst worden war. Die Prüfung der Ursachen dieses Phänomens steht noch aus.
Robert verlässt dennoch unbesorgt den Bahnhof und geht nach rechts. Schon nach wenigen Metern öffnet sich der Blick auf den pittoresken kleinen Hafen der Bodenseestadt. Die Wintersonne bestrahlt den historisch anmutenden Mangturm und die Häuser an der Hafenpromenade, als wären sie von der Hand eines professionellen Fotografen beleuchtet worden.
Links kann Robert die Silhouette der Stadt Bregenz in Österreich erkennen. Genau vor ihm ragen im Gegenlicht die dunklen Gipfel der ersten Alpenkette aus dem Wasser des Bodensees. Rechts liegt ein Teil des Schwäbischen Meers noch unter dünnen Nebelschwaden, die den Blick auf das nahe Friedrichshafen und die Zeppelinwerke verschleiern.
Robert nimmt sich zehn Minuten, um die friedliche Stimmung mit seiner LUMIX 22, im Übrigen das einzige technische Gerät, das er sich im letzten Jahr neu zulegen musste, weil seine alte „Alfa Klick“ während des Spazierganges in Reykjavik den Geist aufgegeben hatte, auch fotografisch festzuhalten. Trotz des vorfrühlingshaften Wetters tummeln sich überraschenderweise nur wenige Touristen und Einwohner im Hafengebiet. Er nimmt den Löwen an der östlichen Hafenmauer genauer in Augenschein, um anschließend dem Promenadenweg um die Insel zu folgen, auf der der historische Stadtkern Lindaus gegründet ist.
Hinter dem Pulverturm erblickt er auf der anderen Seite des Eisenbahndammes, der Lindau mit dem Festland verbindet, ein impossantes, schlossähnliches Gebäude, das anscheinend durch zwei große Neubauten vergrößert wird. Roberts Schönheitsgefühl wird durch diese Neoklassik beleidigt. Dennoch holt er auch hier seine Kamera heraus und stellt das eher abschreckende Motiv ein.
Ein weißhaariger Mann im Rollstuhl beobachtet Schibulsky und spricht ihn an: „Ist das nicht schrecklich? Jetzt verschandeln die unser schönes Panorama auch noch auf der anderen Seite der Insel“, echauffiert sich der Mann.
Robert dreht sich dem Rollstuhlfahrer zu und fragt: „Sie kennen sich hier sicherlich bestens aus, nicht wahr?“
„Gestatten, mein Name ist Kleinschmidt. Ich bin hier am Bodensee geboren und lebe schon über fünfzig Jahre in Lindau.“
„Ich bin als Feriengast in Oberstdorf. Robert Schibulsky aus Nordrhein-Westfalen.“
„Ach, sind Sie eventuell verwandt mit dem Fußballer aus dem ehemaligen Schalker Kreisel?“
„Nein, nein, Sie meinen sicherlich Otto Tibulsky, genannt Ötte?“
Kleinschmidt versucht seine Erinnerungen aus den Fünfzigerjahren zu sortieren. Aber Schibulsky hakt nach: „Das schlossähnliche Gebäude da drüben, wem gehört das denn?“
„Ach erinnern Sie mich nicht. Ich war bis vor zehn Jahren verantwortlich für die Stadtplanung und den Denkmalschutz. Dann hat der Graf zu Hohenstein die Villa Lindenhof dort drüben gekauft. Seine Frau Franziska war früher Innenarchitektin und soll sich auch gleich in Renovierungsarbeiten gestürzt haben. Wotan, ihr Mann, war doch der bekannteste Manager Deutschlands. Er hatte ja die Firma Porsche fast im Alleingang wieder in die schwarzen Zahlen gebracht.“
Schibulsky bestätigt ihn. „Ja, daran kann ich mich erinnern. Wenn ich mich recht entsinne, wollte doch 2008 oder 2009 das kleine Porsche die große VW aufkaufen.“
„Genau.“ Kleinschmidt lebt sichtlich auf, weil sich mal jemand mit ihm beschäftigt.
„Ich habe gerade in der Zeitung gelesen, dass diese Übernahme jetzt noch ein gerichtliches Nachspiel hat, weil Porsche damals die Übernahme verspätet öffentlich gemacht hat und dann die Spekulanten den Wert der Porsche-Aktien von 200 € auf 1000 € hoch getrieben hatten.“
„Davon weiß ich nichts. Dennoch begann mit dem Übernahmeversuch das ganze Übel. Der Graf zu Hohenstein musste wegen dieser eklatanten Fehlspekulation seinen Hut nehmen. Mit der Abfindung, man sprach von mehreren zehn Millionen, hat er die Mehrheit der Aktienanteile der niederländischen Firma EUROMIX.NL erworben und den Schwerpunkt der Geschäftsentwicklung nach Deutschland verlegt. Heute gehört die EUROMIX TECHNOLOGY zu den drei größten nationalen Internetanbietern, mit steigender Aussicht.“
„Sie kennen sich ja sehr gut mit den Geschäftsbilanzen dieses Grafen aus.“
„Nach meiner Pensionierung habe ich den Grafen kennengelernt. Er wollte von mir Ratschläge über die bestehenden Denkmalvorschriften. Daraus hatte sich eine wirkliche Freundschaft entwickelt.“
„Ja, aber wie kommt es jetzt zu diesen Entgleisungen da drüben, die Sie ebenso wie ich bemängeln?“, lenkt Schibulsky das Gespräch wieder in die Gegenwart.
„Vor drei Jahren ist der Graf bei seinem Skiurlaub im französischen Méribel von einer Lawine verschüttet worden. Seine Frau hat alles mitansehen müssen und konnte den Schneemassen gerade noch ausweichen. Für den Grafen kam damals die Bergrettung zu spät; er konnte auch nicht mehr reanimiert werden, obwohl er mit dem Rettungshubschrauber auf schnellstem Wege in eine Spezialklinik nach Grenoble geflogen wurde.“
Schibulsky werden die Ausführungen des Rollstuhlfahrers langsam zu lang. Er will sich gerade abdrehen und verabschieden. Doch der ehemalige Amtsleiter fährt unbeirrt fort: „Die Gräfin hat Wotans Tod bis heute nicht verwunden. Allein wollte sie nicht in der Villa wohnen. Knapp zwei Wochen nach der Beerdigung tauchten ihr Zwillingsbruder und dessen Sohn hier in Lindau auf. Mein ehemaliger Assistent erzählte mir im Vertrauen, dass die beiden richtigen Psychoterror auf unsere Verwaltung ausgeübt hätten, um eine Baugenehmigung für zwei Erweiterungsgebäude zu erhalten. Er wäre sogar auch mit körperlichen Repressionen bedroht worden. Was immer das heißen mag?“
Schibulskys kriminalistischer Instinkt fährt sofort hoch. „Aber da wurde doch bestimmt sofort die Polizei eingeschaltet. Nötigung ist doch in jedem Fall ein wichtiger Grund zum Eingreifen.“
„Davon habe ich aber nie etwas gehört oder gelesen. Im Gegenteil habe ich diesen Nico Winterscheid selbst …..“ Das Wort „Winterscheid“ lässt den Ex-Kommissar auch für den Rollstuhlfahrer sofort sichtlich aufschrecken. Der hält augenblicklich inne.
„Sie erwähnen einen Nico Winterscheid; den Namen habe ich gerade gestern erst bei mir in Oberstdorf gehört.“
„Das kann gut sein. Nico Winterscheid und sein Vater Ulrich wollen dort meines Wissens irgendetwas in der Art „Europapark“ aufbauen.“
„Davon habe ich allerdings noch nie etwas gehört“, widerspricht Schibulsky. „Ulrich Winterscheid ist mir als neuer Vereinsvorsitzender des heimischen Eishockeyklubs EISBÄREN Oberstdorf bekannt. Er soll dort finanziell groß eingestiegen sein und drei ehemalige Nationalspieler für die Amateure eingekauft haben.“
„Genau das habe ich auch hier in unseren „Schwäbischen Nachrichten“ gelesen. Aber das ist typisch Ulrich Winterscheid. Nicht kleckern, sondern klotzen. Und wie der Vater, so der Sohn.“
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie vorhin unterbrochen habe.“
„Ach ja, Nico Winterscheid hatte ich in Begleitung zweier, ja ich möchte sagen zweier Typen gesehen, die in mein Stammrestaurant „Alte Post“ kamen, den Wirt verlangten, ihn praktisch umringten und auf ihn einredeten. Nach fünf Minuten verließen sie das Restaurant wieder, ohne eine Bestellung aufgegeben zu haben.“
„Haben Sie ihren Stammwirt auf diese Begegnung angesprochen?“
„Ja, natürlich. Aber er wollte mir partout nichts erzählen.“
„Und Sie meinen, dass diese Winterscheids jetzt die Bauherren sind.“ Schibulsky zeigt mit der rechten Hand auf die gegenüberliegende Seite.
„Offiziell ist Franziska Gräfin zu Hohenstein die Bauherrin. Sie hat von unserem Bürgermeister persönlich das Okay bekommen. Aber jeder hier im Ort weiß, dass dahinter ihr Zwillingsbruder steckt. Seit die Gräfin ihn zum Geschäftsführer des EUROMIX Konzerns gemacht hat, hat sie sich nicht nur vom operativen Geschäft, sondern auch aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Den Winterscheids ist die Villa zu traditionell. Die beiden Anbauten sollen protziger werden, damit man den Reichtum auch von außen erkennen kann.“
Schibulsky schaut auf die Uhr. „Oh, ist es schon so spät geworden. Das Gespräch mit Ihnen war sehr interessant, aber ich muss nun los zum Bahnhof. Mein Zug fährt um 17:13 Uhr und der nächste Zug nach Oberstdorf würde erst in mehr als einer Stunde fahren.“
Die Miene des Alten verdunkelt sich wieder; dennoch gelingt ihm sogar der Anflug eines Lächelns. „Ja dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Urlaub.“
„Danke, Ihnen auch einen schönen Tag noch“, grüßt Schibulsky zurück und geht den Panoramaweg zurück. Er folgt mit beschleunigtem Schritt dem Rundwanderweg, überquer die Bahnlinie über die Brücke nördlich des Hauptbahnhofes und eilt zum Eingang. Für die Maximilianstraße und die Altstadt hat er jetzt keine Zeit mehr. Aber er nimmt sich vor, mit seiner Frau dieses noch in diesem Winter nachzuholen.
Als er zufällig am Restaurant „Alte Post“ vorbeikommt, kann er sich nicht zurückhalten. Er betritt den Gastraum. Ein vollschlanker älterer Herr im schwarzen Anzug kommt ihm entgegen.
„Entschuldigen Sie, mein Herr, Abendessen gibt es bei uns erst ab 18:00 Uhr“, entschuldigt sich der Wirt.
„Entschuldigen Sie!“, entgegnet der Kommissar mit Betonung des „Sie“, „ist es möglich, den Inhaber zu sprechen?“
„Der steht vor Ihnen. Gestatten, Leopold Draxler, ich führe dieses Haus in vierter Generation.“ Während der kurzen Stille kann Schibulsky einen Hauch vom Glanz und Gloria des alten Kaiserreichs verspüren.
„Herr Draxler, ich trage mich mit der Absicht, vielleicht das „Braustüble“ hier in Lindau zu kaufen. Nun ist mir zu Ohren gekommen, dass auch hier im Ort die Mafia angekommen sei und die Wirtsleute mit Schutzgelderpressung bedroht.“
Draxler reißt die Augen bis zum Optimum auf. Schlagartig transferieren sie Entsetzen, dann nackte Angst. Das Blut schießt ihm in den Kopf, er verfällt in eine Art Schockstarre.
Das reicht Schibulsky. Grußlos verlässt er das Restaurant, in dem sich Draxler im Zeitlupentempo auf einem Stuhl fallen lässt.